Wie KI das Prüfen verändern kann:
Chancen, Herausforderungen und ein Fallbeispiel

Die Einbindung Künstlicher Intelligenz (KI) in den schulischen Alltag hat längst nicht nur das Potenzial, den Unterricht zu bereichern, sondern auch die Art und Weise zu revolutionieren, wie wir Leistung messen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwiefern traditionelle Leistungsüberprüfungen überhaupt noch Sinn ergeben. Und zuletzt, welcher Leistungsbegriff zugrunde gelegt werden muss, wenn die Schülerinnen und Schüler mit KI arbeiten.

Wie lässt sich KI sinnvoll in Klassenarbeiten und Tests integrieren, ohne dass die individuelle Leistungsbewertung auf der Strecke bleibt? Ein Fallbeispiel liefert spannende Impulse, wie Prüfungen durch KI-Unterstützung zwar komplexer, aber zugleich relevanter und motivierender werden können.

Fallbeispiel: Kooperatives Prompting in der Klassenarbeit

Stellen wir uns eine Klassensituation vor, bei der alle Schülerinnen und Schüler einen Text erörtern oder kommentieren sollen – etwa eine aktuelle Kolumne zu einem gesellschaftlichen Thema. Nach der Lektüre haben sie die Möglichkeit, einen Prompt für ChatGPT zu entwerfen, der ihnen bei der Argumentfindung hilft. Spannend wird es, wenn sie im Plenum oder in Kleingruppen diskutieren, welcher Prompt am besten geeignet ist, um vertiefende Informationen oder passende Beispiele zu generieren. Sobald sie sich auf einen Prompt geeinigt haben, kann die Lehrkraft die KI-Abfrage übernehmen und das Ergebnis der gesamten Klasse zur Verfügung stellen. Es ändert sich der Fokus der Bewertung: Es geht weniger darum, wer am meisten Vorwissen hat, sondern darum, wie mit den Informationen, die nun alle haben, umgegangen wird.

Dies setzt aber die Thematisierung von KI im Unterricht voraus:

Diskussion über Prompts: Die Lernenden müssen zuvor gelernt haben, wie man gezielte und präzise Prompt-Anweisungen formuliert. Diese Fähigkeit bringt bereits einen großen Lerneffekt, weil überlegt werden muss, welche Informationen zur Beantwortung der Fragestellung tatsächlich benötigt werden.

Bearbeitung und Bewertung von Informationen: Damit die Schülerinnen und Schüler etwas mit den Ergebnissen anfangen können, muss auch der Umgang zuvor im Unterricht erarbeitet worden sein.

In der Klassenarbeit können dann die Ergebnisse eingearbeitet werden:

Gemeinsame Ergebnisse: Das KI-Ergebnis wird allen zugänglich gemacht, sodass ein fairer Informationsstand entsteht. Trotzdem bleibt Raum für individuelle Ausarbeitungen: Nicht alle nutzen die zusätzlichen Informationen gleich, sondern passen sie an eigene Argumentationslinien an.

Individuelle Leistung: Am Ende entsteht ein Text, der zwar von einer kollektiven Vorbereitung (Prompt-Diskussion, Input der KI) profitiert, bei dem aber jeder/jede Einzelne die eigene Leistung unter Beweis stellt – beispielsweise durch eine überzeugende Struktur, einen gelungenen Schreibstil oder eine besonders reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema.

Dieses Szenario, das in meiner zehnten Klasse real erprobt wurde, zeigt: Kooperation ist nicht nur im Arbeitsprozess möglich, sondern lässt sich gezielt in eine Klassenarbeit integrieren, ohne dass eine valide individuelle Bewertung verloren geht. Stattdessen werden prüfungsrelevante Kompetenzen sichtbar, die weit über reines Faktenwissen hinausreichen.

Klassische Formen treffen neue Ansätze

Wie schon bei der Nutzung von KI-Tools im Fremdsprachenunterricht muss auch bei Prüfungen keineswegs alles radikal neu erfunden werden. Einige traditionelle Elemente haben nach wie vor ihre Berechtigung, etwa hilfsmittelfreie Prüfungsteile oder das kontrollierte Schreiben ohne KI-Einsatz. Übrigens: Beides sind nicht die Träume eines Kolumnenschreibers, sondern jetzt schon Bestandteile des KI-Empfehlungsschreibens der Kultusministerkonferenz.

An anderer Stelle kann es sinnvoll sein, KI gezielt zu integrieren, um die digitale Wirklichkeit abzubilden und die Motivation der Lernenden zu steigern.

  • Materialerstellung: Lehrkräfte können anhand von KI-generierten Vorschlägen unterschiedliche Aufgabenformate anbieten, die genauer auf individuelle Lernniveaus zugeschnitten sind.
  • Vorbereitung im Unterricht: Die Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie KI in prozess- und ergebnisorientierten Phasen nutzen, zum Beispiel zur Sammlung von Ideen oder zum Erstellen von Gliederungen. Aber Achtung: Gerade die Entnahme von Informationen und deren Strukturierung ist eine wirksame Lerntätigkeit, die, wenn es um das Verstehen geht, auch weiterhin ohne KI durchgeführt werden sollte.
  • Reflexion: Teilweise lässt sich eine Zusatzaufgabe formulieren, bei der die Lernenden die KI-Antwort kritisch bewerten und auf Schwachstellen hinweisen (z. B. fehlende Quellen oder unklare Argumentationsschritte).

Vorteile in der Vorbereitung und Durchführung

Ein wesentlicher Vorteil liegt in der Realitätsnähe, da in vielen Berufen und Studiengängen die Recherche mithilfe von KI oder digitalen Tools längst zum Alltag gehört. Wer bereits in der Schule lernt, wie man diese Hilfsmittel zielgerichtet einsetzt, ist für die Anforderungen der Berufswelt besser gerüstet. Das gilt auch für die Kenntnis darüber, wann die Einbindung keinen Sinn ergibt.

Darüber hinaus kann KI Routinen übernehmen und erste Rückmeldungen geben, sodass Lehrkräfte mehr Zeit für intensives Coaching haben – beispielsweise für die gezielte Schreibberatung oder die Analyse von Denkprozessen. Statt sich auf ein möglichst breites, teilweise oberflächliches Wissen zu konzentrieren, ermöglicht dieses Vorgehen eine inhaltliche Vertiefung: Wenn alle Schülerinnen und Schüler auf denselben Prompt zugreifen, entfallen Wissenslücken durch mangelnde Vorbereitung oder Zufallsthemen. Entscheidend ist, wie man das generierte Material sinnvoll in den eigenen Denkprozess integriert. Schließlich fördert dieses gemeinsame Arbeiten auch die Kollaboration, da gemeinsame Prompt-Diskussionen nicht nur digitale Kompetenzen stärken, sondern zugleich kooperatives Lernen und kritisches Denken anregen.

Tipps für Lehrkräfte

Grundsätzlich wurde an dieser Stelle nur eine Möglichkeit der Einbindung gezeigt. Es ist sicherlich die Zeit des Experimentierens. Gerade in den Fremdsprachen kann KI in den unterschiedlichsten Formen eingesetzt werden, sei es, dass Schülerinnen und Schüler eine Übersetzung bewerten, dass die Lehrkraft einen Text vertont oder Niveaustufen verändert oder dass sogar ganze Prüfungsteile als Gespräch mit der KI geführt werden. Dieser Punkt ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Möchte man sich an erste Tests herantrauen, bieten sich folgende Schritte an:

  • Ziele definieren: Welche Kompetenzen sollen durch die KI-Prüfung verstärkt gefördert werden (z. B. argumentative Stärke, Recherchefähigkeit, kritische Reflexion)?
  • Klare Regeln schaffen: Gibt es Prüfungsteile ohne KI-Einsatz? Wie lange dürfen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam diskutieren?
  • Schrittweises Einführen: Beginnen Sie mit kleinen KI-gestützten Aufgaben, bevor Sie komplexe Prüfungsformate umsetzen.
  • Vorbereitung üben: Gemeinsame Prompt-Formulierung, kritisches Lesen von KI-Texten und das Herausarbeiten der Kernaussagen sollten fester Bestandteil des Unterrichts sein.
  • Feedback etablieren: Planen Sie Zeit und Raum für persönliches Feedback ein. KI-Rückmeldungen sind nur ein erster Schritt – die Lehrkraft bleibt unverzichtbar, um Lernende individuell zu begleiten.

Bei all diesen Punkten ist die Absprache mit der Schulleitung wichtig, da es zwar die oben genannten Empfehlungen gibt, aber längst nicht alle darüber Bescheid wissen und immer noch Unsicherheit besteht.

Fazit

Der Einsatz von KI in Klassenarbeiten und Prüfungen kann das Leistungsmessen nicht nur realitätsnäher, sondern auch kooperativer gestalten. Statt lediglich starre Wissensabfragen vorzunehmen, rückt das „Wie“ in den Vordergrund – beispielsweise wie Lernende KI-Ergebnisse in ihre Argumentation integrieren oder recherchierte Informationen kritisch bewerten. Dies fördert Schlüsselkompetenzen, die über das reine Schulwissen hinausgehen. Entscheidend ist dabei, die Prüfungsformate didaktisch so zu konzipieren, dass die individuelle Leistung klar hervortreten kann und die Chancen einer lernförderlichen, digital geprägten Welt genutzt werden. Die ersten Praxiserfahrungen zeigen: Wer es wagt, kann eine deutlich höhere Motivation und eine engere Passung an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts erreichen – ohne die vertrauten Prinzipien der Fairness und Transparenz zu opfern.

Bob Blume ist Lehrer, Blogger, Podcaster und Bildungsinfluencer.

Er studierte Germanistik, Anglistik sowie Geschichte und arbeitet nun als Oberstudienrat an einem Gymnasium in der Nähe von Baden-Baden. Daneben schreibt er Fachbücher zum Lernen im digitalen Wandel und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. Zudem ist Bob Blume ein gefragter Experte in der deutschen Medienlandschaft zum Thema Schule. Bei der Verleihung der Goldenen Blogger 2022 wurde er als Blogger des Jahres ausgezeichnet.

Maria Panzer