Klett Akademie für Fremdsprachendidaktik

WebQuests als digitale Kontextualisierungstools im fremdsprachlichen Literaturunterricht

von Martin Genetsch

In allgemeindidaktischer Hinsicht sind WebQuests Tools, die multimediale Online-Projekte mit explorativem Charakter ermöglichen und kulturelles Lernen für alle Jahrgangsstufen zum Ziel haben. Auf der Grundlage einer begrenzten Zahl von themengleichen Webseiten bzw. Hypertexten, die vom Lehrenden nach didaktischen Gesichtspunkten ausgewählt werden, arbeiten Schülerinnen und Schüler an einer offenen, übergreifenden Fragestellung und erschließen sich einen Sachverhalt selbst.

Bernie Dodge, der die Methode bereits Mitte der 1990er entwickelte, definiert einen WebQuest in diesem Zusammenhang als „an inquiry-oriented activity in which some or all of the information that the learners interact with comes from resources on the Internet” (Dodge 2017). Die Lernenden befragen in dieser „inquiry-oriented activity“, die man auch als Quest bzw. bedeutsame Suche verstehen kann, einen für eine bestimmte Fragestellung repräsentativen Teil des Internets und werden bei dieser Suche gleichsam zu „infotective[s]“ (Wagner 2004: 45). Diese Art des internetbasierten Lernens kann besonders für den fremdsprachlichen Literaturunterricht fruchtbar gemacht werden, wie hier gezeigt werden soll. Doch zunächst zu den technischen Grundlagen.

Technisch gesehen sind WebQuests Templates, die internetbasiertes Lernen ermöglichen, indem sie von einer Dokumentenvorlage aus auf Webseiten verlinken und dabei dezentral ansteuerbar sind (vgl. Genetsch 2017). Dabei lassen sich zwei Typen unterscheiden: Neben sog. serverbasierten WebQuests gibt es lernplattformbasierte WebQuests (z.B. Moodle). WebQuests sind meist allgemein zugänglich. Sie sind manchmal terminierbar, d.h. dass die Dauer, für die ein WebQuest zugänglich ist, begrenzt werden kann. Einige kostenfreie, serverbasierte Anbieter sind darüber hinaus selbstreinigende Systeme, die einen WebQuest, der eine gewisse Zeit verfügbar war, aus dem System löschen, wenn der Administrator seine Laufzeit nicht verlängert.

Dem Modell literarischer Kompetenz nach Diehr/Surkamp (2015) liegt die Annahme dreier Domänen zugrunde, die zeitgemäßen Literaturunterricht in der Fremdsprache ausmachen und die attitudinale, kognitive und linguistisch-diskursive Teilbereiche umfassen. Der Bereich der kognitiven Fähigkeiten umfasst neben der Einübung in textnahes Lesen (close reading) auch die Fähigkeit von Schülerinnen und Schülern, einen fremdsprachlichen Text in kulturelle Zusammenhänge einzuordnen und ihn auf diese Weise besser zu verstehen. Diese Operation lässt sich als Kontextualisierung oder wide reading verstehen (vgl. Diehr/Surkamp 2015, Genetsch 2015). Im Literaturunterricht ist dieser Bereich noch nicht gut untersucht, insbesondere methodische Konzepte liegen derzeit noch nicht in hinreichendem Umfang vor. WebQuests, so die These, können bei der Erarbeitung von kulturellen Kontexten im Unterricht helfen.

Bei einem Kontext handelt es sich wörtlich um das eine sprachliche Äußerung Umgebende (Kon-Text). Hierbei kann es sich um linguistische Kontexte (Ko-Texte, Kollokationen) oder um kulturelle Kontexte handeln. Kulturelle Kontexte lassen sich weiter ausdifferenzieren. In Anlehnung an Korte (2001: 21) lassen sich Entstehungskontexte, Bezugskontexte und Rezeptionskontexte unterscheiden (vgl. auch Henseler/Möller/Surkamp 2011: 85). Während der Entstehungskontext die Zeitumstände meint, in denen ein Werk entstanden ist, stehen bei Bezugskontexten die Kontexte im Zentrum, auf die sich ein Werk bezieht. Der Rezeptionskontext fokussiert hingegen auf die Wirkung des Textes auf die Rezipienten im Hier und Jetzt.

Am Beispiel des Romans A Lesson Before Dying von Ernest Gaines, der im weiteren Verlauf als Beispiel dienen wird, kann illustriert werden, wie diese Trias kultureller Kontexte zu verstehen ist. Der Roman, in dem ein junger Schwarzer zu Unrecht zum Tode verurteilt wird, erscheint im Jahre 1993, mithin zu einer Zeit, in der die Todesstrafe in den USA im politischen und ästhetischen Diskurs zunehmend kritisch beleuchtet wird. Der Bezugskontext im Roman ist jedoch nicht die Gegenwart der 1990er, sondern die Südstaaten der späten 1940er Jahre, in denen der Text angesiedelt ist. Der Rezeptionskontext des Romans kann variieren: Legt man eine zeitgenössische Lektüre zugrunde, so würde zum Rezeptionskontext gehören, dass viele US-Bundesstaaten die Todesstrafe mittlerweile abgeschafft oder ausgesetzt haben. Wichtiger Rezeptionskontext wäre daneben auch, dass die Behandlung von Schwarzen durch die US-amerikanische Exekutive und Judikative auch heute noch von Ungerechtigkeiten gekennzeichnet ist und der Fall Jeffersons damit immer noch Aktualität besitzt.

Neben einem kulturwissenschaftlichen Verständnis von Kontext lassen sich Kontexte auch hinsichtlich ihrer Repräsentation im Unterricht begreifen: Arbeitet der Lehrende mit einem Vordergrund-Hintergrund-Arrangement, bei dem einem Primärtext ein Kontext-Text zur Seite gestellt wird oder tritt den Lernenden ein Kontext in Form einer Materialcollage entgegen, deren Gemeinsamkeiten und deren Bezüge zum Primärtext erst herausgearbeitet werden müssen? WebQuests stellen digitale Tools dar, mit deren Hilfe sich Kontexte in Form von Materialcollagen modellieren lassen. Entscheidende Voraussetzung hierfür ist der kulturdidaktische Nutzen des Internets, der sich aus der kulturtheoretischen Forschung ableiten lässt.

Die Kultursemiotik versteht Kultur als Zeichen (vgl. Posner 2008) und unterscheidet Artefakte, soziale Interaktion und mentale Vorstellungen als mögliche Ausprägungen. Das Internet stellt ein in kultursemiotischer Hinsicht besonders reichhaltiges Medium für Unterrichtszwecke dar, denn es erlaubt den Zugang zu allen drei Formen von Kultur. Neben Texten und den sich an ihnen entspinnenden Interaktionen (z.B. im Rahmen von Chatforen) können Lernende durch das Internet auch Zugang zu den mentalen Vorstellungen gewinnen, die für ein umfassendes Kulturverständnis wichtig sind. Was die US-Amerikaner also gegenwärtig über die Todesstrafe denken, lässt sich mithilfe entsprechender Internet-Quellen abbilden und modellieren.

Die Kulturanthropologie geht von einem Verständnis von Kultur als Text aus (vgl. Bachmann-Medick 2004). Damit wird ein weiter Textbegriff grundgelegt, der Kultur als multimodal verfasst begreift (vgl. Kress 2000) und neben Texten im engeren Sinne auch Bilder, Podcasts etc. einbezieht. Das Internet erlaubt offensichtlich einen Zugriff auf einen solchen weiten, von Multimodalität getragenen Textbegriff. Daneben bedeutet ein Verständnis von Kultur als Text aber auch, dass nach dem unterschiedliche Texte verbindenden Element gefragt werden kann. Hilfreich für eine solche Lesart von Kultur als Gewebe (textum) ist der Diskursbegriff Foucaults, denn er erlaubt es, Texte nach den ihnen zugrunde liegenden gemeinsamen Produktionsregeln zu verstehen und zu gruppieren (vgl. Foucault 1997 [1972]). Für einen kulturdidaktisch ausgerichteten Literaturunterricht stellt das Internet also nicht nur ein Reservoir für einen weiten Textbegriff bereit, sondern erlaubt es dem Lehrenden, auch Texte zu recherchieren, die Kultur als Diskurs verstehen und damit kulturelle Kontexte systematisch abzubilden. Übertragen auf das Beispiel von A Lesson Before Dying bedeutet dies, dass das Internet es erlaubt, Texte, Bilder u.ä. zusammenzustellen, denen das Thema ‚Todesstrafe in den USA‘ gemeinsam ist und durch die deutlich wird, was Teile der US-amerikanischen Kultur über die Todesstrafe denken.

Der New Historicism bzw. die Kulturpoetik (poetics of culture) rekurriert auf den Diskursbegriff Foucaults und betont, dass Kultur nicht statisch, sondern dynamisch ist und in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zirkuliert (vgl. Greenblatt 1988). Das Internet lässt sich in diesem Zusammenhang als Dispositiv verstehen (vgl. Raffnsoe/Gudmand-Hoyer/Thaning 2011: 227), d.h. als pluraler und interdisziplinärer Raum, in dem unterschiedliche Diskurse angeordnet sind und in dem sich kulturelle Diskurse in unterschiedlichen Domänen ausprägen. Die Kulturpoetik schärft in kulturdidaktischer Hinsicht den Blick für den Niederschlag von Diskursfäden in unterschiedlichen Sphären. Das Internet stellt hierfür das Reservoir dar und erlaubt die Erarbeitung von Diskursen über Disziplin- und Genregrenzen hinweg. Für unser Beispiel heißt dies, dass das Internet nicht nur juristische Diskurse zum Thema bereithält, sondern auch z.B. Menschenrechtsdiskurse zum Thema Todesstrafe sichtbar machen kann und dabei auch zeigt, wie unterschiedliche Diskurse überlappen, also wie beispielsweise der Menschenrechtsdiskurs auf den juristischen Diskurs Einfluss zu nehmen sucht. WebQuests können als Tool verstanden werden, mit dem eine solche Repräsentation von (überlappenden) Diskursen möglich wird. Besondere Aufmerksamkeit muss in diesem Zusammenhang auf die Modellierung von Kontexten gelegt werden.

Für den Lehrenden stellt sich bei der Erstellung eines WebQuest die Frage, wie das Materialarrangement aussehen soll, wenn es der kulturellen Kontextualisierung dienen soll. Im Folgenden werden hierzu vier Entscheidungsfelder umrissen, die Lehrkräften die didaktische Modellierung von kulturellen Kontexten im fremdsprachlichen Literatur- und Kulturunterricht erleichtern sollen:

1. Bei der Modellierung kultureller Kontexte gilt es, diskurstheoretischen Auswahlkriterien für Texte bzw. Internetquellen Rechnung zu tragen (vgl. Hallet/Genetsch 2010):

  • die kulturelle Repräsentativität von Texten, die gewährleisten soll, dass typische Texte einen kulturellen Diskurs abbilden;
  • die thematische Rekurrenz, die sicherstellt, dass Lernende die thematisch-diskursiven Gemeinsamkeiten von Texten erkennen können;
  • die Multimodalität eines Materialarrangements, mit dem ein kultureller Kontext durch eine Vielfalt unterschiedlicher Textsorten und -genres abgebildet wird;
  • die Multiperspektivität von Texten, die getragen ist von einem Verständnis von Kultur als plural und vielstimmig.

2. Das Materialarrangement muss (fremdsprachen-)didaktischen Auswahlkriterien für Texte bzw. Internetquellen genügen. Hierzu gehören:

  • die Berücksichtigung des Primats der Didaktik, zu dem gehört, dass die Materialauswahl erst nach der Bestimmung eines Lernziels erfolgt;
  • die Wahrung des Prinzips der Exemplarität, das Erkenntnis aus dem genauen Blick beziehen und auf diese Weise vertieftes Lernen ermöglichen möchte;
  • die sprachliche Zugänglichkeit von Webseiten, die auf das Niveau der jeweiligen Lerngruppe abgestimmt sein sollten, ohne dabei jedoch die Authentizität der Texte als Kriterium preiszugeben.

3. Zu den pädagogischen Auswahlkriterien für Texte bzw. Internetquellen zählen:

  • die Altersangemessenheit der Inhalte, die sich in den ausgewählten Texten finden;
  • die pädagogisch-erzieherische Akzeptabilität der in den Texten zum Tragen kommenden Inhalte.

4. Schließlich gilt es auch technologische Kriterien zu berücksichtigen. Zu diesen zählen: 

  • die Funktionalität der Seiten und Hypertexte;
  • die usability, mithin die Benutzerfreundlichkeit der ausgewählten Texte. 

Nachdem bis zu diesem Punkt Kontexte theoretisch diskutiert und unterrichtspraktisch modelliert wurden, soll im Folgenden nun der Blick auf die Aufgaben gelegt werden, mit deren Hilfe die didaktisierten Kontexte durch die Lernenden erarbeitet werden sollen.

WebQuests helfen nicht nur dabei, auf der Basis des Internets kulturelle Kontexte für literarische Texte zu modellieren, sondern können als aufgabenorientierte Kontextualisierungstools verstanden werden. Sie sind dabei nicht auf die Recherche isolierter Fakten im Rahmen der bereit gestellten Webseiten abgestellt, sondern bevorzugen Aufgaben, die zu einer Reorganisation des intertextuellen Materialarrangements zwingen. WebQuests legen also keine „fact-finding search“ (Dodge 1997) als Aufgabe nahe, sondern favorisieren echte tasks. Hierbei lassen sich zwei unterschiedliche Aufgabentypen unterscheiden: Neben sog. connective tasks, die die Relationierung von Webseiten einfordern, lassen sich auch sog. constructive tasks unterscheiden, bei denen die Lernenden selbst zu Lehrenden werden und geeignete Webseiten für einen WebQuest recherchieren (vgl. Genetsch/Hallet 2010). Der zuletzt genannte Aufgabentyp tritt insbesondere im Zusammenhang mit sog. WebInquiry Projects auf.

Zentrales Organisationsprinzip eines WebQuests ist eine Button-Struktur, die den Lernenden Informationen und Hinweise gibt, wie sich das Lernen vollziehen soll. Dabei können sechs Kategorien unterschieden werden, die von den Lernenden als Buttons angeklickt werden können:

  • „Introduction“: Die Lernenden werden auf die Arbeit eingestimmt und sollen verstehen, warum diese für sie interessant und sinnvoll ist.
  • „Task“: definiert ein Szenario sowie ein Lernprodukt, in dem die Ergebnisse der Recherche ihren Niederschlag finden und das dazu dient, die Lernenden zur Reorganisation ihrer Rechercheergebnisse anzuhalten.
  • „Process“: Hier erhalten die Lernenden Hinweise zur Organisation des Lernprozesses, womit sowohl Informationen zur Sozialform als auch Strukturierungshilfen für die Arbeit an der Task gemeint sein können.
  • „Ressources“: versammelt die vom Lehrenden vorselektierten Quellen.
  • „Evaluation“: Hier werden die Kriterien der Beurteilung erläutert.
  • „Conclusion“: Die Lernenden werden dazu aufgefordert, den Lernprozess rückblickend einzuschätzen. Dies dient auch dem Ziel, metakognitive Kompetenzen zu fördern. Im Kontext von digitalen Lernarrangements bietet es sich an dieser Stelle an, auch ein Lernbewusstsein für die Verlässlichkeit von verwendeten Internet-Seiten oder Hypertexten zu wecken und auf diese Weise kritische Medienkompetenz zu fördern.

Die Button-Struktur von WebQuests lässt Bezüge zu aktuellen Lernaufgabenmodellen erkennen, wie sie z.B. von Wolfgang Hallet (2011, auch: 2012, 2013) vorgelegt wurden. Hallet hat tasks als komplexe Kompetenzaufgaben modelliert. WebQuests setzen ebenfalls auf eine Vielzahl multimodaler Inputtexte und versuchen mithilfe einer reorganisierenden Aufgabe ein Lernprodukt zu definieren, für dessen Realisierung die Lernenden Sprache auf vielfältige Weise rezipieren bzw. produktiv verwenden müssen. Einige WebQuests bieten durch upload-Funktion die Möglichkeit, sprachliche Mittel und scaffolding-Angebote hochzuladen und auf der Dokumentenvorlage verfügbar zu machen. Zu diesen können Arbeitsblätter mit chunks gehören, die auf die im Lernprodukt zu erwartenden Sprechakte abgestellt sind. Denkbar sind auch zusätzliche inhaltliche Strukturierungshilfen, die die Lernenden je nach Bedarf herunterladen können. Schließlich ist die Einbindung generischer templates möglich, die es den Schülerinnen und Schülern erleichtern sollen, ihr Lernprodukt nicht nur sprachlich korrekt, sondern darüber hinaus sprachpragmatisch angemessen zu realisieren. Ein Beispiel, wie all dies im Rahmen eines WebQuests ermöglicht werden kann, wird im folgenden Abschnitt vorgestellt.

Ernest Gaines‘ Roman A Lesson Before Dying (1993) ist eine afroamerikanische Initiationsgeschichte, in der im amerikanischen Süden der 1940er Jahre der zu Unrecht zum Tode verurteilte minderjährige Schwarze Jefferson mithilfe des desillusionierten schwarzen Lehrers Grant Wiggins Stolz und Würde empfinden lernt und erhobenen Hauptes seiner Hinrichtung entgegen geht. Die Behandlung dieses Romans im Englischunterricht der Sekundarstufe II setzt gemeinhin auf zwei didaktische Schwerpunkte: auf afro-amerikanische Identität vor der Bürgerrechtsbewegung sowie auf das Thema Todesstrafe (vgl. Genetsch 2010). Beide Themen bieten sich sowohl für eine historische als auch für eine zeitgenössische kulturelle Kontextualisierung an. Um Lernenden beispielsweise deutlich zu machen, dass das Thema ‚Todesstrafe‘ heute noch von Bedeutung für das Verstehen der US-amerikanischen Kultur ist, ist eine Kontextualisierungsaufgabe nötig (vgl. Box 1). Für diese kann ein WebQuest mit Gewinn eingesetzt werden, denn er erlaubt Zugriff auf zeitgenössische, multimodale Diskurse zum Thema, die in digitaler Form von den Lernenden navigiert und erschlossen werden können (vgl. http://www.webquests.ch/deathpenalty.html)

Infobox 1

Ausgangspunkt für die hier vorgeschlagene Kontextualisierungsaufgabe ist das Plädoyer von Jeffersons Pflichtverteidiger, dessen Rassismus stillschweigendes Einverständnis mit dem ungerechten Urteil erkennen lässt. Die Lernenden sollen in der Kontextualisierungsaufgabe Jeffersons Fall auf die Jetztzeit übertragen und in Anlehnung an viele ähnliche Fälle von offenkundig zu Unrecht zum Tode verurteilten schwarzen Angeklagten in den USA eine alternative Verteidigungsrede schreiben. Dieses Lernprodukt kann nur dann überzeugend gestaltet werden, wenn die Lernenden die unterschiedlichen Positionen zur Todesstrafe in Amerika zur Kenntnis nehmen, die die gegenwärtige Debatte in den USA kennzeichnen. Das Materialarrangement des WebQuests ist daher multiperspektivisch, hält also neben kritischen Stimmen zur Todesstrafe beispielsweise auch Stimmen bereit, die dieses Instrument der Rechtsprechung ausdrücklich befürworten und von denen sich die Lernenden kritisch absetzen können. Die Kontextualisierungsaufgabe lässt sich dabei typologisch als aktualisierende, produktionsorientierte connective task verstehen. Sie hat das Ziel, den heutigen Rezeptionskontext des Romans genauer zu bestimmen und damit zu illustrieren, warum dieser Text auch gegenwärtig noch mit Gewinn im Unterricht behandelt werden kann.

In der Auseinandersetzung mit dieser intertextuellen Textcollage erarbeiten sich die Lernenden wichtige Aspekte des Todestrafen-Diskurses in den USA und erwerben notwendiges zielkulturelles Orientierungswissen. Die Aufgabe hat darüber hinaus zum Ziel, dass die Lernenden Gaines’ Roman besser verstehen. Denn dieser reflektiert trotz seines historischen Settings (Bezugskontext) die Todesstrafenthematik auch als drängendes Problem zeitgenössischer amerikanischer Kultur (Rezeptionskontext). Der WebQuest erlaubt in diesem Unterrichtsarrangement Einblick in diese Kultur und trägt auf diese Weise zum wide reading des Romans bei. Das Kompetenzziel, dem sich diese Aufgabe verpflichtet fühlt, hebt somit einerseits darauf ab, eine Haltung zur Diskussion um einen wichtigen kulturellen Diskurs zu finden (interkulturelle Kompetenz). Andererseits soll ein Roman in seiner Situiertheit besser begriffen werden (literarische Kompetenz).

Gleicht man das Lernarrangement mit dem Konzept der komplexen Kompetenzaufgabe ab, so wird deutlich, dass das Internet nicht nur multimodale und multiperspektivische Input-Texte zum Thema vorhält, sondern auch generische Vorbilder. Beispielhaft wird dies durch eine Gerichtsrede aus der Verfilmung von Ayn Rands The Fountainhead eingelöst. Mit diesem Beispiel lassen sich sowohl sprachliche Routinen und Sprechakte, aber auch Inszenierungsformen für die Lernenden an einem konkreten Text erlernen. Um die Kontextualisierungsaufgabe auch sprachlich zu unterstützen, lassen sich chunks zum Thema „The Language of the Law“ hochladen. Mögliche Redemittel könnten die in Infobox 2 vorgeschlagenen phrases umfassen.

Infobox 2

Damit Lernenden die Bedeutung der Kontextualisierungsaufgabe deutlich wird, ist besonders auf die Einbindung der Task in das übergeordnete Unterrichtsarrangement zu achten. Denn nicht immer beziehen sich Lernende in ihren Lernprodukten in gewünschter Weise auf den Ausgangstext. Die Gefahr ist, dass bei Kontextualisierungsaufgaben der Bezug zum Primärtext verloren geht. Nötig ist also, auch die Lernprodukte selbst zum Gegenstand von Bedeutungsaushandlungsprozessen zu machen, was in fremdsprachendidaktischer Hinsicht weitere Sprechanlässe zu generieren vermag. Eine solche Anschlusskommunikation stellt sich jedoch nicht von selbst ein, sondern muss von der Lehrperson vorbereitet und initiiert werden. Die von den Mitschülerinnen und Mitschülern im Rahmen einer solchen Phase zu beantwortenden Fragen sollten neben einem basalen Hörauftrag, der der Inhaltssicherung dient, auch zur Beurteilung der Lernprodukte bezüglich ihrer Stimmigkeit und Kohärenz mit dem Primärtext auffordern. Erst in einem letzten Schritt sollte getreu des Prinzips message before accuracy eine behutsame Fehlerkorrektur erfolgen.

Zum Weiterlesen:

  • Diehr, Bärbel/Surkamp, Carola (2015): Die Entwicklung literaturbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe I. Modellierung, Abschlussprofil und Evaluation. In: Hallet, Wolfgang/Surkamp, Carola/Krämer, Ulrich (Hrsg.): Literaturkompetenzen Englisch. Modellierung – Curriculum – Unterrichtsvorschläge. Stuttgart: Klett-Kallmeyer, S. 21–40.
  • Dodge, Bernie (1997) [1995]: „Some Thoughts on WebQuests.“ http://webquest.org/sdsu/about_webquests.html [16.5.2018].
  • Genetsch, Martin (2017): Mit WebQuests recherchieren und forschen. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 149, S. 10–11.