Klett-Themendienst Nr. 80 (1/2018)

Lehrerinnen und Lehrer sind besonders häufig vom Burnout betroffen. Die Gründe für den beruflichen Druck sind höchst vielfältig. Große Klassen, das schlechte Abschneiden von Schüler/-innen bei Vergleichsstudien oder auch Schulreformen sind von Experten oft diskutierte Ursachen. Was kann dagegen getan werden?

Psychosomatische Erkrankungen sind der Hauptgrund, wenn Lehrer länger als sechs Wochen in der Schule ausfallen. So hat nach aktuellen Zahlen der Landesschulbehörde jeder dritte der rund 4600 langzeiterkrankten Lehrer in Niedersachsen psychische Beschwerden. Besonders betroffen sind Grundschullehrer ab 50 aufwärts, die vor allem an depressiven Episoden, Angststörungen oder Erschöpfung leiden.
Dirk Lehr, Professor für Gesundheitspsychologie an der Uni Lüneburg, hat zu diesem Thema geforscht und Studien anderer Autoren ausgewertet. Nach einer repräsentativen Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unter mehr als 20 000 Erwerbstätigen sind Lehrer deutlich häufiger als andere Berufsgruppen von Erschöpfung (mehr als jeder Zweite), Kopfschmerzen (über 40 Prozent), Nervosität und Reizbarkeit (knapp 40 Prozent) sowie von Schlafstörungen (35 Prozent) betroffen. Nach der Potsdamer Lehrerstudie, für die 16 000 Lehrkräfte befragt wurden, liegt die Burnout-Rate bei 29 Prozent – zusammen mit Erziehern die höchste Rate aller Berufe.

Laut Lehr legen einige Studien den Schluss nahe, dass das Risiko für spätere psychische Erkrankungen erhöht ist, wenn Berufsanfänger unrealistische Erwartungen an ihren Einfluss auf Schüler und überhöhte Leistungsansprüche an sich selber haben. Wichtig sei die Förderung von Verhaltensweisen, die der Erholung dienten – zu starke negative Gedanken verhinderten dagegen einen erholsamen Schlaf, was das Risiko von Depressionen und Herzerkrankungen erhöhe. Auf der Grundlage dieser Studien hat das Lüneburger Institut LernGesundheit unter dem Titel „Stark im Stress“ ein Überlastungstraining für Lehrer entwickelt (siehe www.training-sis.de).

Lutz Schumacher leitete ein Projekt, in dem 30 Schulen in ganz Deutschland über drei Jahre bei der Verbesserung der Gesundheitsbedingungen beraten und rund 1000 Lehrkräfte befragt wurden. Der Professor für Personalmanagement an der Alice Salomon Hochschule Berlin hat dabei drei etwa gleich große Gruppen von Pädagogen ausgemacht: Die gesunden und zufriedenen Progressiven, die für Veränderungen offen sind; die gesunden und zufriedenen Desinteressierten, die alles beim Alten lassen wollen; die belasteten und unzufriedenen Resignierten, deren psychische Gesundheit angegriffen ist und die Veränderungen als dringend nötig bezeichnen – an deren Realisierung sie aber nicht glauben.

„Wir haben keine Vorgaben gemacht, sondern die Lehrer konnten sagen, was verändert werden soll. Dabei fiel auf, dass Probleme mit der Schulleitung am seltensten Thema war, aus Angst vor Konflikten“, sagt Schumacher. Aus seiner Sicht haben Schulleiter eine Schlüsselrolle – von ihnen hänge ab, ob Lehrer sich unterstützt fühlen und eine Reaktion auf ihre Tätigkeit bekommen, ob sie an Entscheidungen beteiligt werden und ob ein Gruppengefühl an der Schule entsteht, an der man gemeinsame Werte und Ziele teilt. Die Schulleitung spiele zudem eine entscheidende Rolle bei der Schulorganisation.
Dazu gehört auch die Gestaltung des Lehrerzimmers, die das Wohlbefinden verbessern kann – davon ist Sebastian Ginser überzeugt, Fremdsprachenlehrer am Gymnasium Burgdorf bei Hannover. An der 860 Schüler und 80 Lehrer zählenden Schule wurde in den letzten großen Ferien das 50 Jahre alte Lehrerzimmer umgebaut und neues Mobiliar angeschafft. Neue Teppiche und abgehängte Decken sorgen für weniger Lärm, der Einbau von Nischen bringt mehr Raum für kleine Gruppen, ein neuer Ruheraum kann für das Nickerchen zwischendurch an der Ganztagsschule genutzt werden. „Früher sind viele Kollegen sofort nach ihrem Unterricht nach Hause gegangen, weil es hier laut und nicht schön war. Jetzt bleiben viele länger zum kollegialen Austausch. Außerdem kann man sich auch eher mit einem Kaffee zurückziehen und wirklich eine Pause machen“, sagt Ginser.

„Unsere Schulleiterin trägt in der Konferenz nur neue Gesetzestexte vor und nimmt uns Lehrer gar nicht wahr. Keiner hat den Mut, Probleme anzusprechen, ich auch nicht. Das macht mir am meisten zu schaffen. Ich bekomme manchmal von Eltern und Schülern positive Rückmeldungen, mache eine Therapie und treibe Sport, das hält mich über Wasser.“ Karl Gebauer, 25 Jahre Rektor einer Göttinger Grundschule und heute im Ruhestand, schildert ein Gespräch, das er vor kurzem mit einer Bekannten führte, die ihm von ihrer Schlaflosigkeit und dem innerlichen Rückzug aus dem Beruf berichtete.

Zu den Belastungsfaktoren im Lehrerberuf gehören nach seinen Worten neben Konflikten mit Kollegen oder der Schulleitung u.a. große Klassen, ungeeignete Räume, schwierige Schüler sowie Neuerungen im Schulsystem. „Der Stress wächst seit der Diskussion um das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler beim Pisa-Test im Jahr 2000. Seitdem ist alles auf Effizienz ausgerichtet. Der Druck von Ministerien und Eltern nimmt zu. Der Schulleiter hat heute mehr Macht und sagt, wo es langgeht und viele Lehrer ziehen sich zurück. Nicht Menschen, sondern Ziele stehen im Vordergrund und die nötige Empathie wird zurückgedrängt“, kritisiert Gebauer. Nach seiner Überzeugung ist das Einfühlungsvermögen in andere Personen eine Quelle für einen besseren Umgang mit Stress. Gebauer rät, mit vertrauten Kollegen über Gefühle und Belastungen zu sprechen und gemeinsam nach Veränderungsmöglichkeiten zu suchen.

In seinem Buch „Stress bei Lehrern. Probleme im Schulalltag bewältigen“ beschreibt Gebauer, wie an seiner einstigen Schule in einem Team von 16 Lehrern Problemfälle intensiv besprochen wurden, u.a. durch Rollenspiele, auf der Grundlage von Aufzeichnungen in einem pädagogischen Tagebuch oder dem Zeichnen von Karikaturen, die Konflikte verbildlichen sollen. Eine seiner Empfehlungen am Ende des Buches: „Fehlschläge und Misserfolge sind Teil der Arbeit. Sie müssen als normal angesehen werden. Lehrkräfte sollten darauf achten, dass sie Misserfolge nicht gleichsetzen mit einer allgemeinen Unfähigkeit für Erziehungsprozesse. Aus Fehlern kann man lernen. Ist diese Lernfähigkeit nicht mehr vorhanden, ist dies oft ein deutlicher Hinweis aus Stress. Wenn kein Ausweg mehr gesehen wird, sollten die Alarmglocken läuten. Man muss sich dann selbst auf den Weg machen, um aus einer solchen Sackgasse wieder heraus zu kommen. Dabei geht es oft nicht ohne die Hilfe eines Teams oder einer Therapie.“

Autor: Joachim Göres

Kompakt
Nach verschiedenen Studien reagiert rund ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer mit psychischen Problemen auf den Alltagsstress in ihrem Beruf. Besonders schwer fällt es vielen, Konflikte im Kollegium anzusprechen. Experten betonen die besondere Bedeutung der Schulleitung für einen offenen Austausch und die Notwendigkeit für belastete Pädagogen, sich Unterstützung bei Kollegen zu suchen.