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Entspannung will gelernt sein

(sl) Erstmals vor der Klasse stehen, erstmals dem Kollegium eigene, neue Wege des Unterrichts vorschlagen, diskutieren und durchsetzen wollen: Referendarinnen und Referendare benötigen ein gutes Nervenkostüm. Entspannungsübungen helfen ihnen, die Situationen zu meistern. Wie sie gelingen, verrät Qigong-Übungsleiter Arno Müskens.

Der Job an der Schule fordert von der Lehrkraft viel. Von Berufseinsteigern, sprich Referendarinnen und Referendaren, besonders viel?

Das hängt vom Menschen ab. Hier mal kurz ein Beispiel von zwei möglichen Typen. Es gibt sicher jene, die sich nicht so viele Gedanken machen, alles ganz locker angehen, und gute Ideen haben, um die Welt der Schule zu verändern. Und dann gibt es jene, die sich oft hinterfragen, die manchmal nervös vor der Klasse stehen und sich kaum trauen, im Kollegium ihre Meinung zu vertreten.

Was stresst Ihrer Meinung nach die junge Garde mehr – die Klasse, die testen will, wie weit sie gehen kann oder die Kollegen, die dem frischen Wind ein „Stopp, das haben wir hier immer schon so gemacht“ entgegenstemmen?

Ich bin überzeugt, dass ein Lehrer – auch ein junger – von den Schülerinnen und Schülern respektiert wird, wenn er präsent ist und authentisch bleibt, sich nicht anbiedert, sondern zeigt, dass er weiß, was er will. Schwieriger kann mitunter die Zusammenarbeit mit den etablierten Kollegen sein. Sie neigen durchaus dazu, an ihrer Meinung nach Bewährten festzuhalten, neue Ideen auszubremsen. Das kann oftmals die Referendarinnen und Referendare demotivieren. Es kommt zu Frust und Stress.

Und dann kommt die Entspannung ins Spiel…

Ich halte es für eine gute Idee, dass Lehramtsanwärter bereits während ihres Studiums Entspannungstechniken kennenlernen. Wer eine dieser Techniken beherrscht, ist in der Lage, sich besser auf sich zu konzentrieren. Er nimmt seinen Körper besser wahr, weiß, was für ihn gut ist. Das ist gerade im Lehrerberuf extrem bedeutsam. Erfahrungsgemäß neigen viele Lehrkräfte dazu, wider besseren Wissens zu oft und zu lange über die eigenen Grenzen zu gehen.

Nun wird eine Referendarin oder ein Referendar aber sicher nicht verkünden können, sie oder er könne nicht mehr…

Das ist in der Tat eher unrealistisch. Doch es ist ein gutes Signal, um über sich und seine Handlungsweisen nachzudenken, entsprechende Strategien zu erlernen und sich selber zu hinterfragen. Der Weg zur Entspannung ist immer nur ein begleitendes Mittel, um sich in seinem Entwicklungsprozess zu unterstützen.

Was ist denn die richtige Entspannung?

Qigong ist eine von vielen Möglichkeiten. Tai Chi oder Yoga und andere Techniken könnten es auch sein, eigentlich alles, wobei der Mensch zur Ruhe kommt, sich gleichzeitig bei den Übungen auf sich, seinen Körper und sein Atmen konzentrieren kann. Im Wald spazieren gehen, Angeln, Walken oder Kochen – alles kann Ruhe und Entspannung bringen. Doch tiefenpsychologisch hat die Verbindung von Körper, Geist und Seele im entspannten Zustand den größten Effekt. Qigong ist hierfür sehr gut geeignet.

Soll der künftige Lehrer die Klasse oder Konferenz mit der Begründung verlassen, er müsse jetzt erst einmal „runterkommen“?

Nicht mit den Worten. Und so einfach kann ich darauf keine Antwort geben, weil es situationsbedingt ist und vom Typ Mensch abhängt. Eine Idee wäre, wenn er beispielsweise spürt, dass ihm bei einer Konferenz der Stress über den Kopf wächst, ihn eventuell sogar handlungsunfähig macht, notfalls ruhig zu einer Ausrede zu greifen: „Sorry, ich muss mal eben auf Toilette…“ Dort kann er dann seine Entspannungsübungen anwenden und sich sammeln. Doch diese Entspannungsübungen müssen erlernt und geübt werden.

Will heißen, zu glauben, man könne Entspannung auf Knopfdruck herbeiführen, ist ein Irrtum?

Absolut – Atemtechnik und Übung können dabei die Entspannung sehr unterstützen. Immer wieder einmal werde ich von Menschen kurz vor einer Prüfungssituation – beispielsweise von Referendarinnen und Referendaren - gefragt, mit welcher Technik sie ihre Nervosität in den Griff bekommen können. Dann muss ich sie enttäuschen. Denn Entspannungstechniken sind nur ein begleitendes Hilfsmittel. Oftmals spielen bei Prüfungsängsten auch frühere Erfahrungen in ähnlichen Situationen eine bedeutende Rolle. Für die Referendarinnen und Referendare ist es ja nicht ihre erste Prüfung. Sie wissen von ihren Ängsten.

Nehmen wir doch einmal solch eine Prüfungsszene. Die Lehrprobe steht an, aufmerksame Prüfer schauen zu, und die Klasse hat sich vorgenommen, der angehenden Lehrkraft das Leben schwer zu machen…

Jemand, der sich seiner sicher ist, kann damit umgehen. Doch wenn er sich wirklich überfordert fühlt, würde ich immer zur Wahrheit raten. Die an die Prüfer gerichtete Frage, ob sie als erfahrene Kollegen einen Tipp geben können, wie ich mit der Situation umgehen könnte, zeigt, dass ich mir der Problematik bewusst bin. So etwas stärkt den Respekt. Außerdem sollten den Referendarinnen und Referendaren die Klassen, ihre Eigenarten, Verhaltensweisen und Problemschüler bekannt sein. Er sollte sich vorbereiten, um solche Situationen entschärfen oder aufzulösen zu können.

Kennen Sie einen Trick, der Entspannung auch im Unterricht möglich macht?

Erlernte Atemübungen sind immer möglich. Dieses kurze Innehalten, begleitet von bewusster Atmung, gibt dem Lehrer die Möglichkeit, für einen kurzen und wichtigen Moment die Situation zu überblicken und zu analysieren. Beim bewussten Atmen spüre ich, was eine Situation mit mir macht. So kann ich mich dieser dann etwas gefasster und bewusster stellen. Durch regelmäßiges Üben der Entspannungstechnik, kommt man sehr schnell in eine für sich entspanntere Körperhaltung und bewusstere Geisteshaltung, die es einem erlaubt, klarer zu denken, zu analysieren und zu reagieren.

Zur Person

Arno Müskens (63) ist seit 20 Jahren Übungsleiter für Qigong. Er bietet darüber hinaus Malkurse für Kinder und Erwachsene an. Seine „Karriere“ als Übungsleiter startete er im Hochschulsport der Universität Bonn. Ausgebildet wurde er von Professor Jiao Guorui (1923-1997). Dieser war Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) an der Akademie für TCM in Beijing. Dort wirkte er als Professor und Mitglied der Expertenkommission, gründete und leitete das Institut für Qigong Yangsheng in Bonn unter Leitung von Prof. Dr. Gisela Hildebrandt.