Zwischen Zweifeln und Wissen um die eigene Expertise

(sl) Herzrasen, Schweißausbrüche, miese Träume. Im Arbeitsalltag kann man immer wieder über solche Symptome stolpern. Seiteneinsteiger:innen im Lehramt sehen sich Erwartungen vieler gegenüber. Insbesondere in der Startphase.

Selten waren sie so wertvoll wie heute. Angesichts des akuten Mangels an Lehrkräften werden die Türen zum diesem Beruf geradezu sperrangelweit aufgerissen. Die Versprechungen sind verlockend. „Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sind mit ihrer persönlichen Berufsbiografie vielfach eine Bereicherung für das Schulleben. Damit der Start in die neue Tätigkeit gelingt, erhalten alle Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger eine berufsbegleitende Qualifizierung, in der ihnen die pädagogischen Grundlagen des Lehreberufs vermittelt werden“, heißt es etwa auf der Seite Bildungsland NRW des Ministeriums für Schule und Bildung. Kleingedruckt liest der Neugierige darunter: „Hier wachsen Talente“.

Gewiss, mit dem Zusatz, wird wohl eher an die Schüler:innen gedacht. Doch irgendwie trifft das auch auf Menschen zu, die ihren einst erlernten Beruf an den Nagel hängen, um täglich vor großen Gruppen junger Menschen zu stehen und zu unterrichten. Auch sie müssen wachsen. Wachsen an den Herausforderungen, an den eigenen Erwartungen, denen der Schüler:innen, der Eltern, der neuen Kolleg:innen und natürlich es Arbeitsgebers. Manch einem bereitet das trotz des tiefen Wunsches, Lehrer:in sein zu wollen, Kopfzerbrechen, Ängste, Selbstzweifel.

Wertvolle frühe Erfahrungen

Besonders, wenn in der Startphase etwas schiefläuft. Frank B. kann davon ein Lied singen. Voller Tatendrang und Optimismus sprang er ins kalte Wasser als ihm sein erster Schulleiter schon nach wenige Tagen eröffnete, er „dürfe“ nun schon eine Klassenleitung übernehmen. Frank war stolz. Welch ein Vertrauen. Die Begeisterung hielt nicht lange. Nur eine Woche verging bis sich heftige Bedenken einschlichen, ob er dafür wohl geeignet sei. Die 9. Klasse dieses Gymnasiums in Niedersachsen hatte ihn „getestet“ und für zu leicht befunden. Das Kollegium beäugte den Seiteneinsteiger kritisch: „Was haben Sie nur aus dieser tollen Klasse in so kurzer Zeit gemacht?“ Frank B. hielt drei Monate durch. Als ihm auch noch eine empörte Mutter entgegenhielt, es sei ja nicht anders zu erwarten gewesen, wenn so einer, der das nicht gelernt habe, Lehrer „spiele“, siegten die Zweifel und Ängste. Frank B. ging. Entnervt, frustriert, verunsichert.

Deutlich besser erging es Anne Roscher. Die 40-Jährige Diplombiologin war schon während ihres Studiums mit Schulklassen in Berührung gekommen, da sie im Deutschen Hygienemuseum Dresden workshops mit ihnen durchgeführt hatte. Es zog sie früh ins Lehramt, doch die Rahmenbedingungen entsprachen nicht ihren Vorstellungen. „Der Bedarf an Quereinsteiger:innen war noch nicht groß, also sollten wir noch einmal ein komplettes Studium absolvieren, ohne Studium wäre nur eine befristete Anstellung im Rahmen der Unterrichtsversorgung zu erhalten. Das war mir zu unsicher.“ Also wählte sie den Weg in die Forschung. Sechs Jahre später hatten sich die Zeiten geändert, Seiteneinsteiger:innen wurden mit Handkuss begrüßt. Anne Roscher begann ihre Lehrertätigkeit nach entsprechender Qualifizierung und Probezeit an der Kurfürst-Moritz-Schule im sächsischen Boxdorf.

Von der Gefahr, Reaktionen zu persönlich zu nehmen

Sie erinnert sich gut, dass sie keine Selbstzweifel plagten, „da ich ja wusste, dass es um Kinder mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen gehen wird.“ Sie war sich klar darüber, dass die Aufgabe sehr stark von Beziehungsarbeit geprägt sein würde. „Kleine Kinder interessieren sich noch nicht immer überwiegend für Inhalte. Die machen vieles zuliebe der Person, die vorne steht“, wusste sie. Zudem hatte sie im Ausbildungsjahr Methoden kennengelernt, um eine Klasse zu „steuern“. Sie weiß aber auch: „Man benötigt Reflexionsvermögen zum Agieren der Schüler:innen, aber auch über das eigene Handeln.

Manchmal, das weiß sie aus Erfahrung, nimmt man Reaktionen der Klasse zu persönlich, obwohl „die Schüler:innen einem normalerweise nichts Böses wollen.“ Es dauerte wohl ein Weilchen, bis sich diese Erkenntnis nach ihrem Start in einem älteren Jahrgang auch durchsetzte. „Ich kannte die Schüler:innen nicht, sie mich nicht und wollten einmal checken, was mit mir möglich ist.“ Ihr half, klar, authentisch und ehrlich zu sein. Sie steckte Grenzen. In Gesprächen mit anderen Mitgliedern ihrer Seminargruppe, aber auch mit dem Kollegium erfuhr sie, dass alle diese Erfahrung sammeln mussten. „Zu spüren, dass es anderen ebenso ergeht, macht es leichter und ließ bei mir keine Zweifel an mir und meiner Arbeit aufkommen.“

Es darf gewiss auch als Glücksfall gewertet werden, dass Anne Roscher in einer Schule mit „offenen Klassenzimmern“ und viel Kommunikation „gelandet“ ist. Deren Schulleiter Heiko Vogel weiß Quereinsteiger:innen als „echte Bereicherung“ zu schätzen und meint: „Man sollte viel mit ihnen reden, offen für ihre Fragen sein und zunächst einmal als zweite Kraft in einer Klasse einsetzen.“ Und eines weiß er aus Erfahrung: „Quereinsteiger:innen möchten Lehrkräfte wie alle anderen und keine Exoten sein. Dafür tun sie extrem viel.“ Und wenn es gilt, eigene Ängste beispielsweise durch Entspannungsübungen und im Wissen um die eigene Expertise, entschieden entgegenzutreten.

Kompakt

Der Quereinstieg in den Lehrberuf ist von Land zu Land unterschiedlich geregelt. Ein Beispiel:

In Hessen gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit für einen Quereinstieg in den pädagogischen Vorbereitungsdienst in so genannten Mangelfächern bzw. beruflichen Mangelfachrichtungen. Damit sind Fächer und berufliche Fachrichtungen gemeint, in denen hessenweit dauerhaft zu wenige ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen.

Der Quereinstieg in den pädagogischen Vorbereitungsdienst richtet sich an Bewerberinnen und Bewerber ohne lehrkräftebildenden Studienabschluss. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung kann der Studienabschluss einer Ersten Staatsprüfung für ein Lehramt gleichgestellt werden. In diesem Fall kann eine Bewerberin bzw. ein Bewerber direkt in den pädagogischen Vorbereitungsdienst (Referendariat) eintreten.

Nach dem erfolgreichen Ablegen der Zweiten Staatsprüfung können sich die Absolventinnen und Absolventen im Rahmen des üblichen Bewerbungsverfahrens für den Schuldienst bewerben. Die Bewerbungswege für einen Quereinstieg sind je nach Lehramt unterschiedlich. Gemeinsam ist allen, dass der Quereinstieg über den pädagogischen Vorbereitungsdienst erfolgt.

Quelle: Kultusministerium Hessen