Klett-Themendienst Nr. 83 (06/2018)

15 Jahre ist es her, da wurde an bayerischen Gymnasien Informatik als verpflichtendes Unterrichtsfach eingeführt. Bis heute ist Bayern das einzige Bundesland, in dem Informatik fest an den Schulen verankert ist. Maßgeblich am Aufbau beteiligt war der Informatik-Didaktiker und Autor Professor Peter Hubwieser. Ein Gespräch.

Bayern hat mit der Einführung der Informatik als verpflichtendes Unterrichtsfach 2003 eine Vorreiterrolle übernommen. Warum war es so wichtig, ein solches Schulfach zu installieren?

Beim Schulfach Informatik ging und geht es auch heute noch primär darum, den Bürger mündiger zu machen. Es muss nicht jeder Informatik studieren. Es ist aber wichtig, dass die Menschen, die irgendwann auch beruflich in Entscheidungspositionen gelangen, wissen, worüber sie reden. Man kann in seinem Unternehmen nur die passende Strategie und Software auswählen, wenn man die nötige Kompetenz hat. Diese Informatikkompetenz muss in die Gesellschaft, um einerseits wirtschaftlich die richtigen Entscheidungen treffen zu können und um sich andererseits auch privat angemessen zu schützen. Das fängt schon mit der Passwortsicherheit an. Wenn Sie ein Passwort aus fünf Zeichen nehmen und dann nur Kleinbuchstaben verwenden, dann kann das jeder handelsübliche Computer in ein paar Millisekunden knacken, indem er einfach alle Möglichkeiten durchprobiert. Wenn Sie das Passwort aber 20 Zeichen lang machen und einen Zeichensatz inklusive Zahlen, Sonderzeichen und Großbuchstaben verwenden, dann dauert das viel länger, als das Universum besteht.

Wie werden die Schülerinnen und Schüler aktuell auf die beruflichen Anforderungen im Informatikunterricht vorbereitet?

Im Moment ist es so, dass es im Gymnasium in Bayern für alle Zweige zweimal je eine Stunde Informatik in der 6. und 7. Jahrgangsstufe gibt. Da geht es um Strukturen von elektronischen Dokumenten bis hin zu einer Einführung in die Programmierung. Weiter geht es im naturwissenschaftlich-technologischen Zweig mit einem 2-stündigen Pflichtfach in der 9. und 10. Klasse. Da lernen die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel mathematische Strukturen mit Tabellenkalkulationen und Datenbanksysteme kennen. In der 11. und 12. Jahrgangsstufe wird das Informatik-Angebot weitergeführt.
Wir haben in Bayern derzeit etwa 1.000 Informatik-Abiturienten im Jahr, die fast alle irgendwo Informatik studieren, soweit wir das wissen. Von der Wirtschafts-Informatik bis hin zu Informatik-Lehramt. Aber im Vergleich zu den 25.000 Schülern, die in der 9. und 10. Klasse das Fach besuchen, sind es immer noch zu wenig. Die Realschule hat das Unterrichtsfach Informationstechnologie, das Grundlagen der Informatik vermittelt und diese mit praktischen Anwendungen verknüpft. In der Grund- und Mittelschule gibt es noch keine zentralen Angebote.

Das soll sich ab dem kommenden Schuljahr zumindest zum Teil ändern.

Das stimmt. Im Masterplan Bayern Digital II, den die Staatsregierung 2017 verabschiedet hat, ist vorgegeben, dass an allen weiterführenden Schulen Informatik zum Pflichtfach wird. Somit bekommt auch die Mittelschule ein Pflichtfach Informatik, das wohl pro Jahrgangsstufe eine Wochenstunde haben wird. Das wird eine große Herausforderung, weil allein für die Mittelschulen in Bayern etwa 1.500 Lehrkräfte ausgebildet werden müssen. Bei den Realschulen gibt es künftig eine Wochenstunde mehr pro Jahrgang. Auch hier wird also massiv ausgebaut.
Am Gymnasium haben wir ohnehin die Umstellung von G8 auf G9. Das macht man sich zunutze und bietet in der 11. Jahrgangsstufe ein zusätzliches 2-stündiges Pflichtfach Informatik für alle an. Dadurch ist die Informatik einer der Haupt-Profiteure des neunjährigen Gymnasiums. Mit diesen Maßnahmen ist Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern wirklich sehr gut aufgestellt.

Sie sprachen gerade die Informatik-Lehrkräfte an. Der Bedarf ist groß. Woher kommen die nun?

Das ist in der Tat ein kritischer Punkt. Viele junge Menschen werden ja zum Lehramtsstudium durch Vorbilder angeregt. Wir hatten gehofft, dass es mehr Interessierte geben wird, wenn es auch ein Fach Informatik gibt. Leider hat sich die Anzahl der Lehramtsstudierenden in Informatik, nachdem das Fach 2011 durchgelaufen ist, kaum erhöht. Das ist aber ein internationales Problem. Die USA und England haben auch mit dem Nachwuchsmangel zu kämpfen. Denn diejenigen, die in Informatik richtig gut sind, wollen selten den Lehrberuf ergreifen. Dementsprechend geht es in Bayern nun auch darum, Lehrkräfte per Nachqualifizierung auszubilden.

Wird es auch neue Lehrinhalte und Konzepte geben?

Die grundlegenden Konzepte haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum geändert. Der Aufbau eines Computers und auch die Programmiersprachen sehen prinzipiell immer noch so aus wie vor 30 Jahren. Es gibt zwar ein paar Elemente mehr im Computer und die Hardware wird immer schneller, aber die grundsätzlichen Mechanismen sind gleich geblieben. Und die gilt es zu vermitteln. Wenn man die einmal verstanden hat, dann weiß man auch, wo man ansetzen kann. Konzepte ändern sich kaum. Was sich natürlich ändert, sind die Anwendungen. Das ist dann Aufgabe der Lehrer, diesen Anwendungskontext mit aktuellen Beispielen zu veranschaulichen.

Stichwort „Digitales Klassenzimmer“. Ein Segen?

Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, dass die Schulen mit der Digitalisierung Schritt halten. Dabei sollte man aber auch darauf achten, „analoge“ Werte zu bewahren. Ich finde es schön, wenn die Kinder auch noch mit dem Pinsel malen und nicht nur am Bildschirm. Und auch mal mit der Hand schreiben und nicht nur tippen. Es ist ein Irrweg, wenn man glaubt, dass man erst einmal irgendwelche Geräte an die Schulen bringen und sich dann erst überlegen kann, was man damit machen sollte. Denn bis man sich das überlegt hat, sind die Geräte auch schon wieder veraltet. Sinn ergibt es nur andersherum: Erst muss das Konzept da sein und dann das Gerät.

Autorin: Nicole Schmitt

Zur Person
Prof. Dr. Peter Hubwieser ist Leiter der Professur für Didaktik und Informatik an der TU München. Er war maßgeblich an der Einführung eines neuen Pflichtfaches Informatik an bayerischen Gymnasien beteiligt. Anfang 2017 wurde er von der Bayerischen Staatsregierung zum Sprecher für den Bereich „Bildung“ im „Zentrum Digitalisierung.Bayern“ berufen. Er ist Autor des bei Klett erschienenen Lehrwerkes „Informatik“.

Buchtipp:
Informatik 1A (Objekte, Klassen, Strukturen), Ausgabe Bayern ab 2018, Schülerbuch Klasse 6, ISBN: 978-3-12-731111-2 Eine auf Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler aufbauende Be-griffsbildung hilft, Modellvorstellungen und ein Verständnis von Informatik zu entwickeln. Das abwechslungsreiche Aufgabenangebot bietet die Möglichkeit, das Gelernte zu festigen und anzuwenden. Aufgaben aus ganz unterschiedlichen Bereichen zeigen dabei die Bedeutung der Informatik im Alltag auf.
https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-731111-2?searchQuery=731111