Viel dafür zu tun, dass ihre Schule die Menschen, die dort lernen und arbeiten, gesund hält, ist der Schulleiterin Bettina Kubanek-Meis seit vielen Jahren ein großes Anliegen. Wie kam es dazu? „Ich war gerade die ersten Wochen Schulleiterin, als ein Kollege zu mir kam und sagte: ‚Ich kann nicht mehr, ich hör auf‘. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Bis heute arbeiten wir daran, Arbeitszufriedenheit, ein gutes Schulklima und die Überzeugung, dass unser Tun sinnvoll ist, zu einem Mittelpunkt unserer Schulentwicklung zu machen.“
Dynamisches Geschehen
Das Kollegium in der Gesamtschule Barmen versteht „gesund sein“ als eine permanente Entwicklung, für die jeder Mensch im System Schule persönlich Verantwortung übernimmt. Was hält unser System, unsere Schule, gesund? Wie sichern wir die Arbeitszufriedenheit von Kindern und Erwachsenen? Wie stärken wir den Zusammenhalt? Wie unterstützen wir uns gegenseitig in unserem Unterricht und richten den Blick auf unsere Kompetenzen? Wie bewahren wir das gute Klima der Schule, auch wenn die Herausforderungen zunehmen?
Mit diesen Fragen befasst sich das Schulleitungsteam kontinuierlich. Akteure und Handlungen werden dabei nicht isoliert betrachtet, sondern als komplexes Systems verstanden, das aus verschiedenen, sich aufeinander beziehende und miteinander verknüpften Variablen besteht. Damit orientiert sich die Schule an einem Verständnis von Gesundheit, in dem Krankheit und Gesundheit nicht als Zustand, sondern als dynamisches Geschehen betrachtet werden. Entscheidend ist das Zusammenspiel von krankmachenden und schützenden Faktoren.
Interaktionen: hohe Intensität
Aber warum zählen eigentlich gerade Lehrkräfte zu einer der besonders belasteten Berufsgruppen? Eine, die zu Lehrergesundheit forscht, ist Bärbel Wesselborg. Die Professorin an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf leitet dort den Studiengang Berufspädagogik Pflege und Gesundheit. Sie weiß nicht nur, welche Faktoren zu Belastungen führen, sondern spürt auch der Frage nach, wie sich gegensteuern lässt. Zwei Erkenntnisse lassen dabei besonders aufmerken: Zum einen haben ihre Forschungsergebnisse gezeigt, dass es die hohe Intensität der Interaktion mit Schülerinnen und Schülern sind, die den hohen Stress erzeugen. Zum anderen hat sich herausgestellt, dass ein professionelles Classroom Management nicht nur dem guten Unterricht, sondern ebenso der Gesundheit dient.
Je beliebter, umso gesünder?
„Unsere Studien haben gezeigt, dass die Belastung bei Beschäftigten in sozialen Interaktionsberufen, zu denen Lehrkräfte zählen, deutlich zugenommen hat. Die ständige Interaktionsarbeit bedeutet für Lehrkräfte eine hohe psychosoziale Anstrengung“, fasst Wesselborg zusammen. Insbesondere die Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern über deren störendes Verhalten im Unterricht – z. B. Zuspätkommen, Stören des Unterrichts, mangelnde oder lustlose Beteiligung – empfinden Lehrkräfte als belastend. Gleichzeitig sind positive Rückmeldungen sowie ein wertschätzenden Verhältnis zu den Schülerinnen und Schüler und auch aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen die wichtigste gesundheitliche Ressource. Die Qualität der Interaktionen sind somit Stress und Ressource zugleich.
Sind bei Kindern und Jugendlichen beliebte Lehrkräfte also zwangsläufig gesünder? „Nicht unbedingt“, antwortet Wesselborg. „Ein Sympathie-Bonus kann nur dann positiv entlastend wirken, wenn die Beziehung zwischen Lehrkraft und Lernenden zu einer guten Kooperation, einer guten Arbeitsbeziehung im Unterricht führt.“ Per Videoanalyse konnte die Wissenschaftlerin erkennen: „Eine hohe, auf Regeln und Routinen basierende professionelle Kompetenz in der Klassenführung beeinflusst den Gesundheitszustand der Lehrkräfte maßgeblich. Idealerweise ist dies mit einem wertschätzenden Umgang und einem guten Klassen- bzw. Schulklima verbunden“.
COPSOQ, AMIS und eine neue Studie
Burnout und die Welle der Frühpensionierungen lenkten den Blick der Fachöffentlichkeit vor Jahren erstmals auf Lehrergesundheit. Heute ist das Thema sowohl in der Bildungsverwaltung als auch in der Praxis angekommen. In NRW etwa werden die psychosomatischen Beschwerden bei Lehrkräften seit einigen Jahren mit COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) erfragt, zum Beispiel im Mai und im Juni 2022 an allen öffentlichen Schulen im Regierungsbezirk Arnsberg. Der Bayerische Lehrerinnen und Lehrer Verband (BLLV) wiederum hat nicht nur auf seinen Websites das Schwerpunktforum Lehrergesundheit eingerichtet, sondern treibt auch den Ausbau des neuen Arbeitsmedizinischen Instituts für Schulen (AMIS) voran.
Besser: Wochenarbeitszeit
BLLV- Präsidentin Simone Fleischmann stellte unlängst eine Studie unter 1.300 Schulleitungen in Bayern vor. Danach sagen 56 Prozent aus, dass die Zahl an Kolleginnen und Kollegen, die langfristig aufgrund von physischen Erkrankungen ausgefallen sind, in den letzten Jahren zugenommen habe. Ähnlich viele (55%) haben den Eindruck, dass Ausfälle durch psychische Erkrankungen zugenommen hätten. „Die andauernde Belastung und immer mehr Aufgaben on Top, machen unseren Pädagoginnen und Pädagogen sehr zu schaffen“, so Fleischmann.
Wenn Bärbel Wesselborg den Verantwortlichen für das Unterrichtsdeputat einen Rat bezüglich der Verbesserung der Lehrergesundheit geben könnte, dann wäre es dieser: Das hohe Volumen außerunterrichtlicher Aufgaben und Kommunikationsanlässe sollte in eine realistische Wochenarbeitszeit fließen, anstatt nur die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden festzulegen.
Autorin: Inge Michels