Klett-Themendienst Nr. 78 (10/2017)

Jahrzehntelang arbeiteten sie nebeneinander her, waren unbekannte Wesen. Hier die Lehrkräfte an Schulen, dort Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. Doch mit der ständig steigenden Zahl von Ganztagsschulen rückt die Bedeutung des Arbeitens in multiprofessionellen Teams immer stärker in den Fokus.

Es ist Montagmorgen. Schulbeginn in einer Grundschule im Rheinland. Die Eltern von Marie (8) möchten ihr Kind krankmelden. Mangels erreichbarer Sekretärin in der Schule wenden sie sich in der Hoffnung, er möge die Information weiterleiten, an den Leiter der Offenen Ganztagsschule. Dessen Kommentar: „Dafür sind wir nicht zuständig. Da müssen Sie in der Schule anrufen.“ Die verblüfften Eltern erzählen es Freunden. Die aber haben völlig anderes erlebt. Die Dame aus der Nachmittagsbetreuung richtet eine wichtige Nachricht „gerne aus, wir sehen die Lehrer gleich bei unserer Tagesbesprechung ohnehin.“ Zwei reale Szenen. Zwei Welten. Hier die Ganztagsschulen, deren Vor- und Nachmittag strikt getrennt wie parallele Gleise verlaufen. Dort jene, die eng verzahnt kooperieren, sich über die Kinder austauschen.

Gemeinsam ein Bild vom Kind gewinnen

Letzteres gilt für die Verfechter eines rhythmisierten Ganztags als der Idealfall. Die Katholische Grundschule Fußfallstraße in Köln-Merheim peilt diesen seit drei Jahren erfolgreich an. Zu diesem Zeitpunkt übernahm Uta Will von der Bornheimer Verbundschule, einer Schule mit den Förderschwerpunkten Sprache und Lernen, in der die Verzahnung von Schule und Ganztag bereits selbstverständlich war,  die Merheimer Schule. Schnell spürte sie: „Der Offene Ganztag lief gut, die Schule ebenfalls. Was fehlte, waren das gemeinsame Band, die gemeinsame Strategie und Ausrichtung“, erinnert sie sich.

„Genau so war es“, versichert die heutige Leiterin der OGTS, Emilia Grzegorczyk. Damals war sie als Gruppenleiterin tätig. Auch sie spürte das Unbehagen. Man werde den Kindern in einer immer heterogeneren Gesellschaft nicht mehr wirklich gerecht. Die Teams besprachen sich bei einem pädagogischen Tag. Herauskam die Verabredung, Vor- und Nachmittag auf eine Schiene zu setzen. Heute tauschen sich Lehrkräfte, Erzieher und Sozialpädagogen über jedes einzelne Kind aus. „Die Kinder verhalten sich am Nachmittag ganz anders als im Unterricht. Wenn wir darüber reden, bekommen wir alle ein viel besseres Bild von jedem einzelnen“, sagt Emilia Grzegorczyk. Und die Professionen erleben die Schülerinnen und Schüler  – etwa in den neu eingeführten gemeinsam begleiteten Lernzeiten.

Hürden überwinden

Die Bedeutung des Miteinanders hat die empirische Bildungsforschung, etwa in der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG), bereits herausgearbeitet. Ergebnis: Die Kooperation zwischen Lehrkräften und weiteren pädagogisch tätigen Personen zählt zu den wichtigen Grundlagen einer erfolgreichen Lehr-Lernkultur an Schulen. Was aber macht es den Professionen mitunter so schwer, miteinander statt nebeneinander zu agieren? Eine Erzieherin aus Hamburg, die namentlich nicht genannt werden möchte, bringt es auf den Punkt: „Jede Profession hat ihren eigenen Blick aufs Kind und möchte sich für diesen nicht rechtfertigen“, sagt sie. Und nennt ein konkretes Beispiel aus ihrem Schulalltag: „Neulich beobachteten eine Lehrerin und eine Sozialpädagogin einen Schüler, der auf einen Baum kletterte. Die Lehrerin wollte ihn sofort herunterrufen, die Sozialpädagogin strahlte, weil sich der Junge endlich einmal etwas zutraue.“

Unterschiedliche Gehälter, Arbeitszeiten und -verträge, differierende Vorstellungen von Ordnung und Disziplin in möglicherweise gemeinsam genutzten Räumen gelten als weitere Konfliktpunkte. Emilia Grzegorczyk aber ist überzeugt, dass solche Hürden überwunden werden müssen. „Die Kinder stehen schließlich im Mittelpunkt. Alle, die sich mit ihnen beschäftigen, müssen gemeinsam die Frage beantworten, was sie für eine gute Lernentwicklung benötigen“, verlangt sie. Sie ist überzeugt: „Mehr miteinander sprechen, sich kennenlernen und verstehen ermöglicht eine erfolgreiche Arbeit in multiprofessionellen Teams.“

Eine mögliche konkrete Umsetzung im Alltag schildert die Bonner Schulsozialarbeiterin Wiltrud Derks: „Wir sind gemeinsam in der Lage, auf ungewöhnliche Entwicklungen in einer Klasse zu reagieren. So wird z.B. ein „Mobbing – Vorfall“ berichtet. Dann kann ich das Opfer über das Projekt „Kleine Hundetrainer“ bei der Verarbeitung des Erlebten unterstützen. Ich kann gemeinsam mit den OGS-Erziehern Gesprächskreise mit den Kindern durchführen. Zusätzlich geht die Klasse mit Lehrern und der Schulsozialarbeit klettern. Die Kinder spüren, wie sich ein Miteinander im Team anfühlt.“ Erziehungswissenschaftler sind überzeugt: Dieses Vorleben eines Teams überträgt sich auf die Haltung der Kinder.

Stephan Lüke, Klett-Themendienst

Kompakt
Die Arbeit in multiprofessionellen Teams ist in Deutschland anders als etwa in Kanada längst noch nicht an allen Ganztagsschulen die Regel. Auch in der Lehrerausbildung schlägt sich die Tatsache, dass dort unterschiedliche Berufsgruppen zusammenarbeiten und die Schüler betreuen, noch nicht entsprechend nieder. Das zeigt der aktuelle Monitor Lehrerbildung von Bertelsmann Stiftung, CHE Centrum für Hochschulentwicklung, Deutsche Telekom Stiftung und Stifterverband. Für die Studie wurden Hochschulen und Vertreter der Bundesländer befragt. Mit dem Ergebnis: Die Lehrer von morgen werden nur teilweise auf die Arbeit in multiprofessionellen Teams vorbereitet. In weniger als der Hälfte aller befragten Hochschulen gibt es entsprechende verpflichtende Lehrveranstaltungen. Nur im Lehramtsstudium für Sonderpädagogik bieten mehr als die Hälfte der befragten Hochschulen passende Lehrveranstaltungen an.