Klett-Themendienst Nr. 95 (11/2020)
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Was‘ los Deutschland? Ein Parcours durch die Islamdebatte

Feindbild Islam: Eine Wanderausstellung will Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken und Gespräch anregen und ihnen Mut machen, menschenverachtendes Verhalten nicht einfach hinzunehmen.

Ein Mann im mittleren Alter steht an einer Bushaltestelle, neben ihm wartet eine junge Frau mit Kopftuch. Leise murmelt er vor sich hin: „Boah, schon wieder so `ne Kopftuchtante, ey. Die sind üüü-bä-all.“ Dann wird er lauter und spricht die Frau direkt an: „Haste Haare nicht gewaschen? Hey, ich sprech mit dir!“ Anschließend richtet er sich erregt an die anderen Wartenden: „Guckt euch die an, deutsch kann se auch nicht, war ja klar.“

Eine Szene aus der Wanderausstellung „Was‘ los, Deutschland!? – Ein Parcours durch die Islamdebatte“, die gerade im niedersächsischen Celle zu sehen war. Auch eine 9. Klasse des Celler Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasiums hat sich mit ihrem Klassenlehrer die Ausstellung im Jugendzentrum CD-Kaserne angeschaut und darüber gesprochen. „So ein Verhalten geht gar nicht. Ich hätte den Mann aufgefordert, das bitte zu lassen“, sagt eine Schülerin. „Ich wüsste nicht, ob ich eingreifen würde, denn der Mann würde dann vielleicht ausrasten“, gibt eine andere zu bedenken. „Bei so einer aggressiven Stimmung und bei Unbekannten würde ich mich eher raushalten. Wenn ich die Person kennen würde, wäre das anders“, meint eine dritte Schülerin. Die Ausstellung nennt verschiedene Handlungsmöglichkeiten und ermutigt zur Zivilcourage, mit Tipps, wie man konkret in so einer Situation der verbal angegriffenen Frau helfen kann, ohne sich in Gefahr zu bringen.

Szenen aus dem Alltag, in denen Muslime in Deutschland im Mittelpunkt stehen und Konflikte thematisiert werden, die zum Nachdenken und Gespräch anregen sollen – darum geht es in der Ausstellung, die sich an Besucher ab 14 Jahren richtet. An einem Dutzend Stationen begegnet man lebensgroßen Figuren, die von der Comic-Zeichnerin Soufeina Hamed (Künstlername tuffix) entworfen wurden. Ihre von Schauspielern eingesprochenen Unterhaltungen kann man über Kopfhörer verfolgen. Da redet ein Taxifahrer mit einem weiblichen Fahrgast und offenbart seine Vorurteile gegenüber Muslimen. Man erlebt am Essenstisch, wie sich muslimische Eltern mit ihren Kindern darüber streiten, ob sie nicht- muslimische Freunde haben dürfen – eine Szene, die sich unter umgekehrten Vorzeichen in einer christlichen Familie wiederholt.

Die heftigsten Reaktionen bei den jugendlichen Besuchern löst der YouTuber Fiete Aleksander aus, der in der Rolle eines Lehrers auf einem Video zwei Minuten über Schüler mit Migrationshintergrund mit süffisantem Lächeln herzieht. „Ali, bist du auch endlich da. Dein fliegender Teppich hatte wohl `nen Platten. Ach, du musstest deine Mutter zum Jobcenter begleiten. Versteh ich nicht. Wenn deine Mutter so schlecht Deutsch kann, warum nimmt sie dich mit. Hätte sie gleich einen Dolmetscher holen können, Deutsch-Kanakisch, Kanakisch-Deutsche.“ Nachdem er noch eine schlecht hörende türkische Schülerin und einen rumänischen Schüler wegen seiner Kleidung beleidigt hat, blickt er in die Runde und fragt: „Wer von euch glaubt ernsthaft, hier seinen Abschluss machen zu können?“, um nach einer kurzen Pause sarkastisch hinzuzufügen: „Da melden sich einige völlig umsonst.“ Was ist in deiner Jugend falsch gelaufen, unfair, Rassist, respektlos, warum sind Sie Lehrer geworden? – einige der Kommentare, die die Jugendlichen an den Rand des Bildschirms geklebt haben.

Die Besucher werden auch gefragt, ob sie selbst diskriminierende Erfahrungen gemacht haben. „Ausgelacht, dass ich bis zur ersten Klasse nicht richtig Deutsch sprechen konnte“, steht auf dem Zettel eines zweisprachig aufgewachsenen Schülers. Eine Jugendliche fühlt sich wegen ihrer „falschen Religion“ in der Schule diskriminiert. Hinter der großen Mehrheit der Antworten stehen andere Erfahrungen: Sexismus im Bus, Belästigung von alten Männern im Fitnessstudio, Internet, Bewerbungsgespräch, Familie. Nur sehr wenige Jugendliche aus dem Celler Gymnasium haben einen Migrationshintergrund.

„Die Antworten hängen immer davon ab, wie eine Gruppe zusammengesetzt ist“, sagt Jannik Veenhuis und fügt hinzu: „In einer Berufsschule in Hamburg hat die Vielzahl der Diskriminierungserfahrungen der Schüler die Lehrer so überrascht, dass sie seitdem viel stärker im Unterricht darauf eingehen.“ Der Islamwissenschaftler Veenhuis hat die Ausstellung mit konzipiert. Ihm geht es darum klarzumachen, dass es wenig sinnvoll ist, allgemein von dem Islam und den Muslimen zu sprechen angesichts ganz unterschiedlicher Strömungen. Schon die Zahl der angenommenen 4,7 Millionen Muslime in Deutschland sei fraglich, da sie auf groben Schätzungen beruhe und sie nichts darüber aussage, nach welchen Grundsätzen diese Menschen lebten.

Die Ausstellung liefert Informationen zu den Glaubenssäulen des Islam, zum Bild des Islam in den Medien sowie zur Benachteiligung von Bewerbern mit türkischem Namen auf dem Arbeitsmarkt. Auch den Themen Antisemitismus, Sexismus und Beeinflussung durch islamische Missionare wird Raum gegeben. „Das ist eine Ausstellung, die polarisiert“, sagt Barbara Bartsch, die an der Volkshochschule Celle Deutsch- und Alphabetisierungskurse für geflüchtete Frauen gibt. Sie kommen vor allem aus Syrien und dem Irak. „Sie selbst erleben bei der Wohnungssuche Diskriminierung, ihre Kinder fühlen sich hier aber nicht benachteiligt und haben deutsche Freunde“, sagt Bartsch am Rande eines Workshops zur Ausstellung für Pädagogen. „Unsere Szenen beruhen auf Interviews, die wir mit Muslimen geführt haben“, entgegnet Veenhuis.

Am Ende der Ausstellung können die Besucher ihre Wünsche für ein besseres Miteinander aufschreiben und an einen Pappbaum heften. Drei Schulklassen haben an diesem Tag die Fläche mit kleinen Zetteln zugeklebt – mit Abstand am häufigsten werden „Respekt“ und „Gleichberechtigung“ genannt, gefolgt von Toleranz, Akzeptanz, Offenheit, Zusammenhalt, Liebe und Frieden. Juliane Vieth von der CD-Kaserne, die die Gesprächsrunde mit den Jugendlichen leitet: „Die Islamdebatte ist für uns Aufhänger für die Frage, wie wir miteinander leben wollen.“ Das Ziel: Jungen Menschen Mut zu machen, populistischen und menschenverachtenden Ideologien entgegenzutreten.

Autor: Joachim Göres

Kompakt
Eine Ausstellung über Muslime in Deutschland informiert Jugendliche ab 14 Jahren u.a. über Glaubensgrundsätze, das Bild des Islam in den Medien und Vorurteile, denen Muslime immer wieder begegnen. Die Schülerinnen und Schüler werden mit Diskriminierungserfahrungen konfrontiert und angeregt, dazu Stellung zu beziehen und von eigenen Benachteiligungen zu berichten.

Termine
Die vom Bundesfamilienministerium geförderte Wanderausstellung ist noch in Hannover (14.12.-15.1.21), Leipzig, (26.2.-11.3.) und Hildesheim (12.4.-23.4.) zu sehen. Für 2021 gibt es noch freie Termine (näheres unter https://waslosdeutschland.info).

Buchtipp:
Die Auseinandersetzung mit transkulturellen Kompetenzen, Leitkulturen und Weltanschauungen sind Thema im Fach Ethik, z.B. in NRW in den Klassen 9 und 10. Das Lehrwerk Leben Leben versteht sich als Unterrichtswerk, um die Vielfalt der Gesellschaft besser zu verstehen.

https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-695503-4


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