Klett-Themendienst Nr. 73 (11/2016)

(sl) Selbstbestimmtes Lernen, Kompetenzraster und Lernjobs – der Alltag von Schülerinnen und Schülern ändert sich rasant. Wie er auch den gewünschten Lernerfolg ermöglicht, verrät Lehrerin und Fachberaterin Marion Zimmer.

Weshalb ist selbstorganisiertes Lernen so wichtig?

Nicht zuletzt dank Wissenschaftlern wie John Hattie, Manfred Spitzer oder Albert Bandura wissen wir viel über lernrelevante Faktoren, über den Lernerfolg durch positive Erfahrungen sowie über selbstverursachte Wirkungen. Letztere können als Erfolge verbucht werden, deshalb ist es so wichtig, den Kindern Materialien zur Verfügung zu stellen, die sie nicht überfordern, sondern ihnen Lernerfolge ermöglichen. Aus diesem Grund plädiere ich für das Arbeiten in verschiedenen Niveaustufen, die dem Können des Kindes entsprechen.

Wir wissen heute allerdings noch nicht, welche Lerninhalte unsere Kinder in ihrer Zukunft brauchen werden, um in ihrer Lebenswelt erfolgreich zu sein. Wir sehen, dass sich die Gesellschaft, Wirtschaft und Technik rasant wandeln, also können wir den Kindern nur Arbeitstechniken an die Hand geben, mit denen sie sich ihre Welt von morgen selbst erschließen können. Eigenständiges und reflektiertes Lernen ist dabei unerlässlich und entscheidend. Gerade das ermöglichen Lernjobs.

Was sind Lernjobs konkret?

Der Lernjob ist ein selbsterklärendes Unterrichtsmaterial zum selbstständigen Arbeiten und funktioniert ohne Unterweisungen durch den Lehrer durch klare und produktionsorientierte Aufgabenformulierung. Es ist angereichert mit Merkwissen, Arbeitstechniken sowie Tipps und kann kleinschrittiger erarbeitet werden.  Bei den Lernjobs, handelt es sich um Selbstlernmaterial auf drei Niveaus (BASIS, EXTRA und PLUS) zu den wichtigsten Kompetenzen in den Bereichen Schreiben sowie Lesen – Umgang mit Texten und Medien.  Mit den Lernjobs können die Schülerinnen und Schülern selbstständig arbeiten und ihren Lernprozess abschließend anhand einer Checkliste reflektieren und selbst einschätzen.

Alle Kinder sind unterschiedlich. Wie meistern Sie den gemeinsamen Unterricht?

Heterogenität ist zur alltäglichen Herausforderung geworden. Die Kinder meiner Klasse etwa unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht: Begabung von Inklusionskinder bis hin zu Kindern mit Teilleistungshochbegabungen, Handicaps in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht, Motivation, Sozialkompetenz und noch vieles mehr. Kinder sind aber auch für sich betrachtet mit unterschiedlich ausgeprägten Kompetenzen gesegnet. Melissa ist vielleicht gut in Lesen, aber im Bereich Rechtschreibung hat sie Probleme oder Tim ist gut im logischen Denken und Zahlenverständnis, aber in der Sprache gibt es noch Probleme. Wir brauchen dementsprechend unterschiedliche Lernangebote, Unterstützungssysteme und Strukturen, in die diese Lernarrangements eingebettet sind und funktionieren.

Wie kann eine Mischung aus Selbstlernphasen und gemeinsamen Lernen in heterogenen Klassen gelingen?

Wichtig ist, eine Balance aus allen Säulen des Lernens, dem individualisierten, gemeinsamen und kooperativen Lernen. Ich erweitere die Säulen noch um die des eigenverantwortlichen Lernens. Das gemeinsame Lernen wird weiterhin eine wichtige Stütze des Unterrichts bleiben, gerade in Phasen des Inputs, der Präsentation und Reflexion bleibt die Klasse im Verbund zusammen. Das gemeinsame Erleben stärkt das Zusammenhaltgefühl und lässt eine Lerngruppe zusammenwachsen. Im Deutschunterricht sind auch Bereiche wie das „szenische Spiel“ und „miteinander Sprechen“ unerlässlich. Mit dem kooperativen Lernen, wird das von- und miteinander lernen verbunden. Nicht zu vergessen, dass wir auch füreinander lernen und dies eine wichtige soziale Kompetenz darstellt. Es werden auch Strategien vermittelt, die helfen, unterschiedliche Haltungen, Meinungen und Positionen auszudrücken. Konstruktive Denkfertigkeiten, soziale Fähigkeiten und geteilte Verantwortung helfen, persönliche Begabungen hervorzurufen und gemeinsam Erfolge zu feiern. Das individuelle Lernen ermöglicht das Lernen im eigenen Tempo und die individuelle Auseinandersetzung mit den Inhalten und Aufgaben auf verschiedenen Schwierigkeitsstufen bzw. Niveaus. Diesen Bereich erweitere ich um „meine“ 4. Dimension: dem eigenverantwortlichen Lernen. Man sollte den Kindern stets ermöglichen, Lerntechniken zu nutzen, eigene Lernstrategien einzusetzen und ihr eigenes Lernen zu reflektieren.

Wie funktioniert Selbstlernen dank Kompetenzrastern, individuellen Lernplänen etc.?

Der Förderkreislauf beginnt mit der Diagnose des Ist-Zustandes mittels verschiedener formeller und informeller Verfahren wie Online- Diagnose, Fragebögen usw. Diese Ergebnisse verorten wir im Kompetenzraster, das wir mit Kindern und Eltern in einem ersten Gespräch durch einen Punkt im Raster, einer Matrix aus allen Kompetenzen des Bildungsplanes, kennzeichnen. Das Kind erhält einen individuellen Lernplan mit dessen Hilfe es auf seinem Niveau und seinen Unterstützungsmöglichkeiten Lernwege beschreitet. Unser System ist durchlässig und flexibel, so dass bei entsprechenden Leistungen das Niveau in jede Richtung verändert werden kann. Das bietet den Vorteil, dass es zum einen gerecht ist, zum anderen auch Anstrengung belohnt. Mit Hilfe einer Lernwegeliste bearbeitet der Schüler jeweils eine Kompetenz im Raster in verschiedenen Teilkompetenzen. Man kann sich das wie ein Adventskalender vorstellen. Sobald ein Türchen im Kompetenzraster geöffnet wird, entfalten sich kleinere Teilkompetenzen mit verschiedenen Aufgaben, die zum Erreichen der übergeordneten Kompetenz wichtig sind. Sofern der Schüler den Lernnachweis absolviert hat, wird erneut in einem Coachinggespräch geschaut, wie man den Förderplan anpassen kann und so beginnt der Förderkreislauf von neuem.

Autor: Stefan Lüke für den Klett-Themendienst 11/2016

Zur Person
Marion Zimmer unterrichtet seit 2012 auf drei Niveaustufen und ist aktuell „Vollblut“- Lerngruppenleiterin einer 6. Klasse an der Gemeinschaftsschule Forst-Hambrücken. Sie ist Fachberaterin Unterrichtsentwicklung im Bereich Fortbildungen bezüglich neuer Lernkulturen am Staatlichen Schulamt und Regierungspräsidium Karlsruhe sowie Mitautorin des 2015 erschienenen Klett-Lehrwerkes „Deutsch.kombi plus“ und der neuen Reihe „Lernjobs“.

Buchtipp:
In der Reihe „Lernjobs“ erscheinen verschiedene Arbeitshefte rund um das modulare Lernen. Für einen differenzierten, individualisierten Unterricht zum Thema Lernjobs – Lesen und Kultur (978-3-12-313481-4) ist ein Selbstlernmaterial für Schüler der Klasse 5 mit zahlreichen Übungen erschienen. https://www.klett.de/lehrwerk/lernjobs/einstieg