Klett-Themendienst Nr. 108 (07/08 2022)

Bei der Sanierung von Schulen sollten pädagogische Überlegungen im Vordergrund stehen und Schüler und Lehrer bei den Planungen eine wichtige Rolle spielen.

2017 bekam der Neubau des Schmuttertal-Gymnasiums Diedorf in der Nähe von Augsburg den Deutschen Architekturpreis. Ausgezeichnet wurde die Schule von einer aus Architekten bestehenden Jury unter anderem, weil sie durch mehr als 1600 Photovoltaik-Module mehr Energie liefert als verbraucht und wegen der vorgefertigten Holzskelettkonstruktion schnell und kostengünstig erbaut werden konnte. Die Schulleitung verweist dagegen mit Stolz eher auf die bauliche Umsetzung des von Lehrenden und Lernenden erarbeiteten Raumkonzeptes. Dazu gehört die Schaffung von offenen Lernlandschaften für alle Jahrgangsstufen – statt den üblichen Fluren als reine Verbindungswege gibt es vor den Klassenräumen einen Bereich, in dem die Schüler selber lernen können. „Ausgangspunkt aller Überlegungen sind nicht die technischen Details, sondern der Zweck des Gebäudes: Lern- und Lebensraum zu sein, in dem moderne gymnasiale Bildung möglich ist“, heißt es auf der Schul-Homepage unter dem Stichwort „Pädagogische Architektur“.

Wirkung der Schularchitektur auf das Lernen

Der emeritierte Erziehungswissenschaftler Christian Rittelmeyer betont dagegen, dass es in Schulgebäuden in erster Linie darum geht, dass sich Menschen dort wohlfühlen, weil sie dann lieber und besser lernen. Rittelmeyer hat sich in seiner jahrelangen Forschung ausführlich mit der Wirkung der Schularchitektur auf das Lernen beschäftigt und spricht von drei wichtigen Kriterien. Die Fassade und die Innengestaltung sollten anregend und abwechseln statt eintönig und monoton sein. Form und Farbe sollten freilassend und nicht bedrängend wirken – also zum Beispiel keine engen Flure und keine grellen Farben. Die Raumgestaltung sollte eher warm und weich (Holz, Bilder im Raum, Bau- und Farbelemente beziehen sich aufeinander) statt kalt und hart (Sichtbeton, Stahlgerippe, graublau, Bau- und Farbelemente stehen beziehungslos nebeneinander) anmuten. Für Rittelmeyer ist klar: „Alleine können Architekten die Schule der Zukunft nicht schaffen.“

Das haben sich auch diejenigen gesagt, die täglich viele Stunden in der Kooperativen Gesamtschule Leeste in der Nähe von Bremen verbringen. Das aus den 70er Jahren stammende Gebäude für rund 1100 SchülerInnen war in die Jahre gekommen und wurde nach einer vierjährigen Sanierung gerade neu eingeweiht. Bei der Investitionssumme von 19,4 Millionen Euro spielt die Modernisierung aller 80 Unterrichtsräume mit moderner Medientechnik eine große Rolle, damit Smartphones, Laptops und Tablets zum Lernen eingesetzt werden können Das Besondere: Schüler und Lehrer hatten während von der Entwurfsphase bis zum Abschluss der Bauarbeiten entscheidenden Anteil an den Veränderungen an ihrem Schulgebäude.

„Das pädagogische Konzept muss klar sein, bevor man schaut, wie man es baulich umsetzen kann. Für uns war Teamarbeit, Binnendifferenzierung und Barrierefreiheit wichtig. Die Schüler sollen gerne bei uns lernen, deswegen haben wir auf wertige Materialien wie Holz und Stein gesetzt“, berichtet Rainer Patzelt, bis vor kurzem KGS-Schulleiter. Er nennt eine weitere Voraussetzung, damit Schüler und Lehrer auf die Gestaltung Einfluss nehmen können: „Man muss zunächst architektonisches Wissen vermitteln und Alternativmöglichkeiten kennenlernen und diskutieren, um Entscheidungen treffen zu können, denn sonst wäre das nur eine Schein-Partizipation.“

Nischen zum Zurückziehen

Die Innenarchitektin Tanja Remke und ihr Team haben dazu mit Schülern Workshops veranstaltet. Viele Wünsche der Lernenden wurden umgesetzt. Sie wollten Orte, an denen sie sich zurückziehen können und haben Sitz-Nischen entworfen, die man heute im Gebäude an verschiedenen Stellen findet. Sie wollten keine stinkenden Teppiche mehr – heute gibt es einen Parkett-Bodenbelag. Sie wollten saubere Toiletten – heute hat jeder Jahrgang eine eigene Toilette. „Es gab auch Wünsche wie kuschelige weiche Polster zum Sitzen. Weil sie schnell dreckig werden und kaputt gehen, mussten wir das ablehnen – wenn man das erklärt, können die Schüler das akzeptieren und fühlen sich ernst genommen“, sagt Remke und fügt hinzu: „Die Partizipation von Schülern und Lehrkräften während der gesamten Planungs- und Bauphase verbessert das Ergebnis und zahlt sich auch finanziell aus, denn es muss nicht nachträglich noch etwas verändert werden. Dies senkt die Kosten und verkürzt die Bauzeit.“

Lehrern waren bei den regelmäßigen Treffen mit Remke die Bedingungen für einen guten Unterricht wichtig. So konnte die Akustik durch neue Decken aus Holzwolle-Leichtbauplatten deutlich verbessert werden. Lange Diskussionen gab es um die von der Schulleitung angestrebte Öffnung der Wände der Klassenräume. Die geschlossenen sollten durch gläserne Wände ersetzt werden, damit der angrenzende Flur auch als Lernraum für Gruppen- oder Einzelarbeit genutzt werden kann und die Lehrkräfte durch die Glaswand alle Schüler im Blick behalten. „Einige Lehrer fühlten sich unwohl beim Gedanken, dass ihr Unterricht von außen beobachtet werden kann. Andere sorgten sich darum, dass Schüler schneller abgelenkt werden“, sagt Remke, deren Büro für Konzept und Umsetzung bei der Sanierung der KGS Leeste gerade mit dem Niedersächsischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet wurde. Patzelt ergänzt: „Ich hatte anfangs Angst, dass Kollegen die Glasscheiben verhängen. Inzwischen will niemand mehr auf die transparenten Wände verzichten. Man muss einfach die Erfahrung machen und die Vorteile erleben, dass man viel Platz zum Lernen gewinnt und leichter differenzierten Unterricht durchführen kann.“

Schulflur als Lernraum

Christiane Kraatz, Architektin aus Braunschweig und Vorsitzende der AG Schulbau bei der niedersächsischen Architektenkammer, spricht von einem Sanierungsstau bei Schulen in Deutschland in Höhe von 45 Milliarden Euro. Sie wünscht sich schnellere Entscheidungen und einheitlichere Regeln bei Sanierungsprojekten, bei denen pädagogische Überlegungen im Vordergrund stehen sollten: „In Braunschweig hat die Polizei wegen der Amok-Gefahr in Schulen durchgesetzt, dass Klassenräume keine Glaswände haben dürfen. In Niedersachsen ist die Nutzung des Schulflurs als Lernraum nur mit Ausnahmegenehmigung möglich, weil der Flur als Fluchtweg gilt. In Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen ist man in den Schulbaurichtlinien deutlich weiter.“

Text: Joachim Göres

Kompakt
Themen wie Digitalisierung, Ganztagsunterricht, Inklusion, Barrierefreiheit, Zunahme der Hitzetage, Amok-Gefahr haben in den letzten Jahren zu neuen Anforderungen an Schulgebäude geführt. Pädagogische Überlegungen sollten deshalb im Vordergrund stehen, wenn es um die Sanierung von Schulen geht. Nach den Erfahrungen an der KGS Leeste steigt die Zufriedenheit und können zusätzliche Kosten und Verzögerungen vermieden werden, wenn Lehrkräfte und Schüler kontinuierlich bei den Planungen und ihrer Umsetzung berücksichtigt werden.