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Sprachsensibler Unterricht

Normalfall sprachsensibler Unterricht?

In der Theorie ist die Bedeutung des sprachsensiblen Unterrichts in den Köpfen vieler Lehrkräfte bereits angekommen. Doch an der Umsetzung hapert es mitunter noch. Davon ist die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Kerstin Göbel, Uni Duisburg/Essen (UDE), überzeugt.

Frau Prof. Göbel, welche Haltung muss eine Lehrkraft mitbringen, um das Angebot der Uni Duisburg/Essen zum sprachsensiblen Unterricht nicht als „lästige“ Pflichtübung zu besuchen?

Viele Studierende der UDE kommen selbst aus mehrsprachigen Familien. Das ist sicher einer der Gründe, warum die Studienangebote zum Thema sprachsensibler Unterricht von unseren Studierenden sehr interessiert aufgenommen werden. Generell müssen Studierende im Lehramt eine konstruktive Haltung gegenüber Heterogenität entwickeln, denn eine heterogene Schülerschaft ist inzwischen weitgehend der Normalfall und nicht die Ausnahme.

Spiegelt sich das in der Ausbildung wider?

Die Kompetenz im Umgang mit heterogenen Lerngruppen ist ein wichtiges Lernziel in der Ausbildung von Lehrkräften. Sowohl die bildungswissenschaftlichen als auch die fachdidaktischen Lehrangebote in der universitären Ausbildung zielen darauf ab, diesen Aspekt sowohl theoretisch zu beleuchten als auch unterrichtspraktische Perspektiven zu vermitteln. Je mehr sich Studierende des Lehramts schon während des Studiums mit Konzepten und Unterrichtsmaterialien zum sprachsensiblen Unterricht auseinandersetzen, desto mehr profitieren sie davon später als Lehrkraft.

Zeiten, in denen Zugezogenen fast „verboten“ werden sollte, ihre Muttersprache zu sprechen, sind (zum Glück) vorüber. Hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass Mehrsprachigkeit eine Chance darstellt?

Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass Mehrsprachigkeit für das weitere Sprachenlernen eine günstige Voraussetzung darstellt. Weiterhin ist Mehrsprachigkeit eine individuelle kognitive Ressource, weil die Aufmerksamkeitsfokussierung von Mehrsprachigen besser ist als bei monolingualen Personen. Zudem hat sich gezeigt, dass Mehrsprachigkeit eine demenzverzögernde Wirkung hat.

Was bedeutet das für den Unterricht?

Die Nutzung der Erstsprache kann auch für das fachliche Lernen, etwa in Mathematik und den Sprachen, hilfreich sein. Diese Perspektive ist theoretisch sicher einigen Lehrkräften klar. Die Vielsprachigkeit der Lernenden produktiv zu nutzen, steckt jedoch auch in den Sprachlern-Fächern noch in den Anfängen. Wir arbeiten aktuell mit Kolleginnen und Kollegen der Bergischen Universität Wuppertal an einem Projekt in dem wir mehrsprachigkeitsorientierte Aufgaben für den Französischunterricht entwickeln. Hier zeigt sich, dass die Lehrpersonen die Aufgaben zwar grundsätzlich positiv einschätzen, die Implementation im Unterricht jedoch auch einer Einstellungsänderung im Hinblick auf die Toleranz gegenüber Fehlern bedarf.

Klassen an Gymnasien sind zumeist deutlich homogener zusammengestellt als an anderen Schulformen. Ein Grund, warum sich die Kollegien dort damit schwerer tun, sprachsensibel zu agieren?

Unter Umständen gibt es zwischen den Klassen auch innerhalb der Gymnasien sehr deutliche Unterschiede, aber der Grad der Heterogenität innerhalb der Klassen ist noch etwas geringer als in anderen Schulformen. Viele Gymnasien vertrauen darauf, dass die Lernenden sich Wissen sehr selbständig aneignen und hierbei ggf. von ihren Eltern unterstützt werden. Gerade für Lernende mit anderer Erstsprache als Deutsch sind jedoch systematische Unterstützungsangebote im Unterricht sehr wichtig. Leider wird an Gymnasien im Kollegium seltener kooperiert als an anderen Schulformen. Sprachsensibles Unterrichten – das bedeutet auch Austausch über Unterricht, Austausch über den Einsatz von Materialien und gemeinsame Entwicklung von Materialien.

Deutsch lernen ist das eine, Fachsprache wie etwa in Mathematik das andere. Sind unsere Lehrkräfte ausreichend darauf vorbereitet, dass ihnen Lernende gegenübersitzen, die „Wurzel ziehen“ möglicherweise für eine Zahnarztbehandlung halten?

Das kann man so allgemein nicht sagen, es hängt sehr vom Einzugsgebiet der jeweiligen Schule ab, wie gut die Lehrpersonen mit dem Thema bereits vertraut sind. In der heutigen Ausbildung der Lehrkräfte werden die verschiedenen sprachlichen Register und die Unterstützung der bildungssprachlichen Kompetenzen deutlich stärker fokussiert als früher. Darüber hinaus werden auch in den Schulen Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Thema organisiert. Weiterhin ist nach meiner Einschätzung auch das Praxissemester eine Gelegenheit für die weitere Sensibilisierung für dieses Thema in den Schulen. Wenn Studierende, das Thema sprachsensibler Sachfachunterricht in den von ihnen realisierten Studienprojekten adressieren, kann dies auch einen Entwicklungsimpuls für die jeweilige betreuende Lehrperson und das Kollegium in der Schule darstellen.

Wie muss sich die Ausbildung der Gymnasiallehrkräfte verändern, damit ihnen sprachsensibler Unterricht gelingen kann?

Die Qualität der Vorbereitung auf sprachsensiblen Unterricht ist sicherlich von Universität zu Universität trotz vergleichbarer Curricula etwas verschieden. Angehende Lehrpersonen sollten bereits im Studium die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit sprachsensiblen Unterrichtskonzepten und Materialien erhalten, damit sie im Hinblick auf ihr Fach eine reflektierte Perspektive entwickeln können. Darüber hinaus wäre es wichtig, den Studierenden bereits im Studium kollegiale Reflexionsgelegenheiten zu bieten, damit sich kollegiale Arbeitsformen auch in der Praxis in der Schule weiter entfalten können. Die Kooperation zwischen den verschiedenen Ausbildungsinstitutionen, nämlich der Universität, den Zentren für schulpraktische Lehrerbildung und den Schulen sollte in dieser Hinsicht weiter ausgebaut werden. In der Lehrpersonenweiterbildung könnte die Reflexion von Materialien für sprachlich unterschiedlich zusammengesetzte Klassen fokussiert werden.

Das Gespräch führten: Inge Michels und Stefan Lüke

Medientipp

Viele Materialien des Ernst Klett Verlages richten ihren Fokus verstärkt auf die fachintegrierte Sprachbildung. Die Reihe sprachstark umfasst Arbeitshefte zur gezielten Sprachförderung in verschiedenen Fächern der Klassen 5 bis 10. Das zum Lehrwerk passende Arbeitsheft Zeitreise 2 Sprachförderung unterstützt die Lernenden im Fach Geschichte mit einfachen Texten und Aufgaben und ermöglicht ihnen damit eine aktive Unterrichtsteilhabe.

Zeitreise 2, Arbeitsheft Sprachförderung, Klasse 7/8, NRW, ISBN: 978-3-12-451053-

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