Nach den Sommerferien wird Informatik in NRW in den Klassen 5 und 6 zum Pflichtfach. Sie haben dieses Fach lange gefordert. Sind Sie zufrieden?
Es ist gut, dass es nun endlich eingeführt wird. Besser wäre es, damit bereits in der 1. Klasse zu beginnen. Wir haben mit Grundschülern zahlreiche Projekte gemacht, die zeigen, dass man ihnen wunderbar Inhalte und Methoden der Informatik vermitteln kann. Man kann ihnen zum Beispiel grundlegende Datenstrukturen näherbringen, sie verstehen das. Durch einen frühen Beginn bricht man Rollenklischees auf und verhindert, dass viele Mädchen glauben, dass dieses Fach nichts für sie ist. Dazu tragen auch negative Erfahrungen im Fach Mathematik in jungen Jahren bei. Wir haben dagegen festgestellt, dass Schülerinnen mit schlechten Mathe-Noten in Informatik top sein können, weil es darum geht, Strukturen zu erkennen. Zufrieden kann ich auch nicht damit sein, dass Informatik in der Oberstufe den Fächern des naturwissenschaftlichen Aufgabenfeldes nicht gleichgestellt ist.
Lerninhalte: Daten und Informationen
Oft wird Informatik mit Programmieren lernen in Verbindung gebracht. Ist das ein falscher Eindruck?
Es stimmt, dass früher und auch heute im Unterricht oft das Programmieren im Mittelpunkt stand und steht, ohne jeden Kontext. Das ist zu kurz gedacht, denn ohne eine vorherige grundlegende Analyse von Datenstrukturen wissen Schülerinnen und Schüler nicht, was sie eigentlich tun. Man muss wissen, was Daten sind, wie aus Daten Information wird, wie Daten durch Algorithmen verarbeitet werden – darüber muss man nachdenken, denn diese Schritte entscheiden, wie das Programm aussehen wird. Kinder und Jugendliche sollen selber kreativ werden und Lösungen entwickeln und nicht ausschließlich mit fertigen Apps arbeiten.
Sie haben Studierende für Informatik ausgebildet. Gibt es an den Schulen überhaupt genug Lehrerinnen und Lehrer für dieses Fach?
Für Gymnasien gibt es genug ausgebildete Lehrkräfte, für andere Schularten nicht unbedingt. Vor allem an Haupt- und Realschulen fehlen Lehrkräfte, auch wenn große Anstrengungen unternommen werden. Nach wie vor sind die Frauen in der Minderheit, ihr Anteil an den neuen Informatik-Lehrkräften liegt bei 20 bis 30 Prozent, Tendenz steigend. Für den Mangel gibt es mehrere Gründe: An den Universitäten bleiben Studienplätze frei. Viele beginnen das Studium mit falschen Vorstellungen und brechen vorzeitig ab. Die Fachdidaktik bereitet vielen Probleme. Mit dem Bachelor-Abschluss ist man bei gut zahlenden Unternehmen begehrt, so dass einige Studierende aufhören und nicht wie geplant den Master machen und danach an die Schule gehen.
Mehr Medienkompetenzen bei Lehrkräften gefragt
Wie könnte man das ändern?
Die Studierenden müssen sich klarmachen, dass sie nicht alle Details ihres Faches kennen müssen, bevor sie sich mit Fragen der Vermittlung der Gegenstände der Informatik an der Schule beschäftigen. Außerdem bin ich überzeugt, dass eine bessere Bezahlung für Informatik-Lehrkräfte hilfreich wäre. Dann gäbe es möglicherweise auch noch mehr Quereinsteiger aus der Industrie, die oft sehr motiviert sind. Ich halte A15 für angemessen, wenn Informatik-Lehrkräfte weitere Aufgaben übernehmen und zum Beispiel Schulleitungen bei allen Fragen bezüglich der Digitalisierung beraten. Jede Schule braucht eine*n Fachinformatiker*in, das sieht in der Realität leider anders aus. Wichtig ist aber auch noch etwas anderes: Alle Lehrkräfte brauchen grundlegende Informatik-Kenntnisse, damit sie besser einschätzen können, inwieweit digitale Angebote für ihren Unterricht in ihren Lerngruppen hilfreich sein können.
Über die Frage, welche Hard- und Software eingesetzt wird, entscheiden die Kommunen als Schulträger. Ist das sinnvoll?
Ich sehe das als staatliche Aufgabe an. Mitbedacht muss auch immer werden, welche künftigen Kosten durch anfangs kostenlose Angebote entstehen könnten. Umso wichtiger sind freie Bildungsmaterialien, die so genannten Open Educational Resources (OER).
Sie setzen sich dafür ein, dass Bildungsmedien in CC-Lizenz erscheinen. Warum?
Für die Verlage ist wichtig, dass ihre Lehrwerkskonzepte in gedruckter oder digitaler Form gekauft werden, und daran wird sich nichts ändern. Für Lehrkräfte ist entscheidend, dass sie auf gute Materialien zurückgreifen und sie für ihre Zwecke bearbeiten können, ohne CC-Lizenz geht das meiner Meinung nach nicht. Schulbücher erscheinen oft durch zusätzliche inhaltliche Anforderungen alle zwei Jahre neu, das ist bei einer CC-Lizenz nicht mehr nötig.
Das Interview führte Joachim Göres