Klett-Themendienst Nr. 105 (02/2022)
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Schulwälder: „Es ist schön zu sehen, wenn neues Leben entsteht“

60 Schulen haben mit Unterstützung der Stiftung Zukunft Wald ihren eigenen Schulwald gepflanzt, den sie vor allem für einen anschaulichen Biologieunterricht nutzen.

Ein nasskalter Vormittag, ab und zu leichter Nieselregen, keine Sonne, fünf Grad. Mädchen und Jungen der Oberschule Westercelle aus den Klassen 5 bis 8 stehen im großen Kreis um Laurenz Rohde herum und hören ihm geduldig zu. Der Student der Forstwirtschaft hat einen jungen Baum in der Hand und fragt in die Runde: „Wie rum setzt man den in die Erde ein?“ Die Antwort kommentiert er so: „Richtig, die Wurzel muss nach unten, damit daraus ein richtiger Baum werden kann.“ Rohde zeigt, wie man mit einem Spaten ein Loch gräbt, den Baum einsetzt, wieder Erde drüber macht und mit dem Fuß die Erde fest andrückt. In jedes Loch gehört nur eine Pflanze. Dann bittet er zwei Freiwillige in die Mitte, die demonstrieren sollen, ob sie alles richtig verstanden haben. Zwei Jungen zögern nicht lange und haben in kurzer Zeit einen jungen Baum im wahrsten Sinne des Wortes in die Erde eingesetzt.„Ihr habt den ganzen Stamm verbuddelt, das ist nicht richtig“, sagt Rohde.

Nach dieser Einführung werden an Gruppen mit je fünf bis sechs Mädchen und Jungen insgesamt mehr als 2000 Bäume und Sträucher verteilt, die sie auf einer großen Freifläche am Rand der niedersächsischen Stadt Celle einpflanzen sollen – zunächst unter der Aufsicht eines fachkundigen Erwachsenen und dann in Eigenregie. „Mach rein“, ruft eine Schülerin der anderen zu. „Nein, das Loch ist noch nicht tief genug, du musst weiter graben“, lautet die Antwort. Ein paar Meter entfernt muss eine andere Schülergruppe nochmal von vorne beginnen, weil bei den Setzlingen noch die Wurzeln rausgucken.

Schulwälder gegen Klimawandel

Trotz Wind und Wetter und den ab und zu nötigen Korrekturen ist die Stimmung unter den Kindern und Jugendlichen gut. „Wir haben acht Bäume eingepflanzt. Das ist eine coole Sache. An der frischen Luft ist es besser als in der Schule“, sagt Mary. Ihre Freundin Silvana ergänzt, dass sie bei der ganzen Aktion auch etwas über die Bedeutung der Bäume für das Klima gelernt hat. Welche Baumarten sie genau eingepflanzt haben wissen die beiden Mädchen nicht, aber sie freuen sich schon darauf, dass sie künftig mit der Klasse öfter den rund 20-minütigen Fußweg von der Schule zum neu entstehenden Wald machen werden, um zu schauen, wie sich alles entwickelt. „Es ist schön zu sehen, wenn neues Leben entsteht“, sagt die 15-jährige Hiba. Sie hat in der 8. Klasse den Wahlpflichtkurs Natur gewählt, der sich in erster Linie um den Schulwald kümmern wird.

„Schulwälder gegen Klimawandel“ – unter diesem Titel hat die Stiftung Zukunft Wald 2011 ein Projekt gestartet, an dem mittlerweile rund 60 Schulen teilnehmen, die ihren eigenen Wald anlegen. Die Stiftung der Niedersächsischen Landesforsten schließt dabei mit den Schulen und den Eigentümern der Fläche, auf denen der Wald gepflanzt wird, einen über 30 Jahre laufenden Kooperationsvertrag ab. Die Schulen verpflichten sich, in diesem Zeitraum den Wald in ihren Unterricht einzubeziehen und notwendige Arbeiten wie zum Beispiel das Zurückschneiden der Traubenkirsche durchzuführen.

Bildung für nachhaltige Entwicklung

„Ein eigener Wald ist das Beste, was man als Biologielehrer bekommen kann“, sagt Andreas Brüggemann, Fachleiter Biologie an der OBS Westercelle, die rund 850 Schüler:innen von der 5. bis zur 10. Klasse besuchen. Künftig werden er und seine Fachkollegen regelmäßig zum Schulwald gehen, um dort mit ihren Klassen zum Beispiel Blütenformen- und arten kennenzulernen, Bestimmungsübungen durchzuführen, Bodenproben zu nehmen und Insekten zu beobachten. „In der Natur können die Schüler besser als im Klassenraum die Zusammenhänge des Ökosystems erleben und verstehen“, sagt Brüggemann und liefert ein Beispiel: „Unsere Schule hat vor einem Jahr einen Schulgarten an einer Stelle eingerichtet, an der vorher nur sandiger Boden war. Neulich hat sich eine Amphibie dorthin verirrt. Das war ein Aha-Erlebnis für die Schüler, denn sie konnten so erleben, dass Pflanzen Insekten und Amphibien anziehen.“ Dies sei auch deshalb so wichtig, weil nur wenige seiner Schüler:innen ansonsten näher mit der Natur in Berührung kämen.

Brüggemann setzt darauf, dass auch Kollegen aus anderen Fächern den Wald in ihren Unterricht einbeziehen – um zum Beispiel in Mathematik Höhenberechnungen durchzuführen oder sich in Kunst von der Natur inspirieren zu lassen, um kreative Werke zu schaffen. „Es kommt dabei immer auf die Kollegen an. An unserer Schule ist das Interesse groß, ich habe viele positive Rückmeldungen von Erwachsenen und Kindern bekommen“, freut sich Brüggemann. Als nächstes will er das Aufstellen eines Containers auf dem bepflanzten Gelände als Lager für Werkzeug sowie die Schaffung von Sitzmöglichkeiten zwischen den Bäumen für einen Unterricht unter freiem Himmel in Angriff nehmen.

Franziska Dannenberg ist stellvertretende Direktorin der Stiftung Zukunft Wald und hat die Pflanzaktion maßgeblich vorbereitet. Dazu gehören im Vorfeld Gespräche mit der Schule sowie mit der Stadt Celle, die die 0,3 Hektar große Fläche kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Dazu gehört die Erkundung des Bodens, um festzulegen, welche Pflanzen in welcher Zusammenstellung hier auf Dauer gute Bedingungen zum Gedeihen haben, auch in Zeiten steigender Temperaturen. Dazu gehört die Anschaffung der Setzlinge – Eichen, Birken, Hainbuchen, Kiefern sowie Büsche wie Hasel, Weiß- und Schwarzdorn, Ginster. Die Fläche wird die ersten Jahre eingezäunt bleiben, damit keine Tiere die jungen Pflanzen zerstören. „Nach unserer Erfahrung überleben 90 Prozent der Pflanzen. Nur bei ganz trockenem Sommer droht ein höherer Ausfall“, sagt Dannenberg. Sie und ihre Mitarbeiter besuchen auch Schulen zu Projekttagen, um das Thema weiter zu vertiefen. Das Ziel der ganzen Aktivitäten ist für sie klar: „Wir wollen die Schülerinnen und Schüler mit dem Wald und seine unabdingbare Bedeutung vor allem in der Zeit des Klimawandels vertraut machen.“

Eine Botschaft, die auf offene Ohren stößt. „Wir bekommen in den letzten Jahren immer mehr Anfragen von Schulen, die einen Wald pflanzen wollen. Wir können bislang aber nur in Niedersachsen tätig werden“, sagt Dannenberg. Bundesweit ist dagegen die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald aktiv. Sie bietet unter anderem Fortbildungen für Lehrkräfte an und kommt mit ihren Waldpädagogen auch in die Schulen, die dort zusammen mit Schüler:innen aus den Klassen 3 bis 7 die „Soko Wald“ bilden und sich auf die Spur der Geheimnisse des Waldes begeben.  
Autor: Joachim Göres

Kompakt
Die Stiftung Zukunft Wald startete 2011 das Projekt „Schulwälder gegen Klimawandel“. Seitdem haben Lernende von rund 60 Schulen einen eigenen Schulwald gepflanzt, der vor allem im Biologieunterricht als Anschauungsobjekt für die Zusammenhänge in der Natur dient. Dort können Mädchen und Jungen, ganz im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, zum Beispiel Blütenarten bestimmen, Insekten beobachten oder vor Ort etwas über die Bedeutung des Waldes in Zeiten des Klimawandels erfahren.


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