Klett-Themendienst Nr. 109 (10/2022)

Nicht selten erleben Schülerinnen und Schüler, dass ein naher Mensch oder ein geliebtes Tier stirbt. In solchen Fällen sind nach Ansicht der Trauerberaterin Susanne Claus alle Lehrkräfte gemeinsam gefordert.

Frau Claus, Sie haben früher selber als Religionslehrerin in Waldorfschulen gearbeitet. Heute bieten Sie für Lehrerkollegien Inhouse-Schulungen zum Umgang mit Tod und Trauer in der Schule an. Welche Fragen haben Lehrkräfte bei diesem Thema?

Mir wird oft von einer großen Sprachlosigkeit im Lehrerzimmer berichtet, wenn es um Dinge geht, die nichts mit dem Fachunterricht zu tun haben. In der Grundschule gibt es viel Unsicherheit, was man Kindern zumuten kann, wenn eine Person gestorben ist, die sie persönlich kennen. Allgemein besteht das Gefühl, dass man in solchen Fällen reagieren und Betroffene unterstützen muss, doch man weiß nicht wie. In höheren Klassen taucht das Thema Suizid und der Umgang damit immer wieder auf. Die Nachfrage nach meinen Kursen ist größer geworden.

Was raten Sie bei solchen konkreten Fragen?

Erstmal rate ich zu Ehrlichkeit. Wenn ein Kind gestorben ist und man darüber nicht spricht, merken die Kinder, dass etwas nicht stimmt. Vertrauen ist in solchen Fällen am wichtigsten, und das entsteht durch Ehrlichkeit. Dann betone ich, dass man seine eigene Betroffenheit und Trauer ernstnehmen soll und Kindern gegenüber auch zeigen darf, das fällt vielen Lehrerinnen und Lehrern schwer. Ebenso ist es für viele ein Problem, wenn sie nicht auf alle Fragen der Kinder zum Thema Tod antworten können. Man darf Schülerinnen und Schülern gegenüber eingestehen, dass man selber nicht alles weiß – Kindern tut es gut, wenn sie das sehen.

Gibt es denn klare Regeln, wie man sich als Lehrkraft verhalten soll?

Das werde ich oft in Schulungen gefragt. Ich betone dann, dass ein achtsamer Umgang mit trauernden Kindern wichtig ist. Das fängt bei Situationen an, die vielfach von Erwachsenen gar nicht wahrgenommen werden. Wenn ein Mädchen erzählt, dass ihr Hund gestorben ist und ihre Lehrerin mit den Worten reagiert „Dann kauft euch mal schnell einen neuen“, dann ist das nicht angemessen, man kann nicht einfach darüber hinweggehen. Als Lehrkraft kann man auch ganz anders reagieren. Ein Junge hat im Unterricht berichtet, dass er einen toten Vogel im Garten gefunden hat. Darauf hat die Klassenlehrerin vorgeschlagen, den Pastor anzurufen, um den Vogel zu beerdigen. Der Pastor ist auch gekommen und die Kinder konnten über ähnliche Erlebnisse und ihre Gefühle sprechen.

Sie haben bislang vor allem über jüngere Kinder gesprochen. Wie sieht es bei Jugendlichen bei diesem Thema aus?

Jugendliche brauchen eher Gleichaltrige und suchen eher ihre Nähe als den Kontakt zu Lehrkräften. Man sollte sich trotzdem als Ansprechpartner anbieten, ohne sich aufzudrängen und eine mögliche Ablehnung akzeptieren. Als Lehrerin bzw. Lehrer sollte man bei Trauerfällen nicht nur die Betroffenen, sondern auch die übrigen Gruppenmitglieder im Blick haben und sie ruhig fragen: „Wie geht es euch? Braucht ihr ein Gespräch?“ Oder man bietet einfach an: „Wenn du magst, koche ich dir einen Tee.“ Das ist oft das Schwerste für Lehrkräfte: Einfach nur da zu sein. Für Kinder und Jugendliche ist es ganz wichtig zu spüren, dass da jemand ist, den man ansprechen kann und der sie unterstützt. Wichtig sind für sie auch normale Alltagsstrukturen in belastenden Situationen, gleichzeitig brauchen sie manchmal eine Auszeit. Wenn jemand sagt: „Ich will die letzten Tage bei meinem sterbenden Bruder sein“, dann sollte das akzeptiert werden.

Wer von den Lehrkräften sollte bei einem Trauerfall in der Klasse eigentlich aktiv werden?

In jedem Fall die KlassenlehrerInnen, weil sie die Kinder am besten kennen. Bis heute kommt es noch oft vor, dass in solchen Fällen die Verantwortung gerne auf die Religionslehrerkräfte abgewälzt wird. Manchmal wird argumentiert, dass man die Klasse gar nicht gut kenne, weil man ja nur zwei Stunden in der Woche dort unterrichte – ohne zu bemerken, dass Religionslehrer:innen oft auch nicht länger in der Klasse sind. Ich ermutige, dass man andere Kolleg:innen mit ins Boot holen kann, wenn man sich unsicher fühlt. Bei Bedarf kann man sich auch Hilfe von außen holen, zum Beispiel bei Mitgliedern des Bundesverbandes für Trauerbegleitung. Insgesamt steigt zum Glück das Bewusstsein, dass Lehrkräfte gemeinsam für Kinder in schweren Zeiten zuständig sind.

Sie empfehlen Schulen einen so genannten Trauerkoffer mit Kerzen, Trauerkarten, einem Teddy oder anderen Utensilien bei Todesfällen. Dabei schlagen Sie auch Listen für unvorhergesehene Fälle vor. Was meinen Sie damit genau?

Im Koffer können Listen mit Regeln Platz finden, wie man sich als Lehrkraft bei einem Unfall oder einem Suizid verhält, den Schüler:innen und auch den Eltern gegenüber. Solche Listen geben in Krisensituationen Orientierung. Weil sie von den Lehrkräften selbst aufgestellt werden, sind sie eine Chance, sich im Kollegium über grundlegende Fragen zu unterhalten. Wie schreiben wir die Eltern an? Was können betroffene Familien von uns erwarten, wo sind die Grenzen unserer Unterstützung? Welche Rituale entwickeln wir, um von einem Mädchen oder Jungen Abschied zu nehmen? Brauchen wir einen gemeinsamen Ort der Trauer auf dem Schulgelände? Auf welche Hilfsangebote außerhalb der Schule weisen wir hin? Solche Trauerkoffer haben einige Schulen bereits, aber sie sind noch die große Ausnahme.

Hospizvereine in vielen Städten bieten Projektwochen unter dem Titel „Hospiz macht Schule“ (www.hospizmachtschule.de) an. Was ist davon zu halten?

Das ist ein sehr sinnvolles Angebot für die Klassen 3 und 4 zum Thema Leben, Sterben, Trauer, Trost und Trösten, das es mittlerweile auch für weiterführende Schulen gibt.

Das Gespräch führte Joachim Göres

Susanne Claus

Susanne Claus, Diplom-Religionspädagogin, Sozialpädagogin und Trauerbegleiterin für Kinder und Familien aus Ottersberg bei Bremen

Kompakt
Im vergangenen Jahr verunglückten in Deutschland bei Straßenverkehrsunfällen 22 300 Kinder unter 15 Jahren, 49 von ihnen kamen dabei ums Leben. Für die MitschülerInnen ist der plötzliche Tod oder eine schwere Verletzung oft ein Schock. Die Trauerbegleiterin Susanne Claus rät Lehrkräften, sich auf solche Situationen vorzubereiten und im Kollegium zu besprechen, wie man in solchen Krisensituationen reagieren will. In jedem Fall sollte man im Unterricht offen mit dem Geschehen umgehen und auch seine eigene Betroffenheit nicht verbergen. SchülerInnen sollten spüren, dass man für ihre Fragen und Ängste ansprechbar ist.