Klett-Themendienst Nr. 110 (12/2022)

Wenn Fakten, Gefühle und Sinne eine Verbindung eingehen, wird Lernen zum Kinderspiel, das sagen Gehirn- und Bildungsforschung. Beim sozial-emotionalem Lernen (SEL) geht es genau darum: eine Einheit aus kognitivem, emotionalem und sozialem Lernen herzustellen.

Jenen Schulen, die sich dezidiert mit SEL befassen, geht es um einen offenen und wachen Blick auf jedes Kind, auf dessen Beziehungs- und Konfliktfähigkeit; es geht um Gefühlsregulierung und auch um Beharrlichkeit und anekdotisch verankertes Denkvermögen. In Grundschulen ist zum Beispiel das Einbetten von Lerninhalten in eine Geschichte beliebt. Lehrkräfte wissen, dass sich Kinder mit Emotionen und Sinneseindrücken konnotiertes Faktenwissen besser aneignen. Je mehr Sinne dabei aktiviert werden, desto leichter fällt später das Erinnern. Doch bevor Lernen überhaupt möglich ist, müssen die Ausgangsvoraussetzungen stimmen. Diese herzustellen, ist gerade in den unteren Klassen nicht immer leicht. Auch hierfür bietet SEL einen guten Ansatz.

Heike Kreet und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Bildungshaus Weerth-Schule nutzen SEL ganz pointiert, um einen guten Umgang miteinander einzuüben. Die große Grundschule mit rund 500 Kindern an zwei Standorten in Detmold bedient sich des Konzepts, um eine herausfordernde Schülerschaft mit nahezu 65 Prozent Einwanderungshintergrund zu einem sozialen Miteinander zu befähigen. Im Mittelpunkt steht das Erkennen und Verbalisieren der eigenen Gefühle. „Nur wenn ein Kind seinen Emotionen selbst nachspüren kann und dafür Worte findet, wird es fähig, sich in die Gefühle anderer hineinzuversetzen“, erklärt die Koordinatorin der Offenen Ganztagsschule Heike Kreet.

Lernziel: sich entschuldigen können

Beim SEL werden Kinder aufmerksam darin begleitet, sich in ihren Kompetenzen für ein respektvolles und gesundes Miteinander weiterzuentwickeln. Heike Kreet bringt ein Beispiel, worauf das pädagogische Personal an der Weerth-Schule achtet: „Es ist uns total wichtig, dass Kinder lernen, sich bewusst zu entschuldigen. Zu Beginn der Schulzeit reagieren viele auf einen Konflikt mit dem bekannten Fluchtverhalten und sagen etwa ‚War ich nicht‘ oder ‚Stimmt ja gar nicht‘. Wir nehmen uns dann die Zeit, jedem Kind zuzuhören und herauszufinden, was genau hinter einem Konflikt steckt. Fühlt sich ein Kind ungerecht behandelt? Ist es heute traurig und weint deshalb? Wenn eine Entschuldigung angebracht ist, begleiten wir die Kinder dabei. Wir ermutigen es, zu dem anderen Kind hinzugehen, es anzuschauen, die Hand auszustrecken und zum Beispiel zu sagen ‚Es tut mir leid. Ich möchte mich bei dir entschuldigen‘“.   

Viele Grundschulen verstehen heute unter individueller Förderung eine professionelle Förderung der Kinder in ihrer Persönlichkeit und in ihren emotionalen und sozialen Kompetenzen. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, die sich mit sozial-emotionalem Lernen als fachübergreifendem Konzept befassen, haben in Fortbildungen gelernt, die emotionalen und sozialen Kompetenzen der Kinder auszubauen und diese für das Zusammenleben und -arbeiten zu stärken. Damit legen sie die Basis für Lernbereitschaft und Lernerfolg der Kinder.

Worin genau liegen dabei die Herausforderungen für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte? Heike Kreet: „Wir beobachten, dass die Schere zwischen vernachlässigten und verwöhnten Kindern immer weiter auseinander geht. Die normale Mitte, wenn ich das mal so sagen darf, wird dünner. Ein Teil der Kinder traut sich kaum etwas zu, weil ihnen die Eltern alles abnehmen und sie zum Beispiel nicht gelernt haben, sich für ein Fehlverhalten zu verantworten. Schuld sind dann immer die anderen. Andere Kinder kennen keinen strukturierten Alltag, sind bildungsbenachteiligt und erhalten Zuhause kaum Unterstützung und Förderung ihrer Interessen. Wir wollen mit SEL einen Weg finden, diesen unterschiedlichen Kindern gerecht zu werden und sie zu einem Miteinander anzuleiten.“

„Wir sehen die Fortschritte“

Damit dies im schulischen Alltag gelingt, arbeitet am Bildungshaus Werth-Schule ein multiprofessionelles Team. Neben den Lehrkräften und  pädagogischen Fachkräften sind weitere Professionen eingebunden. Dazu gehören etwa Fachkräfte für Entspannungstherapie und Motopädagogik. Nicht nur das: Die Schule besteht inzwischen aus 16 gebundenen Ganztagsklassen und 4 offenen Klassen; nur wenige Kinder gehen direkt nach der Schule nach Hause. Dieses konsistente System wird ergänzt durch 7 Kitas, mit denen die Schule kooperiert. So können Kita und Schule gemeinsam allen Kindern einen sorgfältig gestalteten Übergang ermöglichen.

„Unsere Gesamtstruktur und Organisation erleichtert es, das soziale Miteinander nachhaltig zu üben und zu verankern“, erklärt Heike Kreet. „Wir sind zwar keine Insel der Glückseligkeit, aber wir sehen die Fortschritte. Die Kinder werden im Laufe der Jahre sensibler für ihr emotional verantwortliches Handeln und reflektieren ihre Gefühle und ihr Verhalten immer besser.“

Text: Inge Michels

Kompakt
Kinder in ihren emotionalen und sozialen Kompetenzen zu fordern und deren Weiterentwicklung zu begleiten und zu fördern – das ist das Ziel des Ansatzes sozial-emotionales Lernen (SEL). Der große Vorteil: Junge Kinder lernen, Verantwortung für das Miteinander zu übernehmen und gleichzeitig die Basis für eine erfolgreiche Lerngemeinschaft zu legen. Zu SEL in der Grundschule gibt es Fortbildungen und Materialien.

Buchtipp:
Mit dem Life-Skill-Programm Teamgeister lernen Kinder in den ersten vier Grundschuljahren, ihre Handlungen zu reflektieren, Gefühle zu kontrollieren und mit ihren Mitmenschen zu interagieren. Mit einem solcherart gestärkten Klassenzusammenhalt herrscht ein lernförderliches Klima für guten Unterricht, so das Ziel. https://www.klett.de/lehrwerk/teamgeister-ausgabe-ab-2022/einstieg