Adobe Stock I LIGHTFIELD STUDIOS

Vom Büro an die Tafel: Bereit für den Seiteneinstieg?

(sl) Lehrkräfte werden bundesweit händeringend gesucht. Besonders eng sieht es an den Grundschulen, besonders gut dagegen in der Sekundarstufe II aus. Gefragt sind Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger. Doch wer ist qualifiziert? Christoph Guth (Bezirksregierung Düsseldorf) berät Interessierte.

Sachsen-Anhalt lässt sich von Personalberatungsagenturen unterstützen, um Lehrkräfte aus dem Ausland sowie Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger zu finden. Andere Bundesländer schaffen Anreize für Lehrkräfte von weiterführenden Schulen an eine Grundschule zu wechseln. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Besetzung von Lehrerstellen ist nach wie vor eine große Herausforderung. Kontinuierlich erhebt bei uns in NRW das Ministerium für Schule und Bildung den Bedarf an Schulen. Doch egal wie die Zahlen am Ende ausfallen, Fakt bleibt: Wir brauchen Lehrkräfte – besonders für die Grundschulen. Die geringsten Chancen für den Seiteneinstieg gibt es in der Sekundarstufe II, allenfalls in Fächern wie Mathematik oder Informatik nehmen wir Bedarf wahr. Die Lage ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Und jedes Land geht andere Wege, um den Bedarf zu decken. Nordrhein-Westfalen sucht beispielsweise sehr gezielt durch eine landesweite Beratungsstelle für jede Schulform und regional durch die jeweilige Bezirksregierung.

Was bewegt am Lehramt Interessierte, wenn Sie Ihre Beratung suchen?

Viele erkundigen sich nach den Voraussetzungen, die sie mitbringen müssen. Andere wollen wissen, in welcher Schulform sie am meisten verdienen und wo die Aufstiegschancen am größten sind. Sehr viele schauen auf die Karriere, die Perspektive der dauerhaften Anstellung im öffentlichen Dienst und der Verbeamtung.

Was antworten Sie?

Natürlich beantworte ich die finanzielle Frage, verweise aber zumeist auf die in NRW auf www.lois.nrw.de detaillierten Informationen dazu. Aber eigentlich reagiere ich mit Gegenfragen: „Mit welchen Kindern in welcher Altersstufe würden Sie denn gerne arbeiten?, „Welche Erfahrungen haben Sie bereits mit Kindern und Jugendlichen gesammelt?“ und “Wie stellen Sie sich den Lehrerberuf vor?“

Und dann hören Sie?

Sehr Unterschiedliches. Da sind jene, die sich genau diese wichtigen Fragen schon selbst gestellt und beantwortet haben. Aber da sind auch jene, die glauben, sie könnten als Lehrkraft arbeiten, da sie ja auch Zuhause den eigenen Kindern bei den Hausaufgaben geholfen haben. Doch es ist etwas völlig anderes vor 30 Schülerinnen und Schülern zu stehen und zielgerichtete Unterrichtsvermittlung zu leisten oder meinem Kind unter die Arme zu greifen. Und manche versichern, sie könnten sehr gute Vorträge halten. Doch das ist nicht die Vorstellung von einer guten Lehrkraft. Sie brauchen pädagogische, psychologische und methodische Fähigkeiten. Ähnliches sage ich auch jenen, die aus dem handwerklichen, sportlichen oder künstlerischen Bereich kommen. Unterricht zu erteilen oder eine Arbeitsgemeinschaft zu leiten unterscheidet sich deutlich davon, im eigenen Büro Möbel zu designen.

Journalistinnen und Journalisten nutzen beim Texten die 6 W`s (wer, was, wann, wie, wo, warum). Nennen Sie uns doch einmal sechs Fragen, die sich potenzielle Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger stellen sollten?

  • Habe ich Freude und Interesse am herausfordernden Umgang mit Menschen?
  • Bin ich bereit mich ganztags zu engagieren?
  • Bin ich bereit mein eigenes Handeln zu hinterfragen?
  • Bin ich teamfähig?
  • Begeistert mich ein Fach so sehr, dass es mir gelingt im Unterricht den Funken überspringen zu lassen?
  • Bin ich mir im Klaren, dass die Schülerinnen und Schüler neben dem Lernen viele andere Interessen und Probleme haben? Probleme, die sich auch im Unterricht bemerkbar machen und gegebenenfalls dort ebenfalls Platz einnehmen müssen.

Lassen Sie uns zwei Punkte herausgreifen: Warum muss ich bereit sein, mich ganztags zu engagieren?

Häufig existiert noch das Bild von der Lehrkraft, die morgens arbeitet und nachmittags frei hat oder einem zweiten Job nachgeht. Das funktioniert heute auch aufgrund des zunehmenden Ganztagsunterrichts nicht mehr.

Und warum soll ich mich fragen, ob es mir gelingt, den Funken überspringen zu lassen?

So manches Fach, ich denke beispielsweise an Mathematik, löst bei vielen Schülerinnen und Schülern keine Jubelstürme aus. Sie fragen sich, warum sie das überhaupt lernen sollen und müssen. Doch wenn vorne eine Lehrkraft agiert, der man ihre Begeisterung anmerkt, wenn es knistert, dann kann das auch Jüngere mitziehen.

Wenn ich alle oder die meisten der von Ihnen formulierten Fragen mit „ja“ beantworten kann, stehen mir also alle Türen offen?

Im Prinzip schon. Geklärt werden muss dann noch, ob die formalen Voraussetzungen gegeben sind und Sie eine Auswahlkommission in der Schule von Ihren Qualitäten überzeugen. Wichtig ist der Hinweis, dass die Regeln von Bundesland zu Bundesland variieren. Da müssten Sie sich vor Ort erkundigen. Um in NRW im Seiteneinstieg die volle Lehramtsbefähigung zu erreichen, ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium (mindestens sieben Semester Regelstudienzeit) notwendig. Nach der berufsbegleitenden 24-monatigen Ausbildung mit Staatsprüfung sind Sie dann allen anderen Lehrkräften gleichgestellt. Fehlen bestimmte Voraussetzungen – insbesondere Studienleistungen für ein zweites Unterrichtsfach – können Sie über eine zwölfmonatige pädagogische Einführung die Unterrichtserlaubnis für ein Fach erwerben. In beiden Fällen wird eine unbefristete Tätigkeit im Schuldienst möglich. Eine Verbeamtung ist allerdings nur mit voller Lehramtsbefähigung zu erreichen.

Hat auch jemand ohne abgeschlossenes Studium eine Chance?

Grundsätzlich ist dies nicht ausgeschlossen. Bei akuten Ausfällen, z. B. wegen Krankheit, können Schulen befristete Stellen ausschreiben und diese auch mit Personal besetzen, das nicht unbedingt alle oben genannten Voraussetzungen mitbringt. Mir sind diese Vertretungsstellen aber noch aus einem anderen Grund wichtig. Sie bieten Interessierten am Lehrerberuf die Chance herauszufinden, welche Schulform für einen selbst die Richtige ist. Nach Erfahrungen mit verschiedenen Kindern und Jugendlichen kann dann viel bewusster eine Entscheidung für einen auf Dauer angelegten Seiteneinstieg getroffen werden.

Kann ich mich beispielsweise als Hamburger auch in einem anderen Bundesland bewerben?

Ja, wenn Sie bereit sind umzuziehen oder – je nach Entfernung – morgens und nachmittags zu pendeln.

Wer interessiert sich aktuell besonders für den Seiteneinstieg?

Interessierte kommen nach wie vor aus allen Berufsbereichen. Bedingt durch die Pandemie sorgen sich im Moment einige Selbstständige oder von Schließungen ihrer Arbeitsstätte Betroffene um ihre Zukunft, haben Angst vor Arbeitslosigkeit. Aus dieser Gruppe kommen viele Anfragen. Zunehmend kommen Anfragen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger– oft auch von Flüchtlingen. Viele waren in ihrer Heimat Lehrerin oder Lehrer. Jene, die aus dem europäischen Hochschulraum kommen, müssen hier in den meisten Fällen lediglich einen Anpassungslehrgang absolvieren. Menschen aus anderen Regionen können über ein einjähriges Ausbildungsprogramm ihre Fähigkeiten gezielt erweitern, um so die in Deutschland übliche Didaktik zu erlernen und ggf. ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Damit erhöhen sie ihre Chancen im Seiteneinstieg. Für alle aber gilt: Wer an der Schule arbeiten möchte, muss Kinder und Jugendliche mögen, Freude an ihrem Erfolg haben und Empathie mitbringen.

Zur Person

Christoph Guth ist ausgebildeter Lehrer. Er arbeitete an verschiedenen Schulen. Seit Juli 2019 gehört er der Zentralen Beratungsstelle zur Lehrkräftegewinnung bei der Bezirksregierung Düsseldorf an. Zu seinen Aufgaben zählen der Aufbau der Beratungsstelle, die Beratung insbesondere von Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern sowie die Entwicklung von Informationsmaterial zum Seiteneinstieg.