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Jugend allein schützt die Gesundheit nicht

(sl) Sie sind jung, unverwüstlich, allen Aufgaben gewachsen. Das glauben zumindest viele angehende Lehrkräfte. Manche schütteln bei dem vermeintlichen Stress im Lehrerberuf sogar ungläubig den Kopf. Zu Unrecht, wie sie oft feststellen müssen.

Susanne Zimmer (31) erinnert sich bestens an ihren ersten Tag im Lehrerzimmer an ihrer Schu-le in Nordrhein-Westfalen. Wo sie auch hinhörte, sie lauschte erstaunt dem Kollegium. „Was sollen wir doch noch alles machen?“, „Ich bin völlig platt“, „Ich kann nicht schlafen“, „Die Lernenden stressen mich unendlich“, „Dieser Lärm…“. Die angehende Lehrerin wagte nicht zu wiedersprechen. Doch insgeheim dachte Sie: „Was regen die sich alle auf. Der Job ist doch klasse. Ich habe massenhaft Ferien und die Kinder sind halt so wie sie sind.“

Seit diesem Tag sind einige Jährchen vergangen. Susanne Zimmer würde zwar auch heute noch nicht uneingeschränkt in den Chor einstimmen und weiß, dass es viele - auch gestandene Kolleg:innen – nicht tun würden. Aber inzwischen hat sie ein realistischeres Bild vom Job, von den an sie gestellten Erwartungen, von den Belastungen und vor allem auch vom Druck im Referendariat. Ein Druck, der sich unter anderem aus der Vielzahl der Anforderungen, der meist zu knappen Zeit und dem Umgang mit den eigenen Erwartungen und Ansprüchen zusammensetzt.

Frühe Beeinträchtigungen

Differenzierte Untersuchungen zur Gesundheit von Referendar:innen liegen im Gegensatz zu Studien mit der generellen Zielgruppe Lehrkräfte vergleichsweise wenige vor. Doch eine Befragung von Referendar:innen in Magdeburg (2016) ergab, dass auch diese die Belastungen körperlich und psychisch spüren.

Für die Studie wurden 131 Referendar:innen im Alter zwischen 28 und 32 Jahren aus Magde-burg und Umgebung befragt. 72 von ihnen befanden sich in der Einstiegsphase des Referendariats, 51 in der Qualifizierungsphase und 8 in der Prüfungsphase. Das Ergebnis: „Bei 31,3% der Nachwuchslehrkräfte war die psychische Gesundheit bereits beeinträchtigt, so wiesen auch einige Burnout-Symptome auf. In der Qualifizierungsphase war die emotionale Erschöpfung stärker als in der Einstiegsphase.“

Warnungen nicht ignorieren

Tino Radtke (33) unterrichtet seit wenigen Monaten Mathematik und Sport an der Sekundar-schule „Adolph Diesterweg“ Roitzsch in Sachsen-Anhalt. Auch er kann ein Lied von der „schon sehr stressigen“ Zeit im Referendariat singen. „Alles unter einen Hut zu bringen, erfordert viel Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, auf sich selbst aufzupassen“, sagt er heute. Und räumt zugleich ein, „damals“ eher süffisant auf die Ausführungen in seinem Hauptseminar reagiert zu haben, als die Rede von Burn-Out und Depressionen bei Lehrkräften war. Fast einem Drittel drohe eine solche Folge im Job, auch verursacht durch mangelnde Akzeptanz durch verschiedene Gruppen. Dass dies kein leeres Gerede darstellt, belegen zahlreiche nationale wie internationale Studien.

Tino Radtke schmunzelte bei solchen Warnungen. Doch er tat es nicht lange. „Während des Studiums hörst Du das, doch Du ignorierst es“, berichtet der leidenschaftliche Handballer. Man glaubt einfach nicht, dass man selbst betroffen sein könne. Man fühle sich fit, ausgegli-chen, motiviert. Ein deutlicher Hinweis auf die eigene „Ignoranz“ sei der Umgang mit der Berufs-Unfähigkeitsrente. „Uns wurde nahegelegt, eine solche abzuschließen. Die meisten entschieden sich dagegen. Ich auch“, sagt er. Inzwischen überlegt er, diesen Schritt nachzuholen.

Der Unterricht ist nicht das Hauptproblem

Als geringste Ursache für die Gesundheitsgefährdung sieht er den Unterricht selbst. Er macht schließlich nur einen Bruchteil des Tages aus. Insbesondere im Referendariat. Die Vor- und Nachbereitungen der Stunden kostet Zeit und Nerven, auch weil man natürlich bemüht ist, möglichst Optimales abzuliefern. „Inzwischen weiß ich, dass ich besser ein wenig ruhiger an die Sache herangegangen wäre und nicht immer eine Doktorarbeit abgegeben hätte“, berichtet er. Ein wenig zu spät für diesen Vorsatz entsinnt er sich der Mahnung seines Vaters, „fünf auch einmal gerade sein zu lassen“. Nachwuchslehrkräfte neigen nach Einschätzung Radtkes dazu, den Maßstab an sich selbst zu hoch zu setzen.

Anderen Referendar:innen empfiehlt er, trotz des Zeitdrucks, auf Ausgleich zu achten. „Sport treiben, mal ein Buch lesen, bei Musik entspannen, sind gute Möglichkeiten“, sagt er, wohl wissend, wie er die freien Minuten während seiner Ausbildung gezählt hat. Besonders heftig präsentierte sich sein Mittwoch. Vom Wohnort Zörbig benötigte er mehr als eine Stunde, um nach Magdeburg zum Matheseminar zu kommen, von dort ging es anschließend ins ähnlich weit entfernte Petersberg bei Halle, wo das Sportseminar wartete. Von dort sauste er zurück, kümmerte sich gemeinsam mit seiner Ehefrau um die kleine Tochter und setzte sich anschlie-ßend an die Vor- und Nachbereitung seiner Unterrichtsstunden. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Da musst Du morgens schon einmal ein Streichholz zwischen die Augenlider stecken, damit es offen bleibt.“

Zwei weitere Tipps hält er parat: „Redet viel mit anderen, auch der Familie, werbt für Verständnis, erläutert Eure Situation“. Und: „Achtet auf Eure Ernährung.“ Tino Radtke hat sich für die vegetarische Variante entschieden und fühlt sich seither deutlich vitaler. Aber er sagt auch: „Das kann bei jedem anders aussehen.“ Was auch für den Umgang mit dem täglichen Lärmpegel gilt. „In der Sporthalle muss es klare Regeln geben. Etwa, dass die Bälle ruhig in den Händen der Lernenden liegen, wenn ich rede. Das erspart mir, brüllen zu müssen.“

Kompakt:
Eine Arbeitszeitstudie von Lehrkräften im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissen-schaft Sachsen ergab, dass in drei untersuchten Schularten 2022 die vorgeschriebene Wochen-arbeitszeit im Durchschnitt deutlich überschritten wurde. Mehr als ein Drittel (36 %) der Voll-zeitkräfte in Sachsen überschreiten dabei die gültige Arbeitsschutznorm von 48 Stunden pro Woche. Die Ferien wurden dabei bereits berücksichtigt, weshalb es zu einer vorgeschriebenen (Soll-) Wochenarbeitszeit von über 40 Stunden kommt.
Die Studienergebnisse zeigen, dass sächsiche Lehrkräfte nicht nur deutlich mehr Arbeit leis-ten, als sie vertraglich müssten. Sie sind auch hoch belastet. Burnout-Indikatoren zeigen, dass sie hohe Gesundheitsrisiken tragen.

Quelle: https://www.gew-sachsen.de/aktuelles/detailseite/arbeitszeitstudie-saechsische-lehrkraefte-ueberschreiten-ihre-arbeitszeit-deutlich