Klett-Themendienst Nr. 86 (02/2019)

Der Startschuss fällt an den Gymnasien. Sagt die nordrhein-westfälische Landesregierung. Sie führt im Rahmen der beschlossenen Förderung der Verbraucherbildung zum Schuljahr 2020/21 das Fach Wirtschaft/Politik an weiterführenden Schulen ein. Dort ist man mitunter verwundert – Wirtschaft steht schon lange auf dem Stundenplan.

„Wir wollen Schülerinnen und Schüler besser auf eine selbstbestimmte Lebensgestaltung und einen erfolgreichen Berufseinstieg vorbereiten. Ökonomische Bildung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Allgemeinbildung“, heißt es in einer Pressemitteilung des Schulministeriums. „Eigentlich kann das nur für Gymnasien gelten“, lautet eine der vielen Reaktionen aus Gesamt-, Real-, Haupt-, Sekundar- und auch Förderschulen. Sie weisen auf die umfangreiche Palette dessen hin, was sie ihren Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg geben.

Ein-, mehrtägige und mehrwöchige Praktika sind Alltag. Sie werden seit Jahren vom Land auch vorgeschrieben. Schülerfirmen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Sie erweisen sich als äußerst lebensnah. Ein Beispiel aus Bonn: Erst kürzlich fand hier im Schulzentrum Hardtberg eine Messe von Anbietern für Schülerauslandsaufenthalte statt. Das Catering übernahm die Schülerfirma der hier ansässigen Hauptschule. „Wir überlegen vorher, wie viele Brötchen, wie viele Waffeln gegessen und wie viel Kaffee  getrunken wird. Wir vergleichen Preise, kaufen günstig ein, führen Buch und organisieren den Essensstand“, erzählt die 13jährige Anna (Name von der Redaktion geändert). Sie fügt stolz hinzu: „So lernen wir etwas fürs Leben.“

Berufsvorbereitung ist Standard

Genau das möchte das Institut der Deutschen Wirtschaft bundesweit fördern. „Junior Schülerfirmen“ heißt das Programm, das dazu beiträgt, dass sich jährlich mehr als 10.000 Schülerinnen und Schüler  auf diesem Weg wirtschaftlichen Themen annähern. Überraschen kann die Initiative nicht – das Institut der Deutschen Wirtschaft mit Sitz in Köln wird von Verbänden und Unternehmen der Wirtschaft finanziert.

Doch neben solch von Arbeitgebern gewünschten Aktivitäten, machen sich Schulen von Schleswig-Holstein bis Bayern schon seit Jahrzehnten auf den Weg, eigene kreative Ideen zu entwickeln, um ihre Schülerinnen und Schüler auf das Leben vorzubereiten. Berufsvorbereitung ist Standard. Dass es dabei mitunter nicht immer die Interessen der Kinder und Jugendlichen getroffen werden, bemängelt die 15jährige Schülerin Pauline. Sie besucht eine Gesamtschule. Längst steht für sie und die große Mehrheit ihrer Klassenkameraden fest, dass ihr Ziel Abitur und Studium sein werden.  „Warum“, so fragt sie, „dreht es sich dann aber bei den Gesprächen mit Experten zur Berufswahl ausschließlich um Ausbildungsberufe?“. Ihre Klassenlehrerin versucht es zu erläutern: „Der Abschluss, den alle unsere Schülerinnen und Schüler als nächstes anstreben, ist nun einmal der mittlere Schulabschluss.“

Sozialwissenschaften ausdehnen

Sie verweist auf ein anderes Problem: „In unserer Ausbildung existiert das Studienfach Wirtschaft nicht.“ Es fehlen Fachlehrerinnen und Fachlehrer. Sie selbst hat sich auf Spanisch und Deutsch spezialisiert. Doch an der Gesamtschule steht nun einmal das Fach Arbeitslehre-Wirtschaft im Lehrplan der Sekundarstufe I. Die Folge – es wird fachfremd unterrichtet oder wie die Klassenlehrerin zugibt: „Nach bestem Wissen und Gewissen.“  Wenn es gelingt, erfahren die Schülerinnen und Schüler schon in Jahrgang 7 Wissenswertes zum „Wirtschaften in privaten Haushalten“, aber auch in Unternehmen. Der Umgang mit Geld, Warenangebote im Vergleich und der Aufbau eines Supermarktes werden dabei ebenso analysiert wie Fallen in die Käufer im Laden tappen.  

Dass der Lernbereich Arbeitslehre in einen Lernbereich Wirtschaft und Arbeitswelt umgewandelt werden soll, hält die junge Klassenlehrerin für überflüssig. „Sinnvoller wäre, das Fach Sozialwissenschaften nicht nur in der Sekundarstufe II, sondern auch schon in den früheren Jahrgängen auf den Stundenplan zu setzen und von entsprechend ausgebildeten Lehrkräften unterrichten zu lassen.“

Argumente für ein Fach Wirtschaft

Doch auch an den Gymnasien, die die NRW-Landesregierung mit ihrer Erweiterung des Fächerkanons im Blick hat, passiert in Sachen Wirtschaft längst viel. So wird im Fach Sozialwissenschaften/ Wirtschaft und Politik auf „wirtschaftliches Wissen“ eingegangen. Neben dem normalen Unterricht setzen die Gymnasien weitere Schwerpunkte, beispielsweise durch eine  Arbeitsgemeinschaft  Unternehmensgründung. Zusätzlich werden auch in Erdkunde (Standortfaktoren) und Geschichte (Wirtschaftsgeschichte), aber auch in Fremdsprachen (Outsourcing) ab und zu wirtschaftliche Themen angerissen.

Dennoch findet man in Gymnasien durchaus positive Reaktionen auf die geplante Neuerung. „Ich persönlich finde das Fach Wirtschaft sehr sinnvoll, da den Schülerinnen und Schülern oft diese Lebensvorbereitung fehlt“, sagt Lüder Ruschmeyer. Er leitet das Gymnasium Kreuzgasse in Köln. Er denkt an den verantwortungsbewussten Umgang mit dem eigenen Einkommen (Kredite, Verschuldung, Möglichkeiten von Geldanlagen); die Vorbereitung später einmal Arbeitnehmer oder auch -geber zu werden (Themen: Steuern, staatliche Leistungen, Berufswahl, Leben in einem Betrieb, Abläufe in einem Betrieb usw.) oder das Hinterfragen von Marktordnungen.

Ein für ihn sehr überzeugendes Argument lautet: „Einkommensschwache Familien sprechen selten oder gar nicht über Geld. Kinder von einkommensstarken Familien wiederum erhalten von ihren Eltern eine finanzielle Bildung. Damit verfestigt sich der Schichteffekt.“

Die oft geschürte Angst, alle Schülerinnen und Schüler würden durch das neue Fach zu Kapitalisten, teilt er nicht. „Zumal bei uns das Prinzip der Kontroversität gilt und kein Thema einseitig betrachtet wird“, versichert Ruschmeyer.

Autoren: Inge Michels/Stefan Lüke

Kompakt
In NRW ist das fächerübergreifende Thema Verbraucherbildung Teil der Landesstrategie „Bildung für nachhaltige Entwicklung – Zukunft lernen (2016-2020)“ und ist an allen Primar- und Weiterführenden Schulen bis zum 1.8.2019 in den schulischen Konzepten zu integrieren. Im Zentrum steht der Aufbau einer reflektierten sprich nachhaltigen Konsumkompetenz der Schülerinnen und Schüler. In den Lehrwerken des Ernst Klett Verlages wird der Verbraucherbildung durch unterschiedliche Methoden in Aufgaben, Bildern und Texten Rechnung getragen.