Zwischen Alltagssprache und Fachunterricht
(sl) Wie viele es genau sind, vermag niemand exakt zu sagen. Manche sprechen von 200.000, andere von zugewanderten 300.000 Kindern zwischen zehn und 18 Jahren. Sicher aber ist: Sie kommen als Seiteneinsteiger ins deutsche Bildungssystem.
Sie alle werden eine weiterführende Schule besuchen. In 14 Bundesländern ist dies der Fall, wenn der Aufenthaltsstatus geklärt ist. In Berlin und im Saarland soll dies allerdings schon vor Beginn des Asylverfahrens geschehen. Dies ergibt sich aus einer Studie des „Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache“. Sie kommt obendrein zum dem Ergebnis, dass 2014 knapp 100.000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter nach Deutschland zugewandert sind. Die Zahl hat sich innerhalb von acht Jahren vervierfacht. Wie viele es im abgelaufenen Jahr gewesen sind, steht noch nicht amtlich fest. Ebenso wenig ist offenkundig, wie viele der Zuwanderungskinder und -jugendlichen ohne Deutschkenntnisse die deutschen Schulklassen betreten. Die Zahlen werden nicht in allen Bundesländern systematisch erfasst.
Die geflüchteten Kinder und Jugendlichen besuchen an den Schulen zunächst so genannte Willkommensklassen. Die Namen für die Lerngruppen variieren von Bundesland zu Bundesland. In Bayern etwa spricht man von Übergangsklassen, in Nordrhein-Westfalen von InternationalenVorbereitungsklassen (IVK). Hier werden die jungen Menschen nicht nur freundlich willkommen geheißen, sondern sollen möglichst schnell möglichst viel Deutsch lernen. Das erklärte Ziel: der Wechsel in die Regelklasse.
Eine hohe Hürde für die weiterführenden Schulen auf dem Weg, diesen zumeist äußerst wissbegierigen Schülerinnen und Schülern den Seiteneinstieg ins deutsche Bildungssystem zu erleichtern, weiß auch Theresa Tietze. Die Redakteurin des Ernst Klett Verlags arbeitet an einer neuen ArbeitshefteReihe, die den Lehrkräften Material an die Hand gibt, um angemessen auf die große Heterogenität ihrer neuen Schüler/-innen reagieren zu können. Sie meint: „Die Heterogenität in vielen Internationalen Vorbereitungsklassen ist enorm und vielschichtig. Da sitzen Kinder aller Altersklassen und unterschiedlichster Sprachniveaus. Einige sind ganz neu an der Schule, andere nehmen schon seit mehreren Wochen oder Monaten am DaZ-Unterricht teil.“ Dem müssen neu entwickelte und zu entwickelnde Materialien gerecht werden. Für Schulbuchverlage kommt erschwerend hinzu: Bundesweit gibt es keine einheitliche Regelung, wann diese Jugendlichen in die Regelklassen wechseln und ihre Zeit des überwiegend Deutschlernens zu Ende geht. Es gilt demnach, eine Mischung zu erarbeiten, die den jungen Menschen einerseits den Alltag im noch fremden Land erleichtert und sie andererseits fit macht für die Teilnahme am Fachunterricht. Keine leichte Übung, wie Theresa Tietze einräumt. „Zwar kann man auch rechnen, ohne Begriffe wie Addition zu kennen. Damit die Schülerinnen und Schüler ihre Erkenntnisse korrekt kommunizieren können, brauchen sie aber bestimmte Fachbegriffe“, beschreibt sie die Problematik.
Es geht also auch darum, Fachbegriffe und Aufgabenformulierungen verständlich zu machen und damit Stück für Stück an die Fachsprache heranzuführen. Die vierbändige Heftreihe verfolgt dieses Ziel konsequent. Von Ausgabe zu Ausgabe nimmt der Anteil der Alltagssprache ab, der der Fachsprache steigt entsprechend an. Heft A zielt darauf ab, den Wortschatz und wichtige Phrasen, die im Schulalltag benötigt werden, überwiegend spielerisch zu vermitteln und damit die Grundlage für das Zurechtkommen in der Schule zu legen. Darauf kann die Fachsprache aufbauen, die in den Heften B bis D zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das grundsätzliche Ziel formuliert Redakteurin Tietze so: „Wir wollen Fundamente und Brücken zum Fachunterricht bauen und greifen deshalb fachrelevante Themen mit Anknüpfungspunkten zu den verschiedenen Fächern auf.“
Neben derart aufbereiteten didaktischen Werken benötigen Lehrerinnen und Lehrer viel Geduld und Begeisterungsfähigkeit, um dazu beitragen zu können, dass der Seiteneinstieg ins deutsche Bildungssystem gelingt. Diese Überzeugung vertritt Krishnappreya Krishnadasan. Sie ist Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ), Mathematik und Naturwissenschaften an der Nelson-Mandela-Schule, einer Sekundarschule in Bochum, und arbeitet als Autorin an „Mein Deutschheft“ mit. Sie rät ihren Kolleginnen und Kollegen darüber hinaus, die Fragen der zugewanderten Schülerinnen und Schüler in der Art aufzugreifen, dass sie an der Gestaltung des Unterrichts beteiligt werden.
Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass die Teilnahme am Fachunterricht die Motivation dieser Kinder und Jugendlichen deutlich gegenüber der Phase des reinen Deutschunterrichts steigert. Und wenn es um das Erlernen der hiesigen Sprache, ihrer Rechtschreibung und Grammatik geht, sollte dies nach Ansicht der Pädagogin spielerisch und mit Alltagsbezügen geschehen. Krishnappreya Krishnadasan erinnert daran, dass viele zugewanderten Eltern und Jugendlichen klare Vorstellungen haben: „Die meisten erwarten, dass die Schülerinnen und Schüler
in der deutschen Sprache optimal gefördert werden, sie schnellstmöglich eine Regelklasse besuchen können. Sie erwarten somit eine schnelle Integration.“