Klett-Themendienst Nr. 74 (02/2017)

In einer Welt des Sehens haben es sehbehinderte und blinde Schüler schwer, ihren sensorischen Bedürfnissen gemäß zu lernen. Hilfe bieten da Unterrichtswerke, die in Blindenschrift, der sogenannten Brailleschrift, verfasst werden. Dazu werden zugelassene Schulbücher aller Fächer, Schulstufen und -arten entsprechend transkribiert. Beim Ernst Klett Verlag werden für die Transkription jährlich rund 600 Titel angefragt.

Der Franzose Louis Braille gilt als Erfinder dieser Blindenschrift. Er hat sie im 19. Jahrhundert entwickelt. Heute ist sie weltweit verbreitet. Die klassische Brailleschrift basiert auf einem 6-Punkte-System, mit dem Buchstaben, Satzzeichen, Symbole, Zahlen und mathematische Zeichen als Punktmuster dargestellt werden. Diese werden von hinten ins Papier geprägt. Blinde tasten die erhabenen Punktmuster mit den Fingerspitzen ab und können dadurch Texte und Bücher lesen.

Übertragung in Brailleschrift

Ein Vertrag, der zwischen dem Land Hessen als bundesweit zuständigem Koordinator und dem Verband Bildungsmedien besteht, sorgt dafür, dass in speziellen Medienzentren Schulbücher und Arbeitsmaterialien in Brailleschrift umgewandelt werden. Ein aufwendiger Vorgang, wie Michael Schäffler von der Schloss-Schule Ilvesheim in Baden-Württemberg seine Tätigkeit beschreibt. Schäffler ist im dortigen Medienberatungszentrum tätig und konvertiert mit seinen Kollegen unter anderem Schulbücher, die von den Verlagen als PDF bereitgestellt werden, in barrierefreies Lern- und Lehrmaterial um. Je nachdem, wie die Bücher aufgebaut sind, dauert das zwischen zehn und sechzig Minuten pro Seite. „Dabei sind die größten Hürden Fotos, Grafiken und Tabellen. Die versuchen wir in Textform zu bringen“, erklärt Michael Schäffler die Vorgehensweise. „Allerdings müssen wir gut abwägen, wie genau und in welchem Umfang wir beispielsweise Grafiken beschreiben. Denn der sehende Schüler erfasst auf den ersten Blick, worum es geht, wohingegen der blinde Schüler bei einer zu detailreichen Beschreibung vielleicht schon zwei Minuten braucht, um sich den Text durchzulesen. Dann hängt er natürlich im Unterrichtsgeschehen hinterher.“

Arbeiten am Computer mithilfe der Braillezeile

Carla ist eine von geschätzt 14.000 Schülern in Deutschland (Quelle: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband), die Bücher in Brailleschrift nutzen. Sie besucht in Ilvesheim die siebte Klasse der Realschule und arbeitet am liebsten am PC. Bereits in der Grundschule hat sie das 8-Punkte-Braille erlernt. Das hat mehr Zeichen als das 6-Punkte-Braille zur Verfügung und wurde speziell für den Computer entwickelt. Die an den PC angeschlossene Braillezeile, die optisch einer Tastatur ähnelt, überträgt Texte in Brailleschrift und ermöglicht so blinden Menschen die Arbeit am PC. „Für Blinde ist das ziemlich wichtig, aber auch für Lehrer“, meint Carla. „Denn der Computer hat ja auch immer noch einen Bildschirm. So können die Lehrer schneller überblicken, was wir machen.“ Dem kann Luisa Krammer, die an der Schloss-Schule Ilvesheim Deutsch und Geografie unterrichtet, nur zustimmen: „Für uns Lehrer ist es so, dass wir natürlich Brailleschrift lesen können, allerdings lese ich Braille von der Geschwindigkeit her wie ein guter Grundschüler – bei weitem also nicht so schnell wie Carla. Für mich ist es deshalb sehr angenehm, wenn ich immer wieder kontrollieren kann, was die Schüler gerade machen. So kann ich schnell auch mal eingreifen oder Hinweise geben.“

Mithilfe von Braillezeilen können Schüler also einzelne Dokumente aber auch ganze Schulbücher lesen, die zuvor von den Medienzentren digital aufbereitet und barrierefrei gemacht worden sind. Dazu gehört, dass sich die Schriftgröße ohne Probleme ändern lässt, wovon besonders hochgradig sehbehinderte Kinder profitieren. Darüber hinaus müssen bei der Aufbereitung von Texten noch weitere Kriterien eingehalten werden – wie etwa eine logische Lesereihenfolge oder Überschriften mit bestimmten Formatvorlagen. „Was sich in der Theorie so leicht anhört, ist in der Praxis leider nicht ganz so einfach“, erläutert Michael Schäffler. Eine große Schwierigkeit ist, dass die PDF-Dateien der Schulbücher, die die Medienzentren zur Verfügung gestellt bekommen, bislang nicht barrierefrei geliefert werden können. „Deshalb lesen wir die PDF-Datei in eine Texterkennungssoftware ein und setzen die Textblöcke komplett neu. Wir nummerieren sie in logischer Reihenfolge mit Hand durch und nicht, wie es zufällig vom Layout her in der PDF-Datei angeordnet ist. Das kostet Zeit und ist eine große Baustelle, bei der wir uns gemeinsam mit den Verlagen bemühen, bessere Lösungen zu finden.“

Vision: Schulbücher im Universellen Design

Bessere Lösungen hat auch die Buchwissenschaftlerin Julia Dobroschke gesucht. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit, die von der Stiftung der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur kürzlich mit dem Dissertationspreis ausgezeichnet wurde, hat sie sich damit beschäftigt, wie Schulbücher für sehbehinderte und blinde Kinder einfacher hergestellt werden können. Dabei ist sie auf das Konzept des Universellen Designs gestoßen. Das sagt verkürzt aus, dass man bei Entwicklungen immer die größtmögliche Zielgruppe im Blick haben sollte. „Bisher war es ja so, dass man für blinde und sehbehinderte Menschen eher nach Speziallösungen gesucht hat“, erklärt Dobroschke. „Das Universelle Design geht genau den anderen Weg und berücksichtigt individuelle Bedürfnisse schon bei der Planung von Produkten. Damit konnte ich ein Konzept erarbeiten, das anstrebt, dass irgendwann möglichst viele Menschen gemeinsam mit Lernmaterialien aus einem Guss arbeiten können.“ Um dies zu erreichen, sollten Lehrwerke eine Menge an Ergänzungsmaterialien mitbringen – gerade auch in Form von Video- und Audio-Einbettungen.

Inklusion im Schulalltag

Dass ausgehend von ihren individuellen Lernvoraussetzungen möglichst alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse gemeinsam lernen können, ist ein Ziel, dass auch der Ernst Klett Verlag verfolgt. Dies zeigt sich beispielsweise in der Konzeption und dem breit gefächerten Materialkranz der neuen Generation von deutsch.kombi plus: „Mit diesem konsequent 3-fach differenzierten, digital angereicherten Deutsch-Lehrwerk  wollen wir die Lehrkräfte unterstützen, den Unterrichtsstoff für alle Schülerinnen und Schüler verständlich zu vermitteln“, so Judith Fuhrmann aus Deutschredaktion. „Daher bieten wir zu deutsch.kombi plus auch zusätzliches Inklusionsmaterial an und betten in unsere Digitalen Unterrichtsassistenten umfangreiche Mediensammlungen ein. Hinzu kommen ab 2017 die neuen ebooks pro, mit denen Schülerinnen und Schüler sich individuell Themen erschließen und vertiefend üben können.“

Kompakt
Die Brailleschrift wurde 1825 von Louis Braille erfunden. Ein paar Jahre später entwickelte der Franzose zudem die Braille-Musikschrift, die es Blinden und Sehbehinderten ermöglicht, auch Noten und Musikstücke zu lesen. Die Brailleschrift gilt heute als Standard und ist weltweit verbreitet.

Buchtipp:
deutsch.kombi plus 5
Differenzierende Allgemeine Ausgabe ab 2015

Kopiervorlagen mit CD-ROM. Inklusionsmaterial
Klasse 5

ISBN: 978-3-12-313451-7
https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-313451-7