Die Expert:innen der KMK sprechen sich dafür aus, dass Informatik-Inhalte bereits in der Grundschule verpflichtend im Rahmen des Sachunterrichts vermittelt werden sollten. In der Mittelstufe sollte es ein Pflichtfach geben, und für die Oberstufe lautet die Mindestzielvorgabe, ebenso viele Schüler:innen im Fach Informatik zu erreichen wie in Physik und Chemie. Allerdings kommen die Vorschläge zu einer Zeit, in der viele Schulen in allen Bundesländern händeringend nach Lehrkräften für Informatik suchen.
„Eklatanter Mangel“
„Der eklatante Mangel an qualifizierten Informatiklehrkräften steht in einem alarmierenden Gegensatz zu dieser gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bedeutung“. Das schreibt Dr. Felix Streiter, der Geschäftsführer der Carl-Zeiss-Stiftung, zum Auftakt einer Studie über den Quereinstieg ins Informatik-Lehramt. Der Titel der Publikation ist Aufruf und Weckruf zugleich. Sein Imperativ lautet: Werde Informatik:lehrerin! Die Studie selbst wurde von der Gesellschaft für Informatik e. V. durchgeführt. Ziel ist es, zum Quereinstieg in ein Unterrichtsfach zu ermuntern, welches bereits heute an vielen Schulen fachfremd unterrichtet wird.
Es fällt auf, dass auf der entsprechenden Website zur Studie gezielt Frauen angesprochen werden. Viele Frauen mit einem Informatikstudium, einem IT-Studium oder jahrelanger Berufserfahrung im IT-Bereich, so ist dort zu lesen, suchen nach einer beruflichen Neuperspektive im Bildungsbereich. Sind Frauen also – zumal in Zeiten des insgesamt zunehmenden Fachkräftemangels – besonders gefragt?
Im Fokus: die weibliche Perspektive
In einer steigenden Zahl von MINT-Berufsfeldern wurde in den vergangenen Jahren die sogenannte weibliche Perspektive besonders in den Blick genommen, gerade auch in stark digitalisierten Arbeitsfeldern. Kati Ahl hat dazu ein Buch geschrieben: „Frauen und Digitalität – jetzt! Wie die Bildungstransformation von weiblichen Perspektiven profitiert“. Zusammen mit ihren Interviewpartner:innen beschreibt und sucht sie neue Wege, damit sich Mädchen und Frauen digital stärker interessieren und professionalisieren. Den Fokus legt das Buch auf das Umfeld Schule.
Die Leitfrage der Autorin lautet: „Lehrkräfte in Deutschland sind überwiegend weiblich, doch zu IT-Beauftragten an den Schulen werden meistens Männer ernannt. Woran liegt das?“ Obwohl die Antworten verständlicherweise enorm vielschichtig sind, zieht sich durch das Buch eine grundlegende Erklärung: Nach Beobachtung der herangezogenen Expert:innen entwickeln Frauen weniger Faszination für die digitale Technik „als solche“, sondern wollen den praktischen Mehrwert digitaler Tools ohne Umwege oder Spielereien erfassen und im Alltag umsetzen. Darin unterscheiden sie sich laut Kati Ahl deutlich von ihren männlichen Kollegen. Hier ist also anzusetzen, möchte man mehr Frauen für das Unterrichtsfach begeistern – sei es als Schülerin oder als angehende Lehrerin. Dabei hilft durchaus, digital affine Frauen auch frauenspezifisch anzusprechen, wie Fortbildungen zeigen.
Selten: Informatik-Studiengänge nur für Frauen
Die Professorin und Informatikerin Andrea Knaut von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin beobachtet zwar, dass man sich im IT-Bereich seit Jahren gerade um Frauen bemüht und die Studiengänge teilweise neu zuschneidet. „Aber es gibt nur an wenigen Hochschulen reine Informatik-Frauen-Studiengänge mit Exkursions-Angeboten zu solchen Firmen, die sich insbesondere um Frauen bemühen. Die Studienzeiten dort sind zum Beispiel so gelegt, dass darauf geachtet wird, dass auch Menschen mit Kindern oder mit Angehörigen, die sie pflegen, teilnehmen können.“
Länder ringen um Lösungen
Den Lehrermangel gerade in den MINT-Fächern hat zuletzt (2021) der bekannte Bildungsforscher Klaus Klemm im Auftrag der Telekom-Stiftung untersucht. Er warf einen Blick in die nähere Zukunft: Demnach wird sich zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen bis zum Schuljahr 2030/31 der Einstellungsbedarf nur zu einem Drittel mit ausgebildeten MINT-Fachlehrkräften decken lassen. Die Stiftung plädiert deshalb dafür, die Weiterbildung von Seiten- und Quereinsteigern grundsätzlich und systematisch in die Lehrerbildung zu integrieren.
Die Länder ringen hier um Lösungen. In Schleswig-Holstein gibt es zum Beispiel besondere Hochschulzugangsmöglichkeiten für Personen, die kein Abitur oder keine andere schulische Hochschulzugangsberechtigung vorweisen, dafür aber eine besondere berufliche Qualifikation besitzen, die mit dem favorisierten Studiengang fachlich verwandt ist.
Fiktive Vorbilder für Quereinsteigerinnen
Die aktuelle Offensive der Gesellschaft für Informatik e. V. und ihr Zuruf „Werde Informatiklehrer:in“ ist also nur allzu nachvollziehbar. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass inzwischen in einigen Bundesländern Informatik als Pflichtfach eingeführt worden ist, zuletzt in Niedersachsen. Richtig finden das übrigens 71 Prozent der Bundesbürger:innen, stellte eine repräsentative Befragung des Digitalverbands Bitkom im vergangenen Jahr fest.
Bei so viel Zuspruch und Bedarf ist davon auszugehen, dass tatsächlich gerade auf Frauen, die den Quereinstieg wagen möchten, gute Chancen warten. Beispielhafte – wenn auch fiktive – Berufsbiografien von angehenden Informatiklehrerinnen als Vorbilder hat die Gesellschaft für Informatik e. V. zusammengestellt und auf den Websites zum Projekt veröffentlicht (https://informatiklehrerin.gi.de/landing-page).
Text: Inge Michels