Klett-Themendienst Nr. 103 (11/2021)

Dr. Nepomuk Riva (47) ist Musikethnologe an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Er beschäftigt sich unter anderem mit Rassismus in deutschen Kinderliedern und der Frage, wie man mit ihnen umgehen sollte. Ein Gespräch.

Herr Riva, Sie plädieren dafür, dass bekannte Kinderlieder wie „Die Affen rasen durch den Wald“ nicht mehr gesungen werden. Warum?

In dem Lied werden die Affen mit menschlichen Zügen beschrieben, die planlos eine Kokosnuss suchen und sich gegenseitig töten. Wie im rassistischen Kontext üblich stehen die Affen als Symbol für Afrikaner, die schlecht organisiert und brutal sind. Verstärkt wird der Bezug zu Schwarzen durch die Melodie und den Rhythmus, der für afro-amerikanische Musik steht. Die Musikerziehung im Kindergarten und Grundschule muss darauf achten, ob Lieder mit rassistischen Weltbildern weitergegeben werden. Kinder können die Bedeutung der Begriffe und den geschichtlichen Kontext noch nicht begreifen und neigen zur Übernahme von oft stereotypen Menschenbeschreibungen.

Kritiker von Ihnen wenden ein, dass die von Ihnen angesprochenen Kinderlieder gar nicht abwertend gemeint waren, sondern erst heute so fehlgedeutet werden.

Das stimmt nicht, wie zum Beispiel der CAFFEE-Kanon zeigt. Nehmen wir den Beginn des Liedes: C-A-F-F-E-E, trink nicht so viel Kaffee/Nicht für Kinder ist der Türkentrank/Schwächt die Nerven, macht dich blass und krank/Sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann. Das Lied aus dem 18. Jahrhundert war gegen das Osmanische Reich gerichtet und beinhaltet die die Aufforderung, sich weder der Lebensweise noch der Religion der Türken anzupassen. Dazu werden Begriffe wie Muselmann gebraucht, die schon zur damaligen Zeit diskriminierend verstanden wurden.

Das Osmanische Reich als Großmacht existiert nicht mehr, den Begriff Muselmann benutzt heute niemand mehr. Warum halten Sie das Lied dennoch für unzumutbar?

Vielen Menschen ist nicht bewusst, was das Singen solcher Lieder bei Menschen mit migrantischem Hintergrund auslöst. Es ist noch nicht lange her, dass eine Mutter ihren schwarzen Sohn von einer Klassenfahrt abholen wollte und folgendes erlebte: „Die Tür des Busses ging auf, und ich hörte, wie alle Kinder zusammen mit den Lehrern laut ‚Zehn kleine N.‘ sangen. Mein Sohn war der einzige Schwarze im Bus und saß schweigend, mit Tränen in den Augen, da. Am Ende klatschten alle.“ Diese Lieder werden in der Schule sehr wohl von den Kindern diskriminierend verstanden und zum Mobbing verwendet.

Sie bezeichnen auch „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ als rassistisch. Da geht es doch nur um den witzigen Klang und nicht um den Inhalt.

Doch. Wenn von „Dri Chinesen mit die Kintribiss“ die Rede ist, geht es darum, die chinesische Sprache in belustigender Weise nachzunahmen. Chinesische Kinder in deutschen Kitas oder Schulen finden das nicht unbedingt zum Lachen, weil sie merken, dass sich hier in sinnfreier Art über ihre Muttersprache lustig gemacht wird. Das wussten übrigens schon die Nazis. In der ersten Fassung des Liedes aus der Zeit um 1910 hieß es noch „Ein Japanese mit dem Bass, Bass, Bass“. Erst als Japan 1936 eine Allianz mit den Nationalsozialisten schloss, wurden die Japaner im Lied durch Chinesen ersetzt.

Sie halten auch „Alle Kinder lernen lesen“ und „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt“ heute für nicht akzeptabel. Das sind alles weitverbreitete Lieder. Warum sind die überhaupt so erfolgreich?

Das liegt daran, dass sie alle etwas pädagogisch Sinnvolles transportieren wollen. Bei den „Zehn kleinen N.“ geht es um das Rückwärtszählen, bei den Chinesen mit dem Kontrabass können Kinder etwas über Vokale lernen, bei „C-A-F-F-E-E“ geht es um Tonnamen, die geübt werden sollten. Außerdem spielt in allen Liedern der Humor eine wichtige Rolle, bei dem über andere gelacht wird. Im Zusammenspiel mit einer eingängigen Melodie und verbreiteten Stereotypen wurden die Lieder so populär.

Wie sollte man Ihrer Meinung nach also heute mit diesen Liedern umgehen?

Es gibt Lieder, die man problemlos umformulieren und weitersingen kann. Beim CAFFEE-Kanon kann man zum Beispiel „Muselmann“ durch „dummen Mann“ und „Türkentrank“ durch „schwarzen Trank“ ersetzen. Dagegen sollten „Zehn kleine N.“ in deutschen Schulen nicht mehr gesungen werden.

In der allgemeinen Diskussion zu problematischen Begriffen taucht schnell der Vorwurf der Zensur auf, traditionelles Liedgut werde aus politischen Gründen geopfert. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?

Zum einen zeigt das Beispiel von „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“, dass sich Musiktexte aus ganz unterschiedlichen Gründen mit dem Laufe der Zeit verändern und es keine für immer festgeschriebenen Fassungen gibt. Zum anderen sollten wir uns daran erinnern, dass es in Kitas und Schulen unser Auftrag ist, Kindern die Werte unserer Gesellschaft nahezubringen und sie vor rassistischen Diskriminierungen zu schützen. Wir sollten das Gemeinsame und nicht das Trennende betonen, Charaktereigenschaften und nicht Äußerlichkeiten beschreiben, uns für Gleichheit einsetzen und nicht andere Völker abqualifizieren.

Gibt es dann überhaupt noch Kinderlieder, die man guten Gewissens singen kann?

Es gibt viele Lieder, in denen fremde Menschen und Kulturen als gleichwertig thematisiert werden. Auf Platz zwei der erfolgreichsten deutschen Musiker steht Rolf Zuckowski, der seit vielen Jahren Kinderlieder produziert, die alle den Gedanken der Inklusion, der Freundschaft und der Überwindung von Widerständen in sich tragen. Die von mir kritisierten Lieder stellen nicht das zentrale Repertoire der deutschen Volksliedtradition dar.

Interview: Joachim Göres

Kompakt
Nepomuk Riva ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am musikwissenschaftlichen Institut der Musikhochschule Hannover und fordert, mehrere bekannte deutsche Kinderlieder wie „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ und „Die Affen rasen durch den Wald“ nicht mehr zu singen. Sie diskriminieren Menschen mit anderer Hautfarbe. Stattdessen plädiert er für ein Umschreiben der Lieder sowie für Lieder in Kitas und Schulen, in denen fremde Völker nicht abgewertet werden. Riva betreibt auch einen Blog zum Thema „Postkoloniale Musiken“ (https://postkolonialemusiken.wordpress.com).

Buchtipp:
Kinderlieder sind Bestandteil des Deutsch- oder Musikunterrichts an Grundschulen und finden sich auch in Lehrwerken des Ernst Klett Verlages. Die Redaktionen des Verlages sehen einige der o.g. Kinderlieder ebenfalls kritisch und nehmen sie in neue Unterrichtsmaterialien nicht mehr auf.