Zauberformel: Klar und authentisch sein

(sl) Lehrkräfte und besonders häufig auch Seiteneinsteiger:innen in diesen Beruf sitzen zwischen vielen Stühlen, müssen gleich mit mehreren Zielgruppen klarkommen. Eltern bilden eine. Nicht immer die einfachste.

Sonja G. (33) wird diesen Moment nie vergessen. Als Seiteneinsteigerin ist sie in den Beruf der Lehrkraft geschlüpft. Voller Überzeugung. Mit Empathie für die ihr anvertrauten Kinder. Die Künstlerin aus Niedersachsen, die sich der Musik verschrieben hat und die Schülerinnen und Schüler ihrer Schule dafür begeistern möchte, „muss“ an einem kühlen Vormittag ein Gespräch mit Eltern führen. Einer unzufriedenen Mutter, einem zornigen Vater. Sie können die Note (befriedigend) ihrer Tochter nicht nachvollziehen, schließlich sei sie doch „so talentiert.“ Ein Wort gibt das andere. Den Raum verlassen die Erziehungsberechtigten aufgebracht: „Das ist ja alles auch kein Wunder, Sie sind ja gar keine richtige Lehrerin. Wir werden uns beschweren.“

Sonja, die lieber nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, fragte sich nach diesem Ende verzweifelt, was sie falsch gemacht habe. Sie grübelte, ob er Job tatsächlich der richtige für sie sei. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Schulleitung. Dort erhielt sie Zuspruch, aber auch Hinweise: Erstens: Sie habe sich wohl tatsächlich intensiver vorbereiten sollen, alle Fakten parat haben. Zweitens: Manchmal käme es vor, dass Gespräche aus dem Ruder liefen. Drittens: Die Schulleitung werde sich der Sache annehmen, den Austausch mit den Eltern suchen und dabei auch Sonjas Kompetenz unterstreichen.

Transparenz ist gefragt

Den aufgeführten Punkten kann Angelika Wolters vom Landesschulamt Sachsen-Anhalt nur zustimmen. Sie rät: „Wichtig sind die Transparenz der Benotung und die Kriterien der Leistungsbewertung.“ Zugleich empfiehlt sie Seiteneinsteiger:innen, niemals den Kopf einzuziehen, sich „klein“ zu machen. „Schließlich sind sie nicht unqualifiziert, sondern bringen professionelle Kompetenz und viel Erfahrung aus anderen Berufen mit in die Tätigkeit in der Schule“, betont sie. Wichtig ist ihr allerdings auch der enge Draht zwischen Schulleitung und jenen, die einen so wesentlichen Beitrag zur Abfederung des Lehrermangels leisten. Optimal sei es, wenn Seiteneinsteiger:innen jemanden aus der Riege der Erfahrenen an ihrer Seite wüssten: „Ein individuell auf den Einzelfall abgestimmtes Pat:innensystem hilft allen.“

Dabei ist sie sich eines Problems, das insbesondere kleinere Systeme im ländlichen Raum an ihre Grenzen bringt, bewusst. „Da ist das subjektive Belastungsempfinden schon sehr groß und dann heißt es, man solle sich eben auch noch einmal um die Seiteneinsteiger:innen kümmern“, formuliert sie ihr Verständnis. Gemeinsam mit einigen Schulleiter:innen im Land grübelt sie über ein Konzept unter der Devise „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Idee dahinter: Mehrere kleinere Schulen schließen sich zusammen, organisieren und bieten inhouse-Seminare zu den drängendsten Themen an. Das reduziere den Zeitaufwand, weite Fahrten zum Landesinstitut inklusive, und das Warten auf den Moment, zu dem das Institut eine entsprechende Fortbildung anbiete.

Basis ist die gute Beziehung zu Schüler:innen

Die negative Erfahrung der Sonja S. kann Johann Lonzer nicht teilen. Der 48-Jährige ist Diplom-Biologe und kam über den Umweg einer Lehrertätigkeit als Seiteneinsteiger an der Deutschen Höheren Privatschule in Namibia 2018 ans Kurfürst Joachim Friedrich Gymnasium Wolmirstedt, nahe Magdeburg. Er erinnert sich gut, dass er an der Schule in Namibia zunächst viele Fragen zu allen möglichen Themen an das Kollegium richtete, sich manchmal Rat, manchmal auch Bestätigung der eigenen intuitiven Haltung zu Pädagogik und den Umgang mit Schüler:innen sowie Eltern holte.

Ausgestattet mit dieser Erfahrung wechselte er vor rund vier Jahren ans Gymnasium in Sachsen-Anhalt. Zuvor „genoss“ er die verpflichtenden Fortbildungen, in deren Zentrum Didaktisches, Methodisches und Wertvolles zum Schulrecht standen. Doch zur Elternarbeit und den Umgang mit ihnen hörte er, abgesehen von Hinweisen, wie jenem, dass es ratsam sei, bei den Gesprächen zu verdeutlichen, dass man „nichts zu verbergen habe“ und auch deshalb die Tür offen lasse, nichts. „Aber ehrlich gesagt, war das auch nicht erforderlich“, betont er heute. Er ist überzeugt, dass ein gutes Verhältnis zu den Schüler:innen die Basis für einen harmonischen Kontakt zu deren Eltern darstellt. „Zuhause wird ja über uns Lehrkräfte gesprochen, positiv wie negativ. Das wirkt sich auch auf die Einstellung von Müttern und Vätern zu uns aus.“

„Normaler menschlicher Kontakt“

Was aber fördert das positive Klima zwischen Seiteneinsteiger:in und Schüler:in. Lonzer benötigt für seine Antwort nur drei Worte: Authentizität und Klarheit. Lehrreich sei für ihn eine Unterrichtsstunde gewesen, die „ziemlich missraten“ sei. Im Nachgang habe er sich gefragt, welche Fehler ihm möglicherweise unterlaufen seien. Er fand einige und stellte sich in der darauffolgenden Stunde vor die Klasse, erläuterte, wo er seinen Anteil an der Stunde sehe und griff das inhaltliche Thema methodisch noch einmal neu auf. Die Schüler:innen zogen angetan, mit Respekt mit. „Seitdem waren wir im Lot“, erinnert sich der aus Bayern stammende Lehrer.

Er ist überzeugt, dass es auch die Eltern honorieren, wenn jemand aus seiner beruflichen Herkunft keinen Hehl macht, selbstbewusst auftritt, weiß, dass er viel Erfahrung aus anderen Bereichen bereichernd in den Schulalltag einbringen kann, sich gut auf Gespräche vorbereitet und ansprechbar, sprich offen, ist. Lonzer ermuntert Schüler:innen sowie Eltern, ihn gerne auch auf seinem Handy anzurufen, „wenn es wichtig ist und nicht später als 20 Uhr“. Er meint: „Eigentlich funktioniert Elternarbeit, wenn man sie wie jeden normalen menschlichen Kontakt pflegt.“ Angelika Wolters ergänzt: „Und wenn es gelingt, den Perspektivwechsel zu vollziehen, sich in die Rolle des anderen zu versetzen.“


Kompakt

Im Schnitt verwenden Lehrer:innen 2 Stunden und 21 Minuten pro Woche für Elternarbeit. Das ergab eine Umfrage des Bayerischen Lehrer:innenverbandes 2020. Auf die Frage, welche Veränderungen sich im Vergleich zu früher ergeben haben, antworten sie: Die Kommunikation durch digitale Medien ist leichter geworden (50%), die Erwartungen von Seiten der Eltern sind höher (86%), es gibt mehr Konflikte (75%), es gibt heute mehr Schüler:innen mit Verhaltensauffälligkeiten, was mehr Zeit für Elternarbeit notwendig macht (98%), Eltern wehren sich vermehrt gegen schlechte Noten (75%).

Schwierigkeiten und Belastungen ergeben sich laut den befragten Lehrer:innen vor allem durch die fehlende Zeit für Absprachen mit den Eltern (69%) und einer schwierigen Zusammenarbeit mit Eltern leistungsschwächerer Kinder (68%). Auslöser für Konflikte mit den Eltern wird vor allem im Leistungsdruck gesehen (71%) und viele Probleme zwischen Lehrkräften und Eltern sind nach Meinung der Befragten dem System geschuldet (69%). Gleichzeitig bemängeln die Lehrer:innen, dass Eltern bildungsferner Milieus und Migranten zu wenig in Elterngremien vertreten sind (91%), Kontakte mit Eltern oft nur zustande kommen, wenn Probleme vorhanden sind (74%) und 66 Prozent belastet die Erwartung der Eltern nach permanenter Erreichbarkeit.

Wünsche zur Zusammenarbeit mit den Eltern

Für eine gelingende und nachhaltige Zusammenarbeit mit den Eltern stellen die Befragten insbesondere drei Aspekte in den Vordergrund. Die große Mehrheit (90%) wünscht sich mehr Zeitressourcen für die Zusammenarbeit mit Eltern. Darüber hinaus sollte das Thema „Elternzusammenarbeit“ nach Meinung der Befragten in der Ausbildung eine größere Rolle spielen (94%) und 79 Prozent wünschen sich mehr Einblick in die familiären Lebenswelten der Kinder. Eine gelingende Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Eltern kommt dabei den Kindern in vielerlei Hinsicht zugute: die Lernmotivation wird aus Sicht der Befragten gefördert (91%) und der Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen gesteigert (98%). Gleichzeitig kann eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkraft und Kind (97%), sowie die Lust der Eltern, sich aktiv ins Schulleben einzubringen (88%), stärken.