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Offenheit öffnet Türen

(sl) In der Startphase als Seiteneinsteiger:in wird die Grundlage für erfolgreiches Arbeiten an einer Schule gelegt. Worauf man achten und was man vermeiden sollte, verrät Schulleiter Uwe Bettscheider.

Aller Anfang ist schwer, das Vorstellungsgespräch beim potenziellen Chef zählt gewiss dazu. Worauf sollte ich als Seiteneinsteiger:in achten?

Zeigen Sie, über welche Erfahrungen Sie im Umgang mit Kindern und Jugendlichen verfügen. Viele sagen dann spontan, dass sie noch nie vor einer Klasse gestanden haben. Aber das ist nicht entscheidend. Vielleicht waren Sie ja in einem Musik- oder Sportverein tätig, haben sich ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagiert oder vielleicht Nachhilfe gegeben – einzelnen oder einer Gruppe. Eine gute Möglichkeit ist auch, an einer Ganztagsschule als Honorarkraft eine Arbeitsgemeinschaft anzubieten, Hausaufgaben zu betreuen oder mit Kindern den Unterrichtstoff am Nachmittag noch einmal zu vertiefen. Das ermöglicht Ihnen, sich selbst einmal zu prüfen, ob diese Tätigkeit für Sie wirklich die richtige ist.

Und das überzeugt Schulleitende?

Das alleine sicher nicht. Machen Sie deutlich, warum sie als Lehrkraft mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollen. Auf keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, dass sie nichts anderes gefunden haben und sich in der Schule angesichts des bekannten Mangels an Lehrenden eine gute Chance ausrechnen, gutes Geld zu verdienen.

Kann ich ohne viel oder sogar gänzlich ohne pädagogische Vorerfahrung diesen Job antreten?

Es ist sicher von Vorteil, schon über eine gewisse Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu verfügen. Aber ich bin überzeugt, entweder kann jemand den Job oder kann ihn nicht. 70 Prozent hat man oder nicht. Die restlichen 30 Prozent kann man lernen. Es wäre allerdings fatal, zu glauben, man sei auf dem eigenen Fachgebiet so versiert, dass Didaktik und Pädagogik keine Rolle spielen. Beides ist keine Beigabe, sondern notwendige Voraussetzung. Dafür gibt es aber zum Glück ausreichend Fortbildungsangebote. Das Lehrersein ist ein grandioser Job, wenn man ihn kann. Aber wenn man nicht dafür gemacht ist, jeden Morgen mit Magenschmerzen zur Schule geht, wird man auf Dauer nicht glücklich.

Darf ich mit meinem ausgewiesenen Fachwissen, meiner Expertise und meiner Erfahrung, sagen wir einmal als Musiker, nicht für mich werben?

Ganz im Gegenteil. Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind ja froh über Menschen, die solch eine Expertise mitbringen. Im optimalen Fall profitieren beide Seiten voneinander. Ich bin überzeugt, dass es dem Kollegium egal ist, ob da jemand kommt, der vielleicht nicht Lehramt studiert hat.

Nun stehe ich also das erste Mal vor meinen neuen Kolleg:innen…

Machen Sie sich dann nicht kleiner als sie sind, zeigen Sie, dass Sie fachlich sicher sind. Erwecken Sie aber bitte auch nicht den Eindruck als wüssten Sie alles besser. Schulen sind heute viel stärker als früher von Teamgedanken geprägt. Ein Satz wie: „Das kann ich bieten, aber über didaktische und pädagogische Hinweise und Unterstützung freue ich mich“, kann nicht schaden. Auf eine offene Kommunikation kommt es an, auf die Bereitschaft, miteinander zu arbeiten, voneinander zu lernen und zu profitieren.

Wie kann das gerade in der Startphase konkret aussehen?

Bieten Sie ruhig an, dass sich andere, beispielsweise die Schulleitung, ihren Unterricht anschauen. Fragen Sie aber auch, ob Sie bei Kolleg:innen hospitieren können. Das unterstreicht ihre Offenheit. Aber ich rate auch: Seiteneinsteigende sollten und können von anderen lernen, wie umgekehrt auch. Aber sie sollten die anderen nicht kopieren. Jede:r muss sein eigenes Profil entwickeln, muss authentisch wirken und sein.

Und dann geht es zum ersten Mal in „meine“ Klasse…

Hier sollten Sie vermeiden, über Ihre Schwachpunkte zu sprechen. Man könnte sagen, die sollen die Lernenden ruhig selbst herausfinden. Lernende suchen keine Mutter und keinen Vater – die haben sie. Sie möchten eine vernünftige, fachlich kompetente Lehrkraft haben. Es ist ratsam, sich auch nicht „anzubiedern“ und einen auf Freund:in zu machen. Schon gar nicht, in dem man das Gefühl vermittelt, eh besser als die gelernten Lehrkräfte sowie deren Arbeitsweise zu sein. Das Verhältnis Lehrkraft zu Lernenden sollte von professioneller Distanz geprägt sein. Das heißt nicht, dass man kein Verständnis für die jungen Menschen entwickelt. Empathie muss sein, schließlich hat man es mit Menschen zu tun. Darum ist in diesem Job die Fähigkeit zum Perspektivwechsel so wichtig. Und trotzdem: Bei allem Verständnis für die Situation der Kinder und Jugendlichen müssen Regeln eingehalten werden. Fragen Sie an Ihrer Schule daher ruhig nach ob es eine Art Lehrkräfte-Handbuch gibt, in dem die wichtigsten Absprachen festgehalten sind.

Wie wichtig sind die ersten Stunden in meiner Klasse?

Hier wird die Basis für erfolgreiches Lernen gelegt Lernende werden die oder den Neuen austesten, der Klassenkasper wird ausloten, wie weit er gehen kann. Manche werden Sie mit offenen Armen empfangen, andere checken, was für eine:r Sie sind. Vermitteln Sie Ihre Freude am Fach, denn Kinder und Jugendliche genießen durchaus Erfahrungen von Menschen, die schon einmal etwas anderes gemacht haben.

Und wenn mir eine Stunde richtig misslingt?

Dann ist es wichtig, zu reflektieren, woran es gelegen haben kann. Lag es an der Vorbereitung? Was hat Sie gestresst? Lag es an der Lerngruppe? Wie hat sie sich verhalten? Wie waren die Blicke, die Fragen? Als Lehrkraft müssen Sie permanent Entscheidungen treffen. Und dabei werden auch falsche sein. Damit müssen Sie als Lehrender umgehen können. Dass eine Stunde missrät, ist normal, darf nur nicht zur Regel werden. Sie werden niemanden in der Schule finden, die oder der sechs Stunden am Tag durchgängig guten Unterricht gegeben hat.

Zur Person

Uwe Bettscheider, Jahrgang 1963, ist studierter Mathematik-, Physik- und Informatiklehrer hat über Intelligente tutorielle Systeme für den Mathematikunterricht am Fachbereich Mathematik der Justus-Liebig-Universität Gießen promoviert. Seine beruflichen Stationen waren: Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Justus-Liebig-Universität (1990 – 1993), Referendar an der Edertalschule in Frankenberg (1994 – 1996), Lehrer an der Viktoriaschule Aachen (1996 – 2001), Stellvertretender Schulleiter am Inda-Gymnasium (2001 – 2006), Schulleiter am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium der Stadt Bonn (2006 – 2012), Internationaler Direktor an der AFNORTH International Schooll in Brunssum/Niederlande (2012 – 2017), Schulleiter am Ritzefeld-Gymnasium (seit 2017).