Klett-Themendienst Nr. 79 (12/2017)

Das Familienbild von einst existiert nicht mehr. Während Patchwork fast schon den Grad der Normalität erreicht hat, gilt die Ehe für alle geradezu als revolutionäres Neuland. Die gesellschaftliche Realität darzustellen, stellt Schulbuchverlage vor eine neue Herausforderung.

Papa geht ins Büro, Mama winkt ihm mit dem Kind auf dem Arm zum Abschied freundlich hinterher und fragt noch schnell: „Was würdest Du denn heute Abend gerne essen?“  Wer erinnert sich nicht an solche und ähnliche Illustrationen. In Kinderbüchern, aber eben abgewandelt auch in Schulbüchern. Natürlich spiegeln derartige Szenen auch heute noch das Leben in manch einer Familie wider. Aber eben nur in manchen.
Der Wandel ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ein langer Prozess. Erinnert sei beispielsweise auch an die Proteste von Schweizer Frauenrechtlerinnen in den 1970er Jahren. Sie stießen eine grundlegende Überarbeitung der Unterrichts-Materialien an. Diese Reform inspirierte die Gleichstellungsverantwortlichen der Kantone 1999 zu ihrem Bericht „Von alten Bildern und neuen Tönen“.

Auch Dr. Ilas Körner-Wellershaus, Verlagsleiter beim Klett-Verlag, weiß: „Wir sind schon seit Jahrzehnten bemüht, die Darstellung in unseren Schulbüchern möglichst klischeefrei zu gestalten.“ Galt es  vormals eher darum,  die Rollen von Mädchen und Jungen weniger stark in gewohnte Schubladen zu packen, so ist die Aufgabe heute deutlich komplexer. Das Bild von Familien ist vielfältiger geworden, klassische Familienbilder bestehen ebenso wie andere Formen von Familie. „Dieser Vielfalt und Diversität müssen wir uns stellen, wenn wir neue Lehrwerke entwickeln“, erklärt Körner-Wellershaus. Für ihn ist wichtig: „Schülerinnen und Schüler sollten ihre Lebenssituationen wiederfinden. Wenn Kinder beispielsweise aus einem gleichgeschlechtlichen Elternhaus stammen, müssen sie in den Schulbüchern einen Bezugspunkt finden können.“ Die Darstellungen sollten so gewählt sein, dass sie bei Abbildungen von Familie und Zusammenleben Klischees in jeglicher Hinsicht vermeiden. „Es sollte eben nicht der Eindruck entstehen, ach, da gibt es auch noch diese Lebensform“, wünscht er sich. Und nennt gleich noch ein Beispiel: „Es kann ja nicht noch so weit gehen, dass etwa im Fach Geschichte die sexuelle Orientierung von Herrschern zum Thema gemacht wird. Das wäre nur eine Verengung auf bestimmte Merkmale.“

„Bilder im Kopf“

Zustimmung erhält er von der Diakonie und dem Caritasverband Düsseldorf sowie dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Gemeinsam haben sie das Projekt „Bilder im Kopf! Vielfalt in Kinder- und Jugendmedien“, gefördert durch den Europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, ins Leben gerufen. Sie betreiben Aufklärungsarbeit. „Wenn wir uns viele Medien ansehen, so entdecken wir meistens eine rein, weiße Welt`. Doch eine derartige Monokultur entspricht nicht der Wirklichkeit, der gesellschaftlichen Realität mit ihren vielen Facetten“, sagen Aynur Tönjes (Diakonie) und Angela Santamaria (Caritasverband). Ihr Wunsch: „Optimal wäre, wenn einem eines Tages überhaupt nicht mehr auffällt, dass in einem Buch Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen, verschiedenen Hautfarben, Größen etc. abgebildet sind. So wäre die Vielfalt Normalität.“

Dass sich die Erkenntnis für die zeitgemäße Präsentation von Familien- und Rollenbildern nur langsam Bahn bricht, weiß Lüder Ruschmeyer. Der heutige Schulleiter des Kölner Gymnasiums Kreuzgasse erinnert sich gut an eine Schulleiterqualifizierung des Landes Nordrhein-Westfalen vor knapp zehn Jahren. „Das Material mit dem wir arbeiten sollten, war das Geschlechterbild betreffend,  sehr veraltet. Die Schulleiter waren alle männlich, die Lehrerinnen schauten ehrfurchtsvoll, bekleidet mit kurzen Röcken zu ihnen auf“, berichtet er. Proteste führten immerhin dazu, dass die Neuauflagen in den folgenden Jahren verändert wurden. „Ich glaube, wir haben alle noch einen hohen Handlungs- und Sensibilisierungsbedarf auf allen Ebenen, wenn es um ein geschlechtersensibles Familienbild geht“, betont er. Von den Lehrerkollegien in den Schulen erhofft er sich, dass diese bei der Auswahl neuer Bücher nicht nur auf pädagogische Praktikabilität oder methodische Abwechslung achten, sondern dies mit einem „emanzipatorischen Blick“ tun.

Eine realistische Darstellung ist notwendig

Solchen Überlegungen schließt sich der Vorsitzende des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, an: „Die Gesellschaft hat sich verändert, die Familien ebenfalls. Sie sind noch bunter und vielfältiger geworden. Das sollte sich in möglichst jedem Lehrwerk, das neu aufgelegt wird, auch widerspiegeln.“ Das sieht Verlagsleiter Dr. Ilas Körner-Wellershaus ähnlich: „Wir haben einen Bildungsauftrag zu erfüllen und der beinhaltet auch eine realistische Darstellung der vielfältigen Gesellschaft. Wir diskutieren das bei jedem neuen Lehrwerk in aller Offenheit.“ Er ist sich der Verantwortung der Schulbuchverlage bewusst. Schließlich warnen Expertinnen und Experten schon lange: Rassistischen, sozialen oder historischen Klischees liege dieselbe „Logik“ zugrunde wie jene der Darstellung von Geschlechterrollen in Schulbüchern.

Autor: Stephan Lüke

Buchtipp:
Im Kapitel „Alles Familie“ setzen sich Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Familienformen auseinander. Das Deutsch-Lehrwerk wurde für den Unterricht in Baden-Württemberg konzipiert und nimmt damit Bezug auf die im Bildungsplan genannte Leitperspektive Bildung für Toleranz und Vielfalt.
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