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Beschulung von Flüchtlingen: Internationale Förderklassen

(az) Die hohe Anzahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern stellt eine große pädagogische Herausforderung bei der Beschulung dar. In Internationalen Förderklassen etwa werden Jugendliche über eine zusätzliche Deutschförderung auf den Job vorbereitet. Wie eine Lehrerin in Köln den Kraftakt meistert:

Wie bunt die Internationale Förderklasse (IFK) des Berufskollegs Südstadt am Zugweg 48 in Köln zusammengesetzt ist, erkennt man an den Postern, die an der Wand kleben. 18 junge Leute im Alter von 17 bis 22 Jahren zum Beispiel aus Afghanistan, Pakistan, Iran, Syrien, Ägypten, Elfenbeinküste, Guinea, Spanien und Italien haben ihre Profile ausgestellt: Wo sie herkommen, welche Sprache sie sprechen. Sie wollen Astronom, Jurist, Lehrer und Visagist werden. Eine Vielfalt aus lateinischen und arabischen Schriftzeichen und vielen landestypischen Farben und Formen ist zu sehen – Willkommensgrüße in allen möglichen Sprachen.

Es ist 11:45 Uhr, die Sonne scheint ins Klassenzimmer und die fünfte Schulstunde ist angebrochen. Politik steht heute auf dem Stundenplan der Internationalen Förderklasse – genauer gesagt „Geschlechterrollen und Familienformen“. Ein herausforderndes Thema, insbesondere vor dem Hintergrund der unterschiedlichen familiären und kulturellen Prägungen der Schülerinnen und Schüler. Renate Hoppe-Hänschke, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und Spanisch, unterrichtet die internationale Klasse. Obwohl Gesellschaftspolitik das Thema der Stunde ist, steht das Üben der deutschen Sprache in diesem heterogenen Klassenverbund im Vordergrund.

Humor als pädagogisches Mittel
Mabana, 20 Jahre, von der Elfenbeinküste meldet sich und liest den Text laut vor: „Heute gibt es neben der traditionellen Familie viele verschiedene Formen von Lebensgemeinschaften – Alleinerziehende, Regenbogenfamilien, kinderlose Paare, Patchwork-Familien und gleichgeschlechtliche Partnerschaften, die rechtlich und gesellschaftlich anerkannt werden.“ Das Arbeitsblatt, auf dem der Text steht, stammt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Schülerin braucht mehrere Anläufe, bis sie den Text einigermaßen flüssig liest. Nun geht es weiter im Unterricht mit der Frage, ob Männer immer die Hauptverdiener einer Familie sein sollten? Ein Jugendlicher aus Pakistan sagt tapfer: „Männer und Frauen sollen das Gleiche machen.“ Darauf sagt die Lehrerin schmunzelnd: „Das wäre schön, mein Mann bügelt nicht. Und denken Sie daran, wer hier die Tafel putzt und wer daneben steht“, so Renate Hoppe-Hänschke. Im Unterricht wird viel gelacht. Humor ist ein wichtiges pädagogisches Mittel für die Deutschlehrerin. Die Internationalen Förderklassen sind derzeit voll gefordert.

Orientierungslosigkeit und Zukunftsängste
Die aktuellen Entwicklungen etwa im Nahen Osten machen Millionen von Menschen zu Flüchtlingen. In diesem Jahr werden allein in Nordrhein-Westfalen mehr als 37 000 asylsuchende Menschen erwartet – unter ihnen zahlreiche Kinder und Jugendliche. Die große Mehrheit der Flüchtlinge lebt mit einem unsicheren Status in Deutschland. So lange die Asylverfahren bearbeitet werden, ist ihnen der Aufenthalt für einen vorübergehenden Zeitraum gestattet. Der allerdings kann bis zu einigen Jahren dauern. Insbesondere für junge Flüchtlinge sind das entscheidende Jahre für die persönliche Entwicklung und Basis für ihr weiteres Leben. Der Schulbesuch von Flüchtlingskindern ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Laut Landesverfassung NRW besteht für Flüchtlinge die Schul- und Berufsschulpflicht dann, sobald ein Asylantrag für sie beantragt worden ist. Die erste Station in Deutschland ist für die meisten Flüchtlinge das Erstaufnahmelager, danach folgt die zentrale Unterbringungseinrichtung des Landes, dort verweilen sie einige Wochen, bis sie schließlich den Kommunen zugewiesen werden. Wer als jugendlicher Flüchtling beispielsweise in Köln landet, hat gute Chancen, Barbara Hofmann die Hand zu schütteln. Sie arbeitet für das Kommunale Integrationszentrum der Stadt Köln und hat das Konzept der IFK mit entworfen, das bundesweit als vorbildlich gilt.

„Sonst hätten sie den Kopf nicht frei“
„Bei mir melden sich die Jugendlichen – ich weise ihnen die Plätze zu“, sagt Hofmann. Sie arbeitet mit der Bezirksregierung und den Berufskollegs zusammen. In Köln verteile sich die rund 300 IFK-Schülerinnen und -Schüler auf Vollzeitklassen und drei Teilzeitklassen. 75 Prozent der IFK-Schüler sind vom Status her Flüchtlinge. Das Niveau der Klassen ist sehr unterschiedlich. Hofmann unterscheidet bis zu sieben Niveaustufen – mit Kenntnissen des lateinischen Alphabets, ohne Kenntnisse des lateinischen Alphabets, weil sie nur Kurdisch oder Arabisch können, mit Englischkenntnissen, ohne Englischkenntnisse usw.

Trotz der mitunter traumatischen Erlebnisse der Flüchtlinge in den Internationalen Förderklassen ist die Abbrecherquote mit unter 15 Prozent gering. „Das liegt auch an der sozialpädagogischen Förderung – sonst hätten die Jugendlichen den Kopf nicht frei, zu lernen.“ Hofmann versteht sich vornehmlich als Bindeglied zu den Sozialpädagoginnen. Sie ist aber auch Beraterin für IFK-Lehrerinnen und -Lehrer, wenn es etwa um pragmatische Fragen, wie der Vermittlung von traumatisierten Jugendlichen an die richtigen Stellen geht.

„Pünktlichkeit, Respekt und kritische Toleranz“
Die Jugendlichen an das hiesige Bildungssystem heranzuführen, ist wiederum das Ziel von Renate Hoppe-Hänschke. Manchmal geht es darum, ihnen grundlegende soziale Verhaltensweisen zu vermitteln. „Pünktlichkeit, Regelmäßigkeit, Respekt und eine kritische Toleranz der eigenen und der fremden Kultur gegenüber – das lebe ich vor“, sagt die Lehrerin. Mit den Jahren hat sich ihr Unterrichtsstil geändert. Sie sagt von sich, sie sei klarer, geradliniger geworden. „Habe ich einen klaren Standpunkt, überträgt sich das auf die Klasse“, sagt die IFK Lehrerin. Sie will nicht überreden, sondern überzeugen. Das braucht Zeit. „Die Schüler auf den Weg zu bringen, dass sie bei Laune sind und selbstbewusster werden, ist jeden Tag knallharte Arbeit. Aber es ist eine Arbeit, die sich lohnt.“

Jeder dritte bis vierte Schüler wiederholt laut Hofmann die IFK, weil er noch nicht gut genug ist oder die Deutschkenntnisse soweit vertiefen muss, dass er den Anschluss an das Regelsystem schafft. 52 Prozent der IFK-Schüler gehen weiter, zum Beispiel auf die Berufsschule oder auf die Berufsfachschule, je nach Potenzial des Jugendlichen.

Kompakt:
Internationale Förderklassen werden von Jugendlichen ab 16 Jahren besucht, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen. Dort sollen sie ihre Sprachkenntnisse erwerben und vertiefen, berufliche Grundkenntnisse erwerben und ihre Allgemeinbildung verbessern. Internationale Förderklassen führen nicht zu einem Schulabschluss. Allerdings kann auf dem Zeugnis eine Empfehlung ausgesprochen werden, die berechtigt, einen weiterführenden Bildungsgang im Berufskolleg zu besuchen. Eine Handreichung zur Beschulung von berufsschulpflichtigen Flüchtlingen wurde jüngst auch durch das Bayerische Staatsministerium für Bildung in Auftrag gegeben.