2003 hatte Baden-Württemberg als erstes Bundesland flächendeckend Fremdsprachen an Grundschulen eingeführt – entlang der Grenze Französisch, ansonsten Englisch. Der Südwesten war damit der Vorreiter für den Rest der Republik. Jetzt plant das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg einige Änderungen: Statt wie bisher ab der 1. Klasse soll die Fremdsprache laut Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) voraussichtlich ab dem Schuljahr 2018/19 ab der 3. Klasse unterrichtet werden.
Hintergrund sind laut dem Stuttgarter Kultusministerium Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Bereits im laufenden Schuljahr gibt es in Deutsch und Mathe jeweils eine Wochenstunde mehr. „Die angekündigte Änderung beim Fremdsprachenunterricht ist kein Sparprogramm, sondern zielt auf eine qualitative Weiterentwicklung der Grundschulen. Die freiwerdenden Ressourcen sollen weiterhin in den Grundschulen verbleiben und zielgerichtet für die Stärkung der Kompetenzen in Deutsch und Mathematik eingesetzt werden“, sagt die stellvertretende Ministeriumssprecherin Christine Sattler.
Matthias Schneider, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Baden-Württemberg, widerspricht. Die Einschränkung des Fremdsprachenunterrichts habe auch mit der zu geringen Zahl ausgebildeter Grundschullehrer zu tun. „Es werden künftig deutlich mehr Lehrer gebraucht als bisher angenommen. An den Hochschulen in Baden-Württemberg müssen die Ausbildungskapazitäten ganz schnell erhöht werden, dafür fehlt leider bisher ein klares Signal“, sagt Schneider.
Er betont die Bedeutung früher Fremdsprachenkenntnisse, da das Land von internationalen Kontakten lebe. Im übrigen werde die Qualität deutlich besser – Französisch bzw. Englisch an der Grundschule sei mittlerweile Teil der Hochschulausbildung für angehende Lehrer. „Diskutieren kann man, ob Französisch an der Rheinschiene sinnvoller ist als Englisch, da gehen die Meinungen bei Eltern und Lehrern auseinander“, so Schneider.
Falk Staub ist Realschullehrer für Französisch im Saarland und bildet Grundschullehrer in diesem Fach aus – neben der Grenzregion in Baden-Württemberg wird im Saarland sowie in Teilen von Rheinland-Pfalz Französisch in der Grundschule unterrichtet. Staub spricht von einem Erwachsenenproblem, wenn Eltern für ihre Kinder Englisch statt Französisch fordern. Obwohl man direkt an der Grenze wohne und vielfach berufliche Kontakte nach Frankreich habe, werde der Wert der Nachbarsprache oft nicht erkannt. Kinder ließen sich dagegen auf die im Vergleich zum Englischen vermeintlich schwerere Sprache ein. „Kinder haben einfach sichtlich Spaß daran, eine Fremdsprache, ein Land und Leute zu entdecken. Das ist nun mal die Neugier, die sie treibt. Eine Umgebung, die Begegnungen mit Fremdsprachen ermöglicht, die Anregungen bietet, das finde ich sehr wichtig. Fremdsprachenlernen sollte so früh wie möglich anfangen“, sagt Staub, der auch Herausgeber des speziell für die Grundschule konzipierten Französisch-Lehrwerks „Tous ensemble primaire“ ist. Er fügt hinzu: „Insgesamt sehe ich die Entwicklung der letzten Jahre eher positiv. Ich habe den Eindruck, dass es weniger Widerstände gegenüber dem Fach Französisch in der Grundschule gibt. Aber das ist ein subjektiver Eindruck.“
Studien über die Auswirkungen des frühen Französischunterrichts gibt es nur wenig. Für das Fach Englisch ist 2015 die Untersuchung „Der Lernstand im Englischunterricht am Ende von Klasse 4“ des so genannten BIG-Kreises erschienen, ein Zusammenschluss von Fachdidaktikern. Als Grundlage dienen die Befragung und Leistungsermittlung bei 2148 Schülern aus ganz Deutschland. Die Autoren sprechen von akzeptablen Ergebnissen beim Schreiben, von sehr akzeptablen Ergebnissen beim Hörverstehen und von sehr erfreulichen Ergebnissen beim Leseverstehen. Mehr als 80 Prozent der Schüler nannten das Fach Englisch „cool“.
In der Realität gebe es große Unterschiede bei den Kenntnissen. „Die einen haben einen überwiegend spielerisch aufgezogenen Unterricht erlebt, die anderen mit fast gymnasial-propädeutischen Verfahren gelernt“, schreiben die Autoren und fordern: „Deshalb sind strukturelle Vorgaben noch wichtiger, die zu beschließen die Kultusministerkonferenz dringend aufgefordert ist, nämlich baldmöglichst verbindliche (Mindest-)Standards für den Englischunterricht in der Grundschule zu entwickeln.“ Ansonsten werde auch künftig in der 5. Klasse viel Unterrichtszeit darauf verwendet werden, die Schüler auf einen einheitlichen Lernstand zu bringen.
Keine Aussage macht die Studie zu der Frage, in welcher Grundschulklasse Französisch bzw. Englisch beginnen soll. Baden-Württemberg begründet den künftigen späteren Beginn u.a. mit der Empfehlung für eine Fremdsprache ab der 3. Klasse durch den Expertenrat „Herkunft und Bildungserfolg“ aus dem Jahr 2011. Der Beginn ab der 1. Klasse ist derzeit außer in Baden-Württemberg noch in Hamburg und Rheinland-Pfalz die Regel. In Nordrhein-Westfalen startet die Fremdsprache flächendeckend in der 2. Klasse, in allen anderen Bundesländern ein Schuljahr später.
Autor: Joachim Göres