Felicia Peiffer ist Oberstudienrätin am Mittelrhein-Gymnasium Mülheim-Kärlich und dort Europakoordinatorin. Ihre Schule will Europaschule werden. Den Titel bekommen Schulen verliehen, die besondere Fremdsprachenangebote machen, ein Europa-Curriculum für alle Jahrgangsstufen entwickeln, Partnerschaften mit Schulen in Europa eingehen, internationale Begegnungen ermöglichen, älteren Schülern Praktika im europäischen Ausland vermitteln, Lehrern die Verbesserung ihrer Fremdsprachenkenntnisse sowie Auslandsaufenthalte anbieten sowie in ihrer Region den Europagedanken aktiv unterstützen. „An unserem Gymnasium gibt es einen bilingualen Zweig, man kann das deutsche und das britische Abitur machen. Wir haben einen Austausch mit mehreren Schulen im Ausland, den wir jetzt noch stärken werden. Für jeden Fachbereich entwickeln wir derzeit ein Europa-Curriculum. Die Kollegen bilden sich zum Thema „Europa in der Schule“ fort“, zählt Peiffer einige Punkte für das Engagement an ihrer Schule in Sachen Europa auf.
Peiffer kennt sich mit dem Thema aus, war sie doch an ihrem vorherigen Gymnasium bereits für die erfolgreiche Bewerbung zur Europaschule zuständig. „Dort gab es bei manchen Kollegen Befürchtungen, dass die Erfüllung der Kriterien mit zusätzlicher Arbeitsbelastung verbunden ist“, räumt sie ein. Manchmal hört sie von Schülern Bemerkungen wie „Wieso müssen wir immer alles für andere EU-Länder bezahlen?“ Umso wichtiger sei es, sich intensiv mit Europa zu beschäftigen. „Europaschule ist ein positives Label und ein Alleinstellungsmerkmal, um sich von anderen Schulen abzuheben“, sagt die Lehrerin für Englisch, Französisch und Italienisch.
Und was haben die Schüler davon? „Der Austausch ist für viele die erste Möglichkeit, Altersgenossen im Ausland kennenzulernen und zu erleben, dass sie gleiche Wünsche und Ängste haben. Die Selbstständigkeit steigt. Viele trauen sich so später eher zu, im Ausland zu studieren“, sagt Peiffer. Dazu trage auch ein veränderter Schüleraustausch bei: „Früher fuhren wir zum Beispiel nach Frankreich und die französisch Partnerklasse kam paar Monate später zu uns, zum Programm gehörten viele Besichtigungen. Heute sind häufig Schulen aus mehreren Ländern beteiligt. Englisch ist die gemeinsame Sprache, in der an Themen wie Rassismus oder Inklusion gearbeitet wird. Das ist intensiver.“ Sie wünscht sich besseres Lehrmaterial zum Thema Europa, ein Schulfach Europabildung sowie für angehende Lehrer die Verpflichtung, einen Teil des Studiums im Ausland zu absolvieren.
Bundesweit gibt es mehr als 600 Europaschulen, die meisten in Nordrhein-Westfalen (207) und Niedersachsen (170). Es sind vor allem Gymnasien, die diesen Titel tragen. Er wird je nach Bundesland für drei bzw. fünf Jahre vergeben, danach muss sich die Schule für eine Rezertifizierung wieder neu bewerben. Auch zahlreiche Berufsschulen finden sich unter den Europaschulen. Bei ihnen spielen die Praktika im Ausland eine große Rolle.
An der BBS Ritterplan aus Göttingen konnten 21 angehende Erzieher zwei Monate in einem Kindergarten im Ausland neue Erfahrungen sammeln. Michael Gröling lernte eine der in den Niederlanden weit verbreiteten Montessori-Einrichtungen in Eindhoven kennen. „Ich habe dafür vorher niederländisch so gelernt, dass ich in der Gruppe voll eingesetzt wurde. Jetzt spreche ich die Sprache fließend“, sagt Gröling. Der Blick über die Grenze hat sich für ihn mehr als gelohnt: „Jedes Kind wird per Handschlag begrüßt und verabschiedet, das ist eine ganz tolle Geste. Die Haltung der niederländischen Eltern ist anders, sie nehmen sich beim Abholen viel mehr Zeit, drängen die Kinder nicht und respektieren sie mehr.“ Zu den weiteren Unterschieden gehören die modernere technische Ausstattung wie auch die Betreuungszeiten: Dreimal die Woche gehen Mädchen und Jungen von 8 bis 17 Uhr in den Kindergarten, dafür bleiben die meisten mittwochs und freitags zu Hause.
Die Göttinger BBS-Praktikanten haben sich intensiv über ihre beruflichen Erfahrungen in Rumänien, Polen, England, Portugal, Österreich, Frankreich, Finnland und den Niederlanden unterhalten. „Wir haben gemerkt, dass durch das Praktikum Europa für uns wichtiger geworden ist. Die Hälfte war vorher schon politisch interessiert, die andere Hälfte ist es jetzt. Wir werden für die Beteiligung an den Europa-Wahlen 2019 Werbung machen“, kündigt Gröling an.
Finanziell unterstützt wurde das Praktikum im Ausland durch das Programm Erasmus Plus. Bis 2020 stellt die EU fast 15 Milliarden Euro u.a. für Lernaufenthalte von Schülern und Lehrern in 33 europäische Staaten bereit, danach soll die Summe verdoppelt werden. Auch die häufig kritisierte komplizierte Antragstellung soll dann einfacher werden.
Für Ulrich Ballhausen, Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Demokratie an der Uni Hannover, geht es nicht nur ums Geld. Der ausgebildete Lehrer hat seit 30 Jahren Erfahrung im internationalen Schüleraustausch. „Es gibt viele Studien über die Bedeutung des Austausches, der zu mehr Toleranz und Offenheit gegenüber Unbekanntem führt“, sagt Ballhausen. Gleichzeitig beobachtet er zunehmenden Streit in der EU über Werte wie in der Frage der Ehe für alle. „Man muss den Austausch mit Ländern wie Polen und Ungarn noch verstärken und über Normen sprechen. Der internationale Austausch wird politischer, das ist gut so“, betont Ballhausen.
Das Bundesnetzwerk Europaschule unterstützt die Bewegung „Pulse of Europe“ und setzt sich für die Vermittlung von Demokratie, Menschenwürde, Freiheit, freier Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität, Vielfalt und Minderheitenschutz in der Schule ein. Rolf Börter, Vorstandsmitglied im Bundesnetzwerk, ist Lehrer an der Europaschule Bornheim in der Nähe von Bonn. „Die Schulgemeinde setzt regelmäßig Zeichen gegen Rassismus und Fremdenhass, die innerhalb und außerhalb der Schule wirken“, heißt es im Leitbild seiner Schule unter dem Punkt „Gelebtes Europa“. Dort ist auch festgelegt, dass in der Sekundarstufe 1 ein Projekt zum Thema Europäische Union Pflicht ist. Börter weiß, dass Europaschulen sich wegen der zahlreichen internationalen Kontakte und Angebote – so fahren in Bornheim alle 7. Klässler nach England – bei vielen Eltern großer Beliebtheit erfreuen. „Sie denken ganz pragmatisch, dass ihre Kinder so bessere Berufsaussichten haben werden. Eine pro-europäischen Haltung ist für die Wahl unserer Schule nicht entscheidend“, räumt Börter ein und fügt hinzu: „Bei älteren Schülern beobachten wir wachsendes politisches Interesse nach einem Austausch.“
Autor: Joachim Görres