Elisa und Leon gehen auf die Sophienschule, ein Gymnasium in Hannover. Das hat seit fast 100 Jahren ein eigenes Schullandheim im knapp 50 Kilometer entfernten Hambühren. Die drei Jugendlichen sind in dem Dorf schon häufiger gewesen – an der Sophienschule fahren alle 5., 6., 8. und 9. Klassen jeweils für eine Woche in ihr Schullandheim. Die Mädchen und Jungen aus der 5. Klasse verbringen dort zum Beginn des Schuljahres eine Woche, um sich kennenzulernen. „Auf die Fahrten haben wir uns immer gefreut, denn es ist schön hier. Es gibt auf dem riesigen Freigelände viel Platz zum Spielen, man kann sich auch zurückziehen oder genießt die Natur“, sagt Charlotte aus der 8. Klasse. „Die Woche hier ist gut für die Klassengemeinschaft, denn wir machen viel zusammen“, sagt Leon aus der 10. Klasse.
Zehn Zimmer mit insgesamt 35 Betten hat das Schullandheim der Sophienschule. In einem großen Saal lernen, spielen, musizieren, tanzen und feiern die Kinder und Jugendlichen gemeinsam. „Wir müssen hier auf keine anderen Gruppen Rücksicht nehmen, das ist grandios“, freut sich Philipp Hoffmeister, Lehrer für Sport und Geographie. Nach seinen Worten dürfen in Niedersachsen laut Erlass nur alle zwei Jahre Klassenfahrten stattfinden. „Wir haben ein eigenes Landheimcurriculum, Teile des Unterrichts finden hier statt. Dadurch können wir öfter fahren“, sagt Hoffmeister. In der 5. Klasse geht es im Schullandheim um die Stärkung des sozialen Miteinanders. Eine Klasse später stehen Themen wie „Wer lebt im Wald?“, „Wie tarnen sich Tiere?“ sowie Ausflüge mit Umweltpädagogen im Mittelpunkt. In höheren Klassen werden zum Beispiel Exkursionen in die nahe Gedenkstätte Bergen-Belsen gemacht und ein Erste-Hilfe-Kurs absolviert.
Heiko Schmidt ist Vorsitzender des Schullandheim-Vereins. Er zählt 50 Mitglieder, meist Eltern von heutigen oder ehemaligen Schülern der Sophienschule. Die Mitglieder sind bei Arbeitseinsätzen gefragt, wenn es darum geht, das Gelände und das Haus in Ordnung zu halten. Schmidt freut sich, dass nach dem Verbot von Klassenfahrten in den Hochzeiten der Pandemie das Schullandheim jetzt wieder regulär genutzt werden kann – bis Weihnachten sind die Termine ausgebucht. Dabei wird das Haus auch an andere Interessenten vermietet wie Konfirmandengruppen oder für Familienfeiern. „Unsere Auslastung liegt bei rund 80 Prozent, das ist besser als bei vielen Hotels“, sagt Schmidt.
Knapp 260 Schullandheime sind Mitglied im Verband Deutscher Schullandheime, dazu kommen nochmal rund 100 Schullandheime, die in Landesverbänden in Bayern, Thüringen und Sachsen organisiert sind. „Einige werden nur für Klassenfahrten genutzt, andere können auch von Privatpersonen angemietet werden“, sagt Heiko Frost, Vorsitzender des Bundesverbandes aus Schafflund bei Flensburg. Er spricht von großen Unterschieden bei der Einrichtung, mit großen Schlafsälen für 15 Personen bis hin zu Einzel- und Doppelzimmern mit WC und Dusche auf dem Zimmer. In einigen Häusern ist Vollverpflegung Standard, in anderen bereiten Kinder und Jugendliche die Mahlzeiten selber zu. Laut Frost hat es bisher durch Corona keine Schließungen von Schullandheimen gegeben, doch schon vor der Pandemie sei die Lage vielerorts nicht einfach gewesen – in den letzten 30 Jahren sei die Auslastung insgesamt gesunken.
Die Bedeutung Klassenfahrten stärker thematisieren
„Man ist froh, wenn Klassen überhaupt noch fünf Tage wegfahren, früher waren auch zwei Wochen möglich. Es gibt dafür heute weniger finanzielle Förderung. Außerdem sind nicht wenige Lehrkräfte müde und machen keine Fahrten, weil sie kein Risiko eingehen wollen“, sagt Frost und fügt hinzu: „Dabei sind Aufenthalte in Schullandheimen oder in anderen außerschulischen Lernorten ideal, um die soziale Kompetenz der Schüler zu fördern und Theorie und Praxis in Fächern wie Biologie durch das Lernen in der Natur miteinander zu verbinden.“ Frosts Forderung: Die Bedeutung und Möglichkeiten von Klassenfahrten muss in der Lehrerausbildung viel stärker thematisiert werden.
Manche Schullandheime werden von Schulen oder Fördervereinen betrieben, andere gehören Kommunen. Meist sind es Kinder und Jugendliche aus Großstädten, die eine Woche in ein ländlich gelegenes Schullandheim fahren. Allein Hamburg hat 29 Schullandheime. Einige befinden sich am Stadtrand, die meisten sind aber weiter entfernt, zum Beispiel im Weserbergland, in der Lüneburger Heide oder an der Nord- und Ostsee. Die zehn Bremer Schullandheime sind dagegen schnell im niedersächsischen Umland zu erreichen (einen Überblick auch über andere Bundesländer findet man unter www.schullandheim.de). Hoffmeister betont: „Kurze Wege senken die Kosten und ermöglichen eine Anreise mit dem Fahrrad, so dass die Schüler schon unterwegs die Natur entdecken. Wir brauchen auch keine modernen Einzelzimmer – in unserem Landheim gibt es Viererzimmer, da können sich die Kinder und Jugendlichen besser kennenlernen.“
Autor: Joachim Göres