Sprachliche und kulturelle Diversität im Spanischunterricht
Dagmar Abendroth-Timmer, Christian Koch
1. Artikulatorische Potenziale durch Herkunftssprachen
Spanischlernende mit Herkunftssprachen verfügen potenziell über ein zusätzliches Artikulationssystem, das ihnen beim Erlernen der spanischen Aussprache nützlich sein kann. Grundlegend zu unterscheiden sind Schüler*innen, die zunächst in ihren Herkunftssprachen sozialisiert wurden und Deutsch als Zweitsprache sprechen, und jene, die zwei- bzw. mehrsprachig mit Deutsch als L1 aufgewachsen sind. Während erstere auf artikulatorische Muster ihrer Erstsprachen aufbauen, die sich von denen des Deutschen unterscheiden, tendieren Lernende mit Deutsch als weiterer Erstsprache im Kontext des Fremdsprachenunterrichts zum Rückgriff auf deutsche Artikulationsmuster (vgl. Gabriel/Rusca-Ruths 2015). Je nach Sprachenrepertoire kann es interessant sein, die artikulatorischen Fähigkeiten anderer Sprachen zu aktivieren, um die Aussprache in der Zielsprache Spanisch merklich zu verbessern.
Transferpotenziale umfassen nicht allein die Realisierung einzelner Laute, sondern auch die Artikulation von Silben und Wörtern, den Sprechrhythmus, die Intonation sowie die Beziehungen zwischen Schrift- und Lautbild (Graphem-Phonem-Korrespondenzen).
Um diese Transferpotenziale nutzen zu können, ist eine Kognitivierung erforderlich (Lernende können nicht hörend wahrnehmen, was ihnen nicht bewusst oder bekannt ist), d. h. die Lehrkraft sollte Besonderheiten von Aussprache und Akzent (als das gesamte ausgangssprachlich geprägte Hörbild) erklären oder die Lernenden anleiten, sprachliche Besonderheiten zu ermitteln. Dazu können Sagittalschnitte oder vergleichende Hörbeispiele gemeinsam analysiert werden (https://soundsofspeech.uiowa.edu/spanish). Dabei kann in einigen Fällen auch der Vergleich mit der schriftsprachlichen Realisierung einzelner Phoneme und ganzer Intonationsmuster zur Kognitivierung und späteren Erkennung lautlicher Besonderheiten durch die Lernenden beitragen. Es können sich an Kognitivierungsphasen Übungen anschließen, bei denen Besonderheiten von Aussprache oder Akzent bewusst artikuliert, gegebenenfalls repetitiv automatisiert und spielerisch erprobt werden. Die kreativ-spielerische Dimension soll dazu beitragen, emotionalen Hemmungen bei den Lernenden entgegenzuwirken. Dazu können auch Phasen der digital gestützten Einzelarbeit oder Phasen in Kleingruppen oder im Omniumkontakt beitragen. Abschließend ist eine gemeinsame reflexive Zusammenführung der Ergebnisse erforderlich. Ein nächster Schritt wäre der Transfer in kommunikative Interaktionssituationen.
Obwohl die Betonung von Wörtern im Spanischen durch feste Kennzeichnungsregeln aus dem Schriftbild heraus leicht zu erkennen ist – ganz anders im Italienischen oder Russischen –, fällt Lernenden die Umsetzung nicht immer leicht. Gerade wenn sich die Betonung ähnlicher Wörter zwischen dem Spanischen und dem Deutschen unterscheidet (Heterotonie), kann die korrekte Aussprache erschwert sein, z. B. bei símbolo, diálogo, kilómetro – dies sind Wörter bei denen sich der Wortakzent aufgrund der Entlehnung über das Französische in Symbol, Dialog und Kilometer nach hinten verschoben hat. Betonungsmuster aus einigen Herkunftssprachen können ins Spanische übertragen werden, insbesondere Italienisch, Portugiesisch und Griechisch.
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Symbol |
Dialog |
Kilometer |
Spanisch |
símbolo |
diálogo |
kilómetro |
Italienisch |
simbolo |
dialogo |
chilometro |
Portugiesisch |
símbolo |
diálogo |
quilómetro |
Griechisch |
σύμβολο sýmbolo |
διάλογος diálogos |
χιλιόμετρο chiliómetro |
Das Spanische ist eine silbenzählende Sprache, d. h. betonte und unbetonte Silben sind in etwa gleich lang, unbetonte Vokale werden sehr ähnlich wie betonte Vokale ausgesprochen. Deutsch ist hingegen akzentzählend, d.h. betonte Silben können deutlich in die Länge gezogen werden, unbetonte Vokale – vor allem e – werden anders als betonte Vokale ausgesprochen. Die klare Einteilung verschiedener Sprachen in dieses Muster ist nicht eindeutig, da auch Mischformen vorkommen. Der Transfer des Sprechrhythmus ist z. B. aus folgenden Sprachen denkbar: Italienisch, Rumänisch, Polnisch, Griechisch, Koreanisch.
Für eine grundlegend normgerechte Aussprache des Spanischen sind verschiedene Ausspracheregeln wichtig. Insbesondere die positionsgebundene Unterscheidung von c und g sowie die stimmlose Aussprache von s bereiten den Lernenden Schwierigkeiten. Sofern Schüler*innen mit Herkunftssprachen mit der Schriftsprache vertraut sind, können ihnen diese Strukturen geläufig sein.
Ausspracheregeln des Spanischen |
Weitere Sprachen mit ähnlichen Regeln |
Der Buchstabe c wird vor e und i anders ausgesprochen als vor anderen Buchstaben: [θ]/[s] vs. [k]. cereza vs. calcular |
Französisch und Portugiesisch: [s] vs. [k], Italienisch und Rumänisch: [t͡ʃ] vs. [k]. fr. cerise vs. calculer pt. cereja vs. calcular it. ciliegia vs. calcolare rum. cireașă vs. a calcula |
Der Buchstabe g wird vor e und i anders ausgesprochen als vor anderen Buchstaben: [x] vs. [ɡ]/[ɣ]. gel vs. garaje |
Französisch und Portugiesisch: [ʒ] vs. [ɡ], Italienisch und Rumänisch: [d͡ʒ] vs. [ɡ], Vietnamesisch: [z]/[j] vs. [ɣ]. fr. gel vs. garage pt. gel vs. garagem it. gel vs. garage rum. gel vs. garaj vi. gel vs. ga-ra |
Der Buchstabe s wird am Wortanfang und zwischen zwei Vokalen immer stimmlos ausgesprochen. pasivo |
slawische Sprachen (inkl. kyrillisch с), Rumänisch, Türkisch. pl. pasywny ukr. пасивний rum. pasiv tr. pasif |
Unter den verschiedenen Lauten des Spanischen stellen das einfach mit der Zungenspitze geschlagene [ɾ] (vibrante simple) und der Vibrant [r] (vibrante múltiple) eine große Herausforderung für deutschsprachige Lernende dar, da der Buchstabe r im Hochdeutschen generell anders artikuliert wird und diese Laute im Hochdeutschen entsprechend nicht vorkommen. Nur wenige andere Sprachen verfügen über beide Laute (z. B. Armenisch, Kurdisch), aber Realisierungen von Vibranten an der Zungenspitze sind in zahlreichen frequenten Herkunftssprachen vorhanden (z. B. Italienisch, Arabisch, Türkisch, slawische Sprachen).1
1 Zum Türkischen vgl. Gabriel/Grünke/Schlaak (2024). Für eine Übersicht der Lautinventare diverser Sprachen vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Template:IPA_keys.
Gabriel, Christoph/Grünke, Jonas/Schlaak, Claudia (2024): Ausspracheförderung für deutsch-türkisch bilinguale und deutsch monolinguale Spanischlernende. In: Hispanorama 183, 65-69.
Gabriel, Christoph/Rusca-Ruths, Exequiel (2015): Der Sprachrhythmus bei deutsch-türkischen L3-Spanischlernern: Positiver Transfer aus der Herkunftssprache? In: Witzigmann, Stéphanie/Rymarczyk, Jutta (eds.): Mehrsprachigkeit als Chance. Herausforderungen und Potentiale individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. Frankfurt a.M.: Lang, 185-204.
Mehlhorn, Grit (2016): Der Ton macht die Musik! Anregungen zur Aussprachevermittlung im Russischunterricht. In: Bergmann, Anka (ed.): Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung im Russischunterricht. Frankfurt a.M.: Lang, 113-148.
Wikipedia (2024): Template: IPA keys [https://en.wikipedia.org/wiki/Template:IPA_keys].