Herr Obeling, Sie sind seit knapp 15 Jahren Lehrer u.a. für das Fach Französisch. Wie unterscheidet sich die heutige Schülergeneration von früheren?
Ich sehe einige Unterschiede. Zunächst sind viele Schülerinnen und Schüler heute wesentlich vernetzter als früher – auf ständig neue und andere Art und Weise - und nicht immer offen sichtbar für Eltern und Lehrkräfte. Vernetztes und kooperatives Arbeiten, ob digital oder analog, ist im Laufe der letzten 10 Jahre auch in meinem Unterricht immer wichtiger geworden. Zweitens äußern die Lernenden heute stärker als noch vor 10 Jahren den Wunsch nach Eigenständigkeit und fordern Respekt offener ein. Nicht selten steht dieser Wunsch noch in einem Widerspruch zu den tatsächlich ausgebildeten Kompetenzen des autonomen Lernens. Drittens beobachte ich eine deutliche Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne oder der Bereitschaft sich länger mit einer Aufgabe zu befassen. Häufigere Phasen- und Sozialformwechsel sowie immer wieder neue und motivierende Impulse sind nötig geworden, um den Fokus aufrecht zu halten.
Was zeichnet Ihren Unterricht aus?
Mir ist besonders wichtig, dass Lernprozesse und -ergebnisse sichtbar werden. Ich arbeite daher sehr handlungs- und produktorientiert. Das bringt nicht nur viel Aktivität und Schwung in den Unterricht, sondern schafft auch Anlässe, über Lernwege, Ergebnisse und Schwierigkeiten nachzudenken und Leistungen transparent zu beurteilen.
Und wie gelingt es Ihnen, für Land, Leute und die Sprache zu begeistern?
Am wichtigsten sind wohl authentische Bilder, Töne, Texte, Realien und Kontakte. Der Blick in die Zielkultur ist denkbar einfach zu organisieren: über Fotos und Videos, Spielfilme und Dokumentationen, Musik, Bücher, BD und Magazine, YouTube und Instagram, französische Serien, berühmte Sportler, etc. Sobald den Lernenden klar wird, wie vielfältig Frankreich und die Frankophonie sind, entstehen Neugier und Interesse. Die Lernenden können richtig süchtig werden nach Videos wie z.B. Musikclips. Aber nicht zuletzt spielen dann doch auch immer noch die eigenen Erfahrungen der Lehrkräfte und deren Liebe zum Fach und zur Zielkultur eine immense Rolle. Begeisterung ist ansteckend!
Das Weltwissen und die Sicht auf andere Kulturen entscheidend ergänzen
Französisch wird in vielen Ländern weltweit gesprochen. Kein Fach ist damit so geeignet, interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln, richtig?
Auf jeden Fall! Und zwar nicht nur im Hinblick auf Frankreich, sondern auf die gesamte Frankophonie. Unsere Lernenden wissen in der Regel sehr viel über angelsächsisch geprägte Lebensräume auf der ganzen Welt. Die Frankophonie und ihre Kulturen können das Weltwissen und die Sicht auf andere Kulturen entscheidend ergänzen und erweitern. Der Unterricht muss selbstverständlich interkulturelle Themen und Methoden in den Blick nehmen. Hier geht es nicht nur um Essensgewohnheiten oder die Frage, was Deutsche oder Franzosen denken und umgekehrt. Es geht vielmehr um die Sensibilisierung für die Eigenheiten der Zielkultur, um bewussteres Wahrnehmen von kulturellen Besonderheiten – auch in Bezug auf die eigene Kultur.
Sie arbeiten seit vielen Jahren auch als Lehrbuch-Autor. Worauf kommt es bei modernen Lernmaterialien für Französisch heute an?
Zunächst einmal müssen spannende Geschichten mit lebendigen Figuren vorhanden sein – in Text, Bild und Video, sogar in den Übungen. Diese sollten eingebunden sein in schülernahe und landeskundliche Kontexte. Wir überlegen uns für Découvertes stets, Frankreich und die Frankophonie als attraktive, facettenreiche und auch jugendliche Kultursphäre darzustellen. Dazu kommt unsere Lehrwerksclique, die durch sympathische und „menschelnde“ Charaktere ein breites Identifikationspotenzial birgt. Diese mit viel Bedacht gewählten und immer in die Zielkultur eingebetteten Inhalte vermisse ich woanders.
Im Fokus stehen auch sprachliche Handlungssituationen und Lernaufgaben, auf die hingearbeitet werden muss. Dazu helfen Angebote zum Selbstlernen und zum Hör-Seh-Verstehen. Zusammen mit solch vielfältigen Materialien lässt sich ein so ausgestattetes Lehrwerk besonders in der aktuellen Pandemiesituation richtig gut nutzen.
Das klingt nach größeren Lernmengen?
Fremdsprachenlehrwerke sind oft sehr umfangreich. Tatsächlich zählen aber eher die Struktur und das schaffbare Pensum. Im ersten Lernjahr reichen 530 Lernwörter und 21 grammatische Pensen auf knapp 100 Seiten völlig aus. Das schafft Freiräume.
Neue Konzepte, um schneller zum Sprechen zu motivieren
Es gibt Kritiker, die das fremdsprachliche Niveau der Schüler*innen am Ende der Schulzeit bemängeln. Eine Umfrage unter Lehrkräften hat ergeben, dass sich diese für den Unterricht mehr Übungen für ein schnelleres, sprachliches Handeln wünschen. Können Sie das erklären?
Wir wissen, dass sich Unterricht wie Kaugummi ziehen kann, wenn sprachliches Handeln wenig oder erst spät im Lernprozess angeregt wird. Wer den sprachlichen Input zu stark in den Vordergrund stellt, hat eventuell am Ende auch gar keine Zeit mehr für die Produktion. Daher haben wir für Découvertes neue Konzepte entwickelt, die schneller und transparenter zur Sprachproduktion führen. Zum einen werden neue sprachliche Mittel unmittelbarer in Anwendungsübungen umgewälzt. Nach dem Input folgt also sofort ein Output. Außerdem haben wir Etappenziele eingebaut, die wiederum überschaubare Teilleistungen anregen, die auf eine größere Aufgabe am Ende vorbereiten. Hier wird also schneller, öfter und verbindlicher als zuvor das sprachliche Handeln initiiert.
Vor welchen Herausforderungen stehen Lehrkräfte heute in ihrer Rolle als sprachliches Vorbild?
Die Vorbildfunktion ist vielfältig. Selbstverständlich geht es im engeren Sinne darum, dass Lehrkräfte selbst flüssig, korrekt, angemessen und gut artikuliert sprechen und dabei die Lernenden immer ein wenig fordern. Auch ein gutes Fingerspitzengefühl bei der mündlichen und schriftlichen Fehlerkorrektur sind absolut nötig. Hinzu kommt ein langer Atem, viel Geduld und eine – wie soll ich es nennen – ‚charmante‘ Beharrlichkeit. Als sprachliche Vorbilder müssen wir es schaffen, die eigene Haltung offen zu zeigen: Wenn wir nicht deutlich machen, dass wir selbst Feuer und Flamme für unser Fach und unsere Zielsprache sind, dann wird auch kein Funke auf die Lerngruppen überspringen.
Durch die Pandemie haben sich die Entwicklungen noch einmal beschleunigt.
Das Medienangebot für den Fremdsprachenunterricht ist um ein Vielfaches größer als früher und vor allem digital. Warum ist das so?
Nicht nur das Medienangebot ist größer als bislang. Die Medienkompetenz selbst erhält heute einen viel höheren inhaltlichen, sprachlichen und aufgabenbezogenen Stellenwert im Französischunterricht. Lehrer*innen haben immer die Wahl, ob sie eher klassisch oder medial gestützt unterrichten möchten. Und die Lernenden sollten vielfach dazu motiviert werden, Aufgaben digital zu erledigen. Lern-Videos, die bestenfalls online wie offline zur Verfügung stehen, bereichern den Unterricht und fördern das individuelle Lernen. Da haben wir für Découvertes einen guten Weg gefunden. Ich arbeite in meinem Unterricht schon sehr lange digital. Das erzeugt bei meinen Lernenden viel Motivation, Identifikation und zielkulturelles Wissen. Es ist heute viel einfacher geworden, das Hör-Seh-Verstehen im Unterricht zu organisieren. Ob im Plenum oder individuell auf verfügbaren Endgeräten: mit interaktiven Audios, Videos und Erklärfilmen trainieren wir das freie Sprechen und darauf kommt es ja an. Mit der Digitalisierung des Unterrichts hat der Fremdsprachenunterricht einen bedeutsamen Schritt getan.
Durch die Pandemie haben sich die Entwicklungen noch einmal beschleunigt. Ich bin gespannt, wohin uns diese Reise führt. Und ich bin sehr optimistisch, dass wir zu viel mehr Authentizität, Effizienz und Vernetzung im Französischunterricht kommen werden.
Vielen Dank für das Gespräch.