Klett-Themendienst Nr. 84 (10/2018)

Seit 25 Jahren gibt es die Hamburger Schreib-Probe (HSP) als deutschlandweiten Rechtschreibtest. Die HSP hat die Haltung der Lehrkräfte geändert, die mit ihr arbeiten. Und sie ist im digitalen Zeitalter angekommen.

Im Sommer 2018 hat eine Studie für Wirbel gesorgt. Mit einem Team von Wissenschaftlern der Universität Bonn untersuchte Entwicklungspsychologin Una Röhr-Sendlmeier, die Leiterin der Studie, die Rechtschreibleistungen von rund 300 Kindern aus Nordrhein-Westfalen, die mit Fibelmethode, Rechtschreibwerkstatt oder Lesen durch Schreiben lernten: Das wichtigste Ergebnis der Studie: Schüler, die nach der Fibelmethode lernen, machen deutlich weniger Rechtschreibfehler als andere. Während die Fachwelt nun darüber diskutiert, welche Konsequenzen aus der Studie gezogen werden sollten, weiß Frank Albaum jedenfalls: Zur Rechtschreibung gehört eine aussagekräftige Diagnose. Seit etlichen Jahren führt Albaum Lehrkräfte an pädagogischen Tagen in Theorie und Praxis der Hamburger Schreib-Probe (HSP) ein. Ferner arbeitet er als Korrektor für die HSP. Was er an der HSP schätzt, ist der schülerfreundliche Ansatz, ein Ansatz, der kreative Lernwege bei der Rechtschreibung schätzt und nicht abstraft. „Die Schülerinnen und Schüler erfahren, was sie schon richtig schreiben können. Das ist zielführender, als zu sagen, das Wort als Ganzes ist falsch geschrieben“, sagt Frank Albaum. Das motiviert auch die Schülerinnen und Schüler, ihre Rechtschreibung zu verbessern.

„Kinder kopieren nicht einfach Erwachsene“

Die Hamburger Schreib-Probe ist ein bewährtes Konzept, das die Rechtschreibung von Schülerinnen und Schülern in der Primarstufe und der Sekundarstufe I analysiert. Die Diagnose zielt darauf ab, grundlegende Rechtschreibstrategien zu erfassen, mit denen die orthografische Struktur der Wörter erschlossen werden kann. Mit der HSP wird nicht nur ausgewertet, ob Wörter oder Sätze richtig geschrieben sind. Vielmehr wird die Zahl der richtig geschriebenen Grapheme notiert. Damit leistet die HSP auch einen Beitrag, die defizitorientierte Sichtweise auf den Spracherwerb von Schülerinnen und Schülern zu überwinden. Nicht Fehler stehen im Mittelpunkt des Betrachters, sondern das, was Schülerinnen und Schüler schon können. Und das zeigt sich auch anhand einer teilweise richtigen Schreibung. Aus dem Satz „Der Torwart schimft mit den Schidsrichter“ lernt Frank Albaum als Korrektor der HSP schon einiges über die Rechtschreibstrategie eines Schülers. 

Nun wird die Hamburger Schreib-Probe (HSP) 25 Jahre alt. Wie mit der Lupe schauen Lehrkräfte dank der HSP heute differenzierter als früher auf die Leistungen von Kindern und Jugendlichen in der Rechtschreibung. „Kinder kopieren nicht einfach, was Erwachsene ihnen vorgeben. Vielmehr variieren sie von früh an, das was sie aufgenommen haben und versuchen, es eigenständig in einen regelhaften Prozess zu bringen“, sagt Dr. Peter May, der die HSP mit anderen Autoren zusammen zu Beginn der 1990er Jahre für den  „verlag für pädagogische medien“ (vpm)  entwickelt hat. Heute gehört vpm zum Ernst Klett Verlag.

In den 1980er Jahren hatte May als Schulpsychologe der Hamburger Bildungsbehörde den Auftrag, die Kinder auszuwählen, die einen besonderen Förderbedarf im Lesen und in der Rechtschreibung hatten. Die damals verbreiteten Tests erwiesen sich aber als nicht geeignet, um Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwächen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu fördern.
Rechtschreibtests, die nach dem Prinzip richtig oder falsch ausgewertet werden, konnten nicht angemessen die Rechtschreibleistungen von Kindern im unteren Leistungsbereich erfassen, das war eine wichtige Erkenntnis von Peter May. Wenn man denselben Rechtschreibtest nach der Anzahl richtig geschriebener Grapheme auswertete, so May, dann genügten die Grapheme von zehn ausgewählten Wörtern, um die Differenzierungsfähigkeit im unteren Leistungsdrittel deutlich zu erhöhen. „Das ist die Kunst, mit wenig Aufwand viel zu erfassen“, sagt May. Daher wurde 1984 die HSP in Hamburg eingeführt und seit 1993 gibt es sie bundesweit.

Wörter aus der Lebenswelt der Kinder

„Wir lassen die Schüler Wörter aus ihrem Leben schreiben und zählen dann aus, wie viele Buchstaben sie richtig haben“, erläutert Peter May die Idee zum damals völlig neuen diagnostischen Konzept. Wenn die Grundschülerin Nadine zum Beispiel „Farat“ schreibt, dann hat sie das Wort nach dem DRT (Diagnostischer Rechtschreibtest) falsch geschrieben. Bei der HSP hingegen verzeichnen Korrektoren bei der Schreibweise „Farat“ drei Treffer, sogenannte Graphemtreffer. Ein Graphem ist – vereinfacht gesagt – ein Buchstabe oder eine Buchstabenkombination wie „sch“ oder „ie“, durch die sprachliche Laute verschriftlicht werden, wobei auch die orthografischen Regeln des jeweiligen Schriftsystems eine Rolle spielen. Das Wort „F-ah-r-r-a-d“ zum Beispiel besteht aus sechs Graphemen, von denen Nadine mit „Farat“ tatsächlich schon drei geschrieben, also „getroffen“ hat. 

Bei ihrer deutschlandweiten Einführung vor 25 Jahren wandten Kritiker zunächst gegen die HSP ein: „Das können Sie doch nicht als richtig bewerten.“ Laut Peter May hatten Kritiker damals noch nicht verstanden, dass sich Schülerinnen und Schüler die Regeln und Prinzipien der Rechtschreibung schrittweise aneignen. Sie hatten auch noch nicht realisiert, dass Lernen ein eigenaktiver Prozess ist, an dessen Zwischenstationen man diagnostisch erfassen kann, wo die Kinder stehen. Das ist lernpsychologisch sinnvoll und führt zu einer anderen Haltung Kindern und Jugendlichen gegenüber, die sich mit der Rechtschreibung schwertun. Das kann man an der Arbeit von Sprachförderlehrkräften ablesen.

Offene Haltung individuellen Lernwegen gegenüber

Seit zehn Jahren arbeitet Monika Nießen, Sprachtrainerin und Lerncoach, mit der Hamburger Schreib-Probe. Die Erfahrung lehrt sie, dass der Schulbetrieb insgesamt immer noch grundsätzlich eher defizitorientiert ist. Ihre Aufgabe sieht sie daher darin, Mädchen und Jungen mit Lese- und Rechtschreibschwäche so zu fördern, dass sie die gleichen Chancen haben wie nicht benachteiligte Kinder. Die individuelle Förderung gelingt ihr am besten nach einer Diagnose mit der HSP. „Gefallen hat mir der Ansatz, nicht zu zeigen, was ein Kind nicht kann, sondern was es kann“, sagt Monika Nießen. Fehler sind in ihren Augen „die konzentrierteste Diagnose“, die möglich ist. „Im Fehler zeigt sich, was jemand kann bis zu dem Punkt, an dem das Kind nicht weiterkann“, sagt Nießen. Sprachförderung sollte laut der Sprachtrainerin immer auch Denkförderung sein. In dieser Haltung drückt sich eine besondere Offenheit für die Persönlichkeit und für individuelle Lernwege der Kinder aus, die Nießen fördert.

Heute hat fast jede Lehrerin und fast jeder Lehrer von der Hamburger Schreib-Probe gehört. Mittlerweile gilt die HSP in allen Bundesländern als so eine Art State of the Art. „Bundesweit setzen sehr viele Schulen den Test regelmäßig ein und wir beobachten, dass es von Jahr zu Jahr mehr werden“, so Andreas Jessen, zuständig für die Testreihe beim Ernst Klett Verlag. In Zeiten, in denen Schulklassen immer heterogener, vielfältiger und unterschiedlicher werden, kommt ein handhabbarer Rechtschreibtest wie gerufen, der das obere und untere Leistungsspektrum gleichermaßen erfasst. Auch bei der Diagnose der Rechtschreibfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat sich die HSP bewährt. Und sie hat den Übergang ins digitale Zeitalter geschafft: Schon seit etwa zehn Jahren lassen sich die Tests im Online-Portal hsp-plus.de bequem elektronisch auswerten. Auch die Erweiterungen des Tests zur Diagnose im leistungsstärkeren Bereich, die Herr May in den vergangenen Jahren entwickelt hat, können online ausgewertet werden.

Autor: Arnd Zickgraf

Kompakt
Die Hamburger Schreibprobe wird seit 1993 bundesweit von Schulen eingesetzt, um regelmäßig die Rechtschreibkompetenzen zu testen und daraus entsprechende Fördermaßnahmen abzuleiten. Im Fokus des standardisierten Tests stehen sowohl das orthografische Strukturwissen als auch die Beherrschung der grundlegenden Rechtschreibstrategien. Berücksichtigt werden in den Tests auch die unterschiedlichen Leistungsverteilungen innerhalb von Stadtstaaten und Ballungsgebieten. Es gibt verschiedene Testversionen für die Klassen 1 bis 10, die manuell oder unter www.hsp-plus.de elektronisch ausgewertet werden.

Buchtipp:
Für die Klassen 1 bis 10 gibt es jeweils eigene Tests. Eine Übersicht finden Sie unter: https://www.klett.de/lehrwerk/hamburger-schreib-probe-ausgabe-ab-2018/einstieg