Das war vor einigen Jahren. Heute hält die junge Lehrerin rückblickend fest: „Ich habe diesen Workshop als sehr interessant empfunden, weil er den Teilnehmenden eine ‚Außenansicht‘ auf die eigene Stimme und deren Wirkung ermöglichte. Ich denke, dass die Stimme ein wichtiges Werkzeug einer Lehrerin oder eines Lehrers ist und man wissen bzw. lernen sollte, wie man seine Stimme bestmöglich einsetzt“.
Inzwischen arbeitet Julia Holz an der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Bonn. Sie hat einige Jahre Berufserfahrung hinter sich und wird für ihren entspannten Umgang mit Schülerinnen und Schülern geschätzt. Konnte sie von dem Stimmbildungs-Seminar in der Praxis profitieren? „Ja. Ich habe festgestellt, dass man als Lehrkraft schon allein durch seine Stimme Autorität und Selbstbewusstsein ausstrahlen kann. Außerdem halte ich den richtigen ‚Ton‘ immer dann für besonders wichtig, wenn man in einer aufgeladenen Situation deeskalierend wirken möchte. Ich denke deshalb, dass Stimmbildung ein verpflichtender Bestandteil der Ausbildung sein sollte.“.
Präsent sein durch Stimme und Haltung
Julia Holz hat gelernt, den „richtigen Ton“ zu treffen – das möchten viele Referendarinnen und Referendare auch können. Aber wie geht das? Antworten kennt Diana Krätschmer. Sie ist Staatlich geprüfte Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin und praktiziert in München, u.a. auch als Trainerin für Lehrkräfte. Als sie vor einiger Zeit im Klett-Treffpunkt München mit Lehrerinnen und Lehrern arbeitete, bestätigte sich ihre These, dass diesen oft nicht bewusst sei, wie eng Atmung, Körperhaltung, Artikulation und Stimme zusammenhänge. Dabei hängen von einem guten Miteinander dieser vier „Akteure“ sowohl die körperliche als auch die stimmliche Präsenz im Klassenzimmer ab. „Muskuläre Fehlspannungen, egal wo, wirken sich immer behindernd auf andere Bereiche aus, so auch auf das feine Zusammenspiel der Kehlkopfmuskeln. Viele Menschen atmen zum Beispiel in der Hochatmung. Das heißt, die Atmung bewegt sich nur in dem Gebiet rund um Hals, Schultern und Brustbein. Unsere Haupt-Atemmuskulatur für ein gesundes, tragfähiges Atmen und eine physiologisch-ökonomische Stimmgebung sind dagegen das Zwerchfell, die äußere Zwischenrippenmuskulatur und der Bauchraum“.
Und wie gelingt es der Trainerin, ein über viele Jahre angewöhntes falsches Atmen bzw. individuelle Verspannungen abzubauen? Diana Krätschmer erläutert ihr Vorgehen mit einem Bild: „Stellen Sie sich eine Artischocke vor. Nach und nach bauen wir die Formen der Fehlfunktionen in Stimme und Atmung ab und bauen gleichzeitig Aspekte einer gesunden Atmungs- und Stimmfunktion wieder auf. In der Therapie geht es mir darum, diesen Auf- und Abbau in eine gute Balance zu bringen. Konkret sieht das so aus, dass ich mit meinen Patientinnen übe, bewusst zu gehen, zu stehen, zu atmen oder zu artikulieren. Wer sich zum Beispiel darauf konzentrieren kann, seine Füße zu spüren, steht sicher im Raum und zieht Kraft und Ausstrahlung aus dieser Haltung.“
Warnzeichen: häufige Heiserkeit
Der Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin ist es wichtig, angehende Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren, dass Stimmarbeit nicht nur bedeutet, mit und an der Stimme zu arbeiten, sondern dass zum Beispiel ein sicherer Stand und eine entspannte, aufrechte Haltung unbedingt dazugehören. Die meisten der angehenden Lehrerinnen und Lehrer haben dies im Rahmen ihrer Ausbildung nicht gelernt. In einem Beruf, der zu fast 100 Prozent aus stimmlicher Präsenz besteht, kann das unangenehme Konsequenzen haben: Die Stimme wird krank.
Eine kranke Stimme, die zum Beispiel durch häufige Heiserkeit, Kehlkopfentzündung oder ein komplettes Stimm-Versagen auf sich aufmerksam macht, ist für die Betroffenen nicht nur ein physisches Problem. Wer als Person nicht „stimmig“ wirkt, leidet häufig auch unter einer mangelnden Akzeptanz bei Schülerinnen und Schülern, bei Kolleginnen und Kollegen. Anders gesagt: „Eine angenehme Stimme ist sehr oft mit sonst guten Eigenschaften des Leibes und der Seele verbunden“ (Georg Christoph Lichtenberg, 1742 – 1799).
Aufmerksam bleiben ist beste Prävention
Am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasium) in Karlsruhe begegnet man dieser komplexen Problematik mit einer Zusatzausbildung zum „Umgang mit der Stimme im Lehrerberuf“. Sie umfasst u.a. die Themen Überleben im schulischen Sprechalltag, die Kunst des Atems, Verbesserung der Körperwahrnehmung. An der Universität Leipzig ist ein Phoniatrisches Gutachten (Phoniater sind Fachärzte für die Stimme) sogar verbindliche Immatrikulationsvoraussetzung für alle Lehramtsstudiengänge. Die Begründung auf der Homepage lautet: „Wer sich in einen Lehramtsstudiengang einschreibt, sollte sicher sein, dass er die stimmlichen und sprecherischen Voraussetzungen für den Sprechberuf erfüllt.“
Häufig nimmt die Sensibilität für die Bedeutung der eigenen Stimme im Beruf bei Lehrerinnen und Lehrern mit der Anzahl der Berufsjahre zu. Spätestens dann, wenn der Unterricht wegen einer angeschlagenen Stimme immer wieder ausfallen muss, wenden sich Lehrkräfte an einen Facharzt. Können organische Gründe ausgeschlossen werden, ist der Weg zur Stimmtherapie nicht weit. Was aber kann man präventiv tun? Diana Krätschmer: „Am besten ist es, aufmerksam zu bleiben und zu registrieren, ob das Sprechen anstrengend wird, ob man das Gefühl hat, ein Fremdkörper sitzt im Hals oder ob man sich sehr häufig räuspern muss – alles Anzeichen dafür, dass die Stimme und damit der Mensch mehr Aufmerksamkeit braucht“.
Inge Michels