Achtsam lernen und lehren: Auf die Signale des eigenen Körpers hören

Wie bleiben Referendar:innen und Lehrkräfte gesund? Eine wichtige Frage, auf die es eine schlichte und dennoch voraussetzungsvolle Antwort gibt: Wer für sich und den eigenen Körper achtsam bleibt, meistert den psychosozialen Stress im Referendariat am besten.

Der Zahnarzt merkte es zuerst: Er erkannte, dass Linda S. ihre Zähne so stark aufeinanderpresste, dass ihr Gebiss begann, an dem enormen Druck zu leiden. Als bei einer anderen medizinischen Untersuchung auch noch ein hoher Pegel des Stress-Hormons Cortisol mit Gefahr für Folgeerkrankungen festgestellt wurde, zog die junge Grundschullehrerin aus NRW die Reißleine. Sie begann, ihr Leben unter die Lupe zu nehmen. Nach und nach kam sie so ihrem Streben nach Perfektion auf die Spur.

„Hohe psychosoziale Anstrengung“

Das ist einige Jahre her. Heute erzählt Linda S., dass Yoga und eine besondere therapeutische Körperarbeit aus Hawai (Lomi Lomi) ihr helfen, gezielt und regelmäßig zu entspannen und achtsam für sich zu bleiben. Das ist nicht einfach in ihrem herausfordernden Berufsfeld. Auch die Referendarin Katharina Najork aus Niedersachsen kennt das Problem des angespannten Kiefers. Bei ihr kommen Schlafstörungen hinzu, die sie als Resultat des enormen Drucks wahrnimmt, unter dem angehende Lehrkräfte stehen. „Im Laufe meines Referendariats habe ich aber gelernt, dass ich nicht jede geäußerte Kritik sofort umsetzen muss. Und auch den Anspruch an mich, alles perfekt machen zu wollen, habe ich nach und nach abgelegt. Das möchte ich auch Kolleg:innen ans Herz legen, die vielleicht noch am Anfang stehen.“

Dass viele Lehrkräfte unter hohem Druck stehen, belegen zahlreiche Studien. Die Bildungswissenschaftlerin Bärbel Wesselborg forscht zum Thema Lehrergesundheit und hält im Gespräch mit dem Klett-Verlag fest: „Unsere Studien haben gezeigt, dass die Belastung bei Beschäftigten in sozialen Interaktionsberufen, zu denen Lehrkräfte zählen, deutlich zugenommen hat. Vor allem die ständige Interaktionsarbeit bedeutet für Lehrkräfte eine hohe psychosoziale Anstrengung“.

Wichtig: Zeit für Sport und Yoga

Das sieht Nils Altner ebenso. Er bezeichnet Schulen grundsätzlich als „Orte hoher Anstrengung“. Der Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen kennt das Problem vieler junger und angehender Lehrkräfte. Sie sind klug, motiviert, leistungsbereit und leistungsstark. Viele haben hohe Ansprüche an sich, wollen gute Lehrkräfte sein, ihre Fächer beherrschen, sich im Schulleben engagieren und ein offenes Ohr für ihre Schüler:innen haben. Dabei ignorieren nicht wenige Referendar:innen die Signale ihres Körpers. Dazu gehören neben einem angespannten Kiefer und Schlafproblemen auch ein durchgedrückter Rücken, Verspannungen im Nacken-Schulter-Bereich, Verdauungsbeschwerden oder Kopfschmerzen.

Katharina Najork hatte bereits in den Jahren vor dem Beginn des Referendariats mehrmals die Woche Sport und täglich Yoga in ihren Alltag eingeplant. Dass ihr dies in der Ausbildung nicht mehr in diesem Umfang möglich ist, hatte sie zwar erwartet, jedoch nicht damit gerechnet, wie selten sie tatsächlich dazu kommen würde, sich zu regenerieren. „Das ist gerade deshalb bedauerlich, weil erwiesen ist, dass Menschen, die darin geübt sind, sich durch Sport und Achtsamkeitsübungen zu regulieren, weniger anfällig dafür sind, in einen permanenten Stresskreislauf zu geraten und zu erkranken“.

Achtsamkeit harmonisiert das Miteinander in der Schule

Wegen dieser Zusammenhänge legt Altner den Schwerpunkt seiner Arbeit auf das Körperempfinden und initiierte vor einigen Jahren das NRW-Modellprojekt „AmSel – Achtsamkeits-¬ und mitgefühlsbasierte Suchtprävention in Schulen“. Daraus hat sich die Weiterbildung „GAMMA“ entwickelt. GAMMA steht für Gesundheit, Achtsamkeit und Mitgefühl im Schulalltag. Achtsamkeit für den eigenen Körper und Mitgefühl mit sich und anderen sollen dabei bewusst als selbst-fürsorgliche und gesundheitsfördernde Qualitäten in der Schule kultiviert werden; sowohl für Lehrer:innen als auch im Umgang mit den Kindern. Insgesamt ergab die Evaluation seines Ansatzes, dass jede Form der Achtsamkeit das Miteinander in der Schule harmonisiert.

Linda S. hat in den vergangenen Jahren viel über sich gelernt, z. B. hat sie bei sich festgestellt, dass sie bei Anspannung aufhört zu atmen. Wenn sie heute vor ihrer Klasse steht und Anspannung spürt, reguliert sie sich mit einem leichten Schnipsen ihrer Finger und atmet für einen Moment sehr bewusst. Obwohl einst selbst eine fordernde Lehrkraft, rät sie Referendar:innen heute: „Versucht, auch mal Stopp zusagen; haltet den Ball flach und gebt vor allem euren Druck nicht an die Kinder weiter. Lernt, bedürfnisorientiert zu sprechen, statt ein Verhalten vorschnell zu bewerten und lehnt zusätzliche Aufgaben, die euch nicht liegen oder stressen, konsequent ab.“

Ihre Schule hat sich inzwischen an dem Projekt „Gesunde Schule“ beteiligt und für die Schüler:innen einen Snoezelraum zum Entspannen und Träumen eingerichtet. Entspannte Kinder können sich besser konzentrieren und regulieren – das wiederum entlastet auch Lehrkräfte.

Kompakt:
Der Körper kann nicht lügen. Stress raubt einem den Schlaf, der Kiefer ist angespannt oder es stockt die Atmung. Deshalb gilt: Wer für sich und den eigenen Körper achtsam bleibt, meistert den psychosozialen Stress im Referendariat am besten. Ob durch Yoga, Sport oder gezielte Achtsamkeitsübungen – es geht darum, sich selbst zu regulieren und auch den eigenen Anspruch zu hinterfragen. Dadurch gewinnt nicht nur der/die Einzelne an Lebensqualität, sondern ebenso das komplexe Miteinander in der Schule.