Klett Akademie für Fremdsprachendidaktik

Digitalisierung und Englischunterricht: Digitales Lernen und digitale Bildung

von Bärbel Diehr, Dirk Siepmann, Carola Surkamp und Harald Weisshaar

Wo liegt das Potential der Digitalisierung für das Lehren und Lernen einer fremden Sprache und was ist der Beitrag des Englischunterrichts zur fächerübergreifend zu leistenden digitalen Bildung?

Kinder und Jugendliche begegnen der englischen Sprache immer häufiger durch die Nutzung digitaler Medien, sei es in der Schule, zuhause oder in der Freizeit. Die JIM-Studie 2017 fand heraus, dass die Zwölf- bis 19-Jährigen etwa 45% der zuhause aufgewendeten Lernzeit, das entspricht ca. 44 Minuten, am Rechner oder im Internet verbringen, um Aufgaben für die Schule zu erledigen (MPFS 2017). Daneben nutzen sie den Computer für digitale Spiele, Serien und Filme sowie die sozialen Medien zur Kommunikation.

Um digitale Kompetenzen bei allen Schülerinnen und Schülern auszubilden und sie unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zur Teilhabe an einer immer stärker digital durchdrungenen Gesellschaft zu befähigen, ist die Schule gefordert, sowohl fächerübergreifende als auch fachspezifische Konzepte zur digitalen Bildung zu entwickeln und digitale Medien als integralen Bestandteil des Unterrichts einzusetzen. Es gilt, Lernenden bewusst zu machen, dass die schulische Nutzung digitaler Medien nicht primär der methodischen Abwechslung dient, sondern immer funktional erfolgt.

Der Englischunterricht bietet sich aus den folgenden Gründen als idealer Ort für die digitale Bildung an:

  • Die englische Sprache dominiert als globales Kommunikationsmedium auch die Kommunikation im World Wide Web. Die im Englischunterricht erworbene Sprachkompetenz fördert das Verständnis der digital vorgefundenen Informationen.
  • Der rezeptive und produktive Umgang mit digitalen Medien im EU trägt dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler an aktuellen, auch globalen Diskursen teilhaben können und ermöglicht ihnen eine weltweite Vernetzung mit Informationen und Gesprächspartnern (über soziale Netzwerke, Hochladen von Texten).
  • Der Englischunterricht strebt die Entwicklung einer kritischen Diskursfähigkeit an, die – gerade in Zeiten der zunehmenden fake news – notwendig ist, damit Lernende sich selbstständig eine Meinung zu digital rezipierten Informationen bilden und sie im analogen wie digitalen Austausch mit anderen selbstbestimmt und verantwortungsvoll vertreten können.
  • Fremdsprachige Textproduktion sind die Lernenden schon aus dem analogen Unterricht gewohnt. Der produktive Gebrauch digitaler Medien schärft ihr Bewusstsein für die Vielfalt von Text- und Gattungsmerkmalen (YouTube Clips, Tweets, SMS, Blogs, Email im Vergleich zu Tagebüchern, Essays, Briefen usw.).
  • Im Englischunterricht kann der kritische Gebrauch digitaler Hilfsmittel (Recherchedatenbanken, Nachschlagewerke, Übersetzungsdienste usw.) und das Navigieren in Hypertexten geübt und somit die wichtige Methodenkompetenz geschult werden.

Umgekehrt bieten digitale Medien aber auch ein erhebliches Potenzial für den Englischunterricht:

  • Der Einsatz digitaler Medien ermöglicht den Zugriff auf aktuelles Material aus aller Welt auf erstsprachlichem Niveau und damit den Zugang zu zahlreichen kulturellen Diskursen und Perspektiven.
  • Die Rezeption und Produktion multimodaler Texte trägt zur Förderung des Lese-/Hör-/ Sehverstehens bzw. des Sprechens, Schreibens und visuellen Kommunizierens in der Fremdsprache bei. Damit kann eine integrierte Kompetenzentwicklung erfolgen, die auch zur Bewältigung authentischer Sprachmittlungssituationen beiträgt.
  • Die Begegnung mit durch die digitalen Medien zur Verfügung gestelltem Sprachmaterial führt zu einem erhöhten Bewusstsein für die Komplexität der englischen Sprache und zur Ausbildung sprachreflexiver Fähigkeiten.
  • Die Nutzung digitaler Medien führt zu einer Vernetzung des Klassenzimmers mit der globalisierten Welt, z.B. in Form von Projektunterricht (Englisch als lingua franca). Sie ermöglicht die Kommunikation mit anderen, auch internationalen Sprecherinnen und Sprechern der Zielsprache sowie die Veröffentlichung eigener Texte im World Wide Web.
  • Mit Hilfe digitaler Medien erweitern sich die Gelegenheiten zur Sprach- und Kulturbegegnung (exposure).
  • Digitale Medien bieten die Chance, Lernprozesse zu individualisieren, Schülerinnen und Schüler zu selbstbestimmtem Lernen zu ermutigen, vielfältige Differenzierungsangebote bereitzustellen, aber auch neue Formen des kooperativen Arbeitens innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers zu erproben.
  • Mit Hilfe digitaler Medien kann die Lehrwerksarbeit unterstützt werden.
  • Die Arbeit mit digitalen Technologien spricht Lernende in der Regel an, kann also motivationale Effekte haben.

Bei allen herausgestellten Potentialen besteht allerdings auch die Gefahr der unreflektierten Nutzung digitaler Medien und – auf Schülerseite – der Übertragung verarmter schriftsprachlicher Gewohnheiten in den Unterricht. Zudem kann es zu einer Rekonventionalisierung von Unterrichtsprozessen kommen, z.B. wenn der Einsatz des Whiteboards zu vermehrtem Frontalunterricht und damit zu einer Vernachlässigung der mündlichen Interaktion im Klassenzimmer führt. Die Arbeit mit digitalen Medien im Englischunterricht sollte daher immer wieder auch kritisch hinterfragt werden.