Klett-Themendienst Nr. 78 (10/2017)

Ein christliches Religionsbuch entsteht im Spannungsfeld zwischen Staat und Kirche. Insgesamt greifen dabei strenge Zulassungsmechanismen. Wie die Zulassung funktioniert – und wie Schulbuchautoren mit Kritik umgehen.

„Man braucht ein dickes Fell“, sagt Markus Birner, Schulleiter am Leopoldinum, einem staatlichen Gymnasium in Passau und Herausgeber des Schulbuchs „Leben gestalten“, das 2017 in Bayern erscheint. Er ist hoch motiviert, Religionsbücher „von Praktikern für Praktiker“ zu verfassen, zeitgemäße Lehrwerke, die den Religionsunterricht der Kolleginnen und Kollegen erleichtern. Er steht für ein Buch, das auf archäologisch belegten Fakten und Kulturgeschichte basiert, mit dessen Hilfe der Glaube bewusst reflektiert werden kann. „Wir wollten ein modernes Religionsbuch machen“, sagt Birner. Der Herausgeber braucht dabei einen langen Atem. Christliche Religionsbücher entstehen nämlich in einem komplizierten Wechselspiel. Bischöfe, Professoren, Religionslehrer, Kultusbeamte, Verleger, Herausgeber und Autoren sind etwa daran beteiligt.

Religionsbücher inmitten der Entkirchlichung der Gesellschaft

Ein christliches Religionsbuch entsteht in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem Klassenzimmer zunehmend plural und vielfältig zusammengesetzt sind, was Herkunft und Konfession der Schülerinnen und Schüler anbelangt. Rund 39 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gehört keiner oder einer sonstigen Glaubensgemeinschaft an, jeweils rund 30,0 Prozent der evangelischen Konfession und 30,7 Prozent der römisch-katholischen Konfession. Seit der deutschen Vereinigung 1990 zum Jahr 2008 ist die evangelische Bevölkerung um 4,9 Millionen Personen zurückgegangen, die katholische um 3,1 Millionen Personen. Ein Ende des Mitgliederschwunds und damit der Entkirchlichung der Gesellschaft ist laut Bundesamt für Statistik nicht in Sicht.  

„Wir leisten einen entscheidenden Beitrag bei der Entstehung christlicher Religionsbücher“, sagt Claudius Kretzer, Gruppenleiter für die Religionstitel beim Ernst Klett Verlag. Ein Religionsbuch wird laut dem Verlagsvertreter von bis zu sieben oder acht Autoren geschrieben und mit den Herausgebern wie Markus Birner eng abgestimmt. So soll ein Werk aus einem Guss entstehen. Gefragt sind fachlich kompetente Autoren, die die Dogmen der Kirche sachgerecht im Lehrbuch präsentieren und in der Lage sind, etwa als Religionslehrer authentisch Glaubensinhalte zu vermitteln. Als Gruppenleiter entwickelt Claudius Kretzer zusammen mit den Fachredakteuren das Konzept von katholischen und evangelischen Religionsbüchern mit, achtet auf die Qualität der Texte und behält den Zeitplan im Auge, damit die Inhalte von den zuständigen Stellen rechtzeitig abgesegnet werden.

Kompetenzorientierung: „Man muss nicht alle Propheten kennen“

Was in katholischen oder evangelischen Lehrbüchern steht, hängt maßgeblich von den Vorgaben der staatlichen Lehrpläne für den Religionsunterricht ab. Zu den Inhalten von christlichen Lehrwerken gehören laut Claudius Kretzer beispielsweise: die Bibel, Gott, Christologie, die Kirche als Gemeinschaft oder der Dialog mit anderen Kulturen und Religionen. Bei der Fachdidaktik gibt es laut Kretzer unter den Theologen und Pädagogen keine Einigkeit. Konsens unter den Experten für die Fachdidaktik von Religionsbüchern herrscht nur insofern, als unter Fachdidaktik keine Anhäufung von Fakten verstanden wird. „Einig ist man sich ferner bei der Kompetenzorientierung: Man muss nicht mehr alle Propheten auswendig lernen, aber man muss wissen, wo in der Bibel die Propheten zu finden sind“, erläutert Claudius Kretzer. Ein Religionsbuch hat die Aufgabe, grundlegende Methoden wie Textarbeit und Bildanalyse zu vermitteln. Auch handlungsorientierte Methoden, wie Rollenspiele gehören in ein zeitgemäßes christliches Schulbuch oder das Internet als Hilfsmittel zum Beispiel für die Recherche von Klöstern in der Nähe der Schülerinnen und Schüler.

Außerdem sind bei Lehrwerken zum Beispiel für den katholischen Religionsunterricht die Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz zu beachten, die in ihrem Kriterienkatalog von 2002 festgeschrieben sind. Danach müssen Religionsbücher etwa mit der Lehre der Kirche im Einklang stehen und den Anforderungen der Theologie beziehungsweise der Bezugswissenschaft in fachlicher und methodisch-didaktischer Hinsicht genügen. „Wir dienen zwei Herren“, beschreibt Markus Birner seine Position als Herausgeber und Autor.

Diener zweier Herren

Für Autoren kann der Zulassungsprozess anstrengend sein. „Was der Kirche passt, passt manchmal dem Staat nicht – und umgekehrt“, bringt es Markus Birner auf den Punkt. Die staatliche Seite erlebt der Herausgeber dabei als strenger. „Manche Bundesländer sind sehr empfindlich“, fügt Claudius Kretzer hinzu.

Wenn Herausgeber und Autoren das katholische Religionsbuch zu Ende geschrieben haben, dauert es mindestens ein Jahr, bis die kirchliche Seite das Schulbuch geprüft – und abgesegnet hat. Religionsbücher für den katholischen Unterricht werden von einer Schulbuchkommission der Deutschen Bischofskonferenz überprüft. Davon gibt es drei in Deutschland. Laut Rainer Kost, Geschäftsführer der Schulbuchkommission Nord-West der Deutschen Bischofskonferenz, wird das vom Verlag eingereichte Werk erst von Gutachtern aus der Schulpraxis geprüft. Das können Religionslehrer sein oder schulerfahrene Mitarbeiter der kirchlichen Verwaltung. Dann wird es von einem Professor der Systematischen Theologie / Dogmatik und einem Professor der Religionspädagogik auf den Prüfstand gestellt. Auf der Grundlage von vier Gutachten entsteht ein „Gesamtgutachten“ mit Verbesserungsvorschlägen und Kritikpunkten.

Der Schulbuchverlag nimmt darauf hin Stellung zu den Einwänden und schlägt Änderungen vor, widerlegt die Einwendungen oder akzeptiert die Kritikpunkte der Schulbuchkommission. Die Stellungnahme des Verlags wird dann wiederum von Theologieprofessoren begutachtet. „In der Regel wird dann an dieser Stelle ein Kompromiss mit dem Verlag gefunden, also eine Lösung, die für den Verlag vertretbar ist und die von der Kommission akzeptiert werden kann“, erklärt Rainer Kost.

„… fehlender historisch-kritischer Umgang mit biblischen Texten“

Schließlich legt die Schulbuchkommission den Bischöfen die Zulassung des Werkes vor, die letztlich über die Zulassung in ihren Diözesen entscheiden. „Hierbei kann es zu Problemen kommen, da die Bistumsgrenzen nicht den Landesgrenzen entsprechen. Die Zulassung eines Werkes wird zum Beispiel unter anderem für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz angestrebt. Das Werk ist aber nur mit den Lehrplänen in NRW und Hessen, nicht aber mit denen in Rheinland-Pfalz kompatibel … Die Bistümer Limburg und Mainz hätten so ein Problem: Das Buch wäre in Hessen zulassungsfähig, in Rheinland-Pfalz aber nicht“, erklärt Rainer Kost. Nach der Zulassung durch die Ortsbischöfe teilt die Schulbuchkommission dem Verlag das Ergebnis mit.

Was genau kritisieren katholische Zulassungsstellen? In einem Schulbuch wurde etwa Jesus Christus auf Brauchtum und Kunstgeschichte reduziert. Kritikpunkt der Schulbuchkommission Nord-West: „Was er für das Christentum bedeutet und was er vor allem für die Schülerinnen und Schüler bedeuten könnte, wird nicht thematisiert.“ In einem anderen Fall seien biblische Texte zum Beispiel in ein Licht gestellt worden, als seien sie Tatsachenberichte, erklärt Rainer Kost. „Zu bemängeln ist ein fehlender historisch-kritischer Umgang mit biblischen Texten“, lautete die Kritik der Schulbuchkommission. In der siebenjährigen Amtszeit des Geschäftsführers der Schulbuchkommission Nord-West sei es erst einmal zu einer vollständigen Ablehnung eines Werkes gekommen.

Zwar fühlt sich Schulbuchherausgeber Markus Birner manchmal durch kirchliche und staatliche Kritik im komplizierten Zulassungsvorgang mehr angefochten als in seiner Arbeit als Schulleiter. Mit dem starken Einfluss von Staat und Kirche auf die Zulassung von Lehrwerken geht er indes gelassen um. Denn er ist überzeugt, über den Religionsunterricht können Lehrkräfte den Schülerinnen und Schülern einen Zugang zur Wirklichkeit erschließen, der durch den derzeit herrschenden materialistischen Zugang zur Wirklichkeit der kapitalistischen Gesellschaft nicht abgedeckt sei. Auch nicht im Ethikunterricht. An der christlichen Religion könnten sich die Kinder reiben, am Ethikunterricht nicht, weil die ethischen Konzepte grundsätzlich alle gleichwertig seien – und damit auch beliebiger.

Arndt Zickgraf, Klett-Themendienst 

Buchtipp:
Leben gestalten, Schülerbuch für die katholische Religionslehre am Gymnasium, Klasse 5, Ausgabe Bayern, 2017. ISBN: 978-3-12-006885-3.
Weitere Informationen: https://www.klett.de/lehrwerk/leben-gestalten-gymnasium-ausgabe-bayern/produkt/isbn/978-3-12-006885-3

Moment mal! Schülerbuch für die evangelische Religionslehre am Gymnasium, Klasse 5, Ausgabe Bayern, 2017. ISBN: 978-3-12-006970-6
Weitere Informationen: https://www.klett.de/lehrwerk/moment-mal-ausgabe-bayern-ab-2017/produkt/isbn/978-3-12-006970-6/lehrer/bundesland-2/schulart-5/fach-249