Klett-Themendienst Nr. 87 (04/2019)

Berufserfahrene Uniabsolventen sind in vielen Schulfächern gefragt. Die Qualifizierung zur Lehrkraft verlangt ihnen einiges ab. Dazu gibt es vielfache Hilfestellungen, die die Qualität des Unterrichts sicherstellen.

Angesichts des Lehrermangels sind Uniabsolventen ohne Lehramtsstudium, die mindestens ein Schulfach studiert haben, gefragter denn je. Doch der Weg bis zur Festanstellung hat es in sich. Mechthild Stephany hat einst Musik und Religion studiert und dann Jahrzehnte an einer Musikschule gearbeitet. Anfang 2018 hat sie mit einer zweijährigen Qualifizierung als Lehrerin begonnen und unterrichtet seitdem wöchentlich 23 Stunden an einer Grundschule in Celle, nur fünf Stunden weniger als Grundschullehrer mit einer vollen Stelle in Niedersachsen. „Das erste Jahr ist sehr anstrengend gewesen, denn man hat ja noch kein Material, auf das man zurückgreifen kann und muss jede Schulstunde intensiv vorbereiten. Gerade im Fach Religion, in dem ich noch keine Lehrerfahrung habe, war der Aufwand sehr groß.“

Überrascht hat sie der hohe Verwaltungsaufwand, wenn es zum Beispiel darum geht schriftlich zu begründen, warum ein Kind besonderer Förderung bedarf oder eine Begleitung benötigt. Und auch der Umgang mit Kindern, die querschießen, muss erst gelernt werden. „Ich habe bei anderen Lehrerinnen hospitiert, mir Konzepte überlegt, verschiedenes ausprobiert. Die tolle Unterstützung des Kollegiums hat mir sehr geholfen“, sagt die 55-Jährige und fügt hinzu: „Ein großer Unterschied zur Musikschule ist, dass ich in der Grundschule die Kinder fast jeden Tag sehe und intensiver mit ihnen arbeiten kann. Das finde ich sehr schön.“
Dass sich die Unterrichtsqualität durch Quereinsteiger insgesamt ändert, darin sieht Anja Salzwedel, Seminarleiterin im Fach Deutsch und Fortbildnerin in Aurich keinen Anlass zur Sorge: „Die Quereinsteiger sind hochmotiviert und sehr bereit, sich in den Lehrerberuf einzuarbeiten.“ In ihren Modulen zur Qualifizierung geht es u.a. darum, Unterrichtseinheiten kompetenzorientiert zu planen aber auch um die Leistungsmessung oder die Differenzierung. Wie werden Lernziele festgelegt, wie überprüft man, ob sie im Unterricht erreicht wurden – solche Fragen werden mit erfahrenen Lehrkräften meist in sehr kleinen Gruppen intensiv besprochen und dabei die Erfahrungen aus der Schule aufgegriffen. „Je strukturierter sie dabei vorgehen können, desto leichter fällt ihnen auch das Unterrichten“, ist Salzwedel überzeugt, die an entsprechenden Hilfsmaterialien beim Klett Grundschulverlag mitgewirkt hat.

Dennoch gibt es faktisch Einsteiger erster und zweiter Klasse: In Niedersachsen unterrichten so genannte Quereinsteiger während des Vorbereitungsdienstes nur zwölf Stunden die Woche. Für das Lehramt an Grundschulen müssen sie einen Studienabschluss in Deutsch oder Mathematik nachweisen, sonst bleibt ihnen nur der Direkteinstieg wie Mechthild Stephany. Die Quereinsteiger bekommen mehr Unterrichtsbesuche, ihre Abschlussprüfung ist wesentlich umfangreicher als die der Direkteinsteiger. Nach der erfolgreich abgelegten Prüfung verdienen die Quereinsteiger mehr und haben im Gegensatz zu den Direkteinsteigern unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit zur Verbeamtung.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert diese unterschiedlichen Bedingungen und fordert einheitliche Standards für die zunehmende Zahl der nachträglich qualifizierten Lehrkräfte, die sich an den Bedingungen der Quereinsteiger orientieren sollten. Die Praxis sieht nicht nur in Niedersachsen anders aus. Nach einer Zusammenstellung der GEW gibt es z.B. in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern nur den Seiteneinstieg in den Lehrerberuf – eine einjährige pädagogische Einführung, während der mit fast voller Stundenzahl unterrichtet wird – aus GEW-Sicht eine viel zu hohe Stundenbelastung, die leicht zu Überforderung und dem Abbruch der Ausbildung führen könne. Genaue Zahlen, wie häufig das passiert, veröffentlichen die Bundesländer nicht. 

Der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf ist vor allem an Berufsschulen verbreitet. Diesen Weg hat auch Katrin Sinha gewählt. Mit ihren Uni-Abschlüssen in Maschinenbau und als Wirtschaftsingenieurin hat sie in der Industrie sowie an der Universität gearbeitet. Während des zweijährigen Referendariats unterrichtete sie Berufsschüler rund 20 Stunden in der Woche, hinzu kamen sechs Stunden am Seminar. „Die Vor- und Nachbereitung der Schulstunden waren sehr viel Arbeit. Die Unterstützung durch die Fachleiterin Maschinentechnik, durch die Fürsorge der Kollegen und durch die Schüler, die mitleiden, wenn sie merken, dass man mit Herzblut dabei ist, haben mir dabei sehr geholfen“, sagt Sinha. Heute unterrichtet die 39-Jährige an einem Berufskolleg in Dortmund vor allem angehende Kältemechatroniker in den Fächern Klimatechnik und Elektrotechnik.

Den Umgang mit jungen Menschen mögen und Geduld haben – das sollten aus ihrer Sicht Interessenten am Lehrerberuf mitbringen. „Lange Ferien, kurze Arbeitstage – das reicht als Motivation nicht aus und ist in Zeiten von Ganztagsunterricht auch nicht realistisch“, sagt Sinha. Eine Freundin von ihr hat als Seiteneinsteigerin nach wenigen Wochen aufgegeben – zu groß war der Arbeitsdruck, zu gering die Unterstützung durch das Kollegium.

Autor: Joachim Göres

Kompakt
Die Zahl der spätberufenen Lehrkräfte nimmt infolge des Lehrermangels zu. Ihre Qualifizierung sieht je nach Studienfach und Bundesland recht unterschiedlich aus. Für Direkt- und Seiteneinsteiger gilt eine hohe Unterrichtsverpflichtung während der Ausbildung. Dies wird von ihnen als große Arbeitsbelastung erlebt. Die Lehrergewerkschaft GEW kritisiert die hohe Stundenzahl und fordert einheitliche Standards, die sich an den Bedingungen der Quereinsteiger orientieren sollten.