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Die traditionelle Hierarchie bricht auf

(sl) Kommt ein junger Mensch als Referendarin und Referendar an eine Schule, steckt sie oder er häufig in einer Zwickmühle. Mund aufmachen, Mund halten – wie tausche ich mich aus? In Ausnahmezeiten wie der Corona-Krise bekommt die Kommunikation jedoch eine besondere Bedeutung.

Friederike K. ist, wie es der Volksmund sagt, fit wie ein Turnschuh, wenn es um IT-Fragen, Online-Auftritte, Lernplattformen oder Videokonferenzen geht. Noch stärker denn je sprüht die angehende Lehrerin vor Ideen und Elan, wie das Distanzlernen gelingen könnte. Sie entwickelt immer wieder neue kreative Wege, um ihre Schülerinnen und Schüler daheim an den Bildschirm zu fesseln.

Doch wenn sie mit ihren Vorschlägen das Kollegium zu begeistern versucht, reagieren Lehrkräfte schon einmal genervt. „Das muss ich in meinem Alter nicht mehr lernen“, „Mach, was Du willst“ oder „Ich stelle meiner Klasse eine Aufgabe ein und fertig“, lauten Antworten, die Friederike entgegenschallen. Die übrigen Referendarinnen und Referendare schweigen. So droht der Elan der jungen Frau zu verpuffen. Sie möchte ihren wahren Namen nicht preisgeben, wenn sie fürchtet: „Wenn sich solche Einstellungen durchsetzen, tun mir unsere Schülerinnen und Schüler leid. So werden sie wirklich zu Bildungsopfern von Corona.“ Aber sie schiebt ein „noch“ hinterher: „Noch gebe ich nicht auf. Als erstes versuche ich, Gleichgesinnte zu finden. Gemeinsam können wir vielleicht doch etwas erreichen.“

Das Verhältnis verändert sich

Friederike K. – eine Ausnahme? Sicher nicht. Aber eben zum Glück für die Lernenden kein Alltag. Denn die Krise namens Covid-19 sorgt für erstaunliches Umdenken, ja eine Neuorientierung. So auch an der Gemeinschaftsschule Probstei in Schönberg, Schleswig-Holstein. Wir „treffen“ Peer Döring. Seit Februar 2019 ist der 28-Jährige hier Referendar. Kein Gewöhnlicher, wie er direkt ergänzt. Denn er konnte einen außergewöhnlichen Weg gehen. Parallel zum Studium unterrichte er bereits drei Jahre lang als Vertretungslehrer an der Schule, die im vergangenen Jahr Platz drei beim Deutschen Schulsportpreis belegte.

„Dadurch war ich natürlich zu Beginn meines Referendariats schon ein Teil des Kollegiums. Jedenfalls stärker als es sonst üblich ist“, weiß der Pädagoge mit den Schwerpunkten Deutsch und Philosophie.

Doch die Veränderung in der Kommunikation, die er in der Krise täglich erlebt, gilt eben nicht nur für ihn. „Sie ist eindeutig besser geworden“, stellt er fest. Warum? Seine Begründung überzeugt: „Viele der erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer gestehen sich ein, dass wir Jüngeren nun einmal im IT-Zeitalter aufgewachsen sind und daher zumeist über einen deutlichen Wissensvorsprung verfügen.“ Und weil sie sich das eingestehen, haben sie auch kein Problem, diesen zu nutzen. Peer Döring, der an der Gemeinschaftsschule so etwas wie der Handlungsbevollmächtigte für IT ist, bringt es auf den Punkt: „Die traditionelle Hierarchie ist aufgebrochen.“

Gleichberechtigtes Geben und Nehmen

Sein Ausbilder bestätigt es. „Das übliche um Rat und Hilfe fragen", hat sich ein bisschen gedreht. Es ist ein viel gleichberechtigteres Geben und Nehmen geworden. Wir benötigen Unterstützung beim Online-Unterricht, die Jüngeren mitunter bei pädagogischen Fragen“, erläutert Benjamin Coels. Was übrigens nicht nur für das Verhältnis zu Peer Döring gilt. Auch als eine Referendarin dem Kollegium eine neue Online-Plattform näherbrachte, nutzten viele aus dem Team diese Erkenntnisse und stellten erfreut fest: „Hilft sehr.“

Die Atmosphäre ist lockerer geworden, der Austausch intensiver. Peer Döring denkt bei dieser Einschätzung auch ans tägliche Zusammentreffen im Lehrerzimmer. Früher habe es eingespielte Gruppen gegeben, meist tauschte man sich mit denselben Personen aus. „Hinzu kommt, dass es selten inhaltlich um den eigenen Unterricht ging. Gespräche drehten sich zumeist um pädagogische Entscheidungen bezüglich einzelner Schülerinnen und Schüler“, beobachtet er. Heute werde viel häufiger gefragt, was der andere von dieser oder jener neuen Methode halte.

Unsicherheiten dürfen sein

Benjamin Coels glaubt: „Das Engagement der Referendarinnen und Referendare ist noch einmal gestiegen und sie haben keine Sorge, Fehler zu begehen. Sie bewegen sich einfach auf sicherem Terrain.“ Peer Döring drückt es so aus: „Wir alle bemühen uns möglichst perfekten Unterricht zu machen. Dass das nicht immer gelingt, ist allen klar. Früher vermied man allerdings, Unsicherheiten zu zeigen. Heute ist das kein Problem mehr. Jeder hat sie – nur eben auf unterschiedlichen Ebenen.“

Den Eindruck teilen auch die übrigen angehenden Lehrkräfte an dieser Schule. Sie wissen aber auch um ihre privilegierte Ausgangssituation – technisch ist die Schule bestens aufgestellt. Peer Döring: „An anderen Schulen sieht es nicht so optimal aus.“ Manche verfügten ja nicht einmal über dienstliche E-Mail-Adressen. Da werde die Kommunikation schon deut-lich erschwert. Aber, so meint er, auch das könne Jüngere und Ältere zusammenschweißen: „Sie müssen ja alle damit klarkommen.“

Eine Chance für die Zukunft

Dankbar ist er, dass auch in den wöchentlichen Theoriemodulen des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Raum für Austausch existiert. Hier treffen sich aktuell zwischen 10 und 20 Referendarinnen und Referendare – online. Sie berichten von ihren Erfahrungen und unterstützen sich gegenseitig mit Hinweisen. Peer Döring zeigt sich überzeugt: „Wenn diese Veränderungen über Corona hinaus bestehen bleiben, ist dies ein wertvoller Beitrag zu Schul- und Unterrichtsentwicklung.“ Andere Referendarinnen und Referendare ermuntert er: „Nutzt Euren Wissensvorsprung, bietet ihn an, bringt Euch ein und seid ebenso offen für An-regungen der Erfahrenen. Aber vermeidet, den Eindruck zu erwecken, ihr wüsstet alles.“