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Erste Schritte im Neuland Klassenfahrt

(sl) Ijsselmeer, Schwarzwald oder doch lieber Rom? Die Auswahl des Ziels, die Organisation und Durchführung einer Klassenfahrt beschert Lehrkräften viel Grübelei und Arbeit. Nicht nur, aber besonders Referendarinnen und Referendaren.

Nach langer Diskussion hat sich die neunte Klasse des Grünen Campus Malchow in Berlin entschieden: Im kommenden Jahr geht es an den Gardasee. „Hurra“, schreien die Schülerinnen und Schüler. „Hurra, aber…“, sagt ihre Klassenlehrerin Alexandra Bär. Die 27jährige arbeitet an dieser Integrierten Sekundarschule seit gerade einmal neun Monaten. Sie ist Referendarin. Doch angesichts des akuten Lehrermangels in der Bundeshauptstadt bleibt vielfach keine Zeit für den sanften, von Mentoren begleiteten Einstieg ins LehrerInnendasein. Bist Du Referendarin oder Referendar, bist Du vollwertige Lehrkraft. Mit all ihren Verpflichtungen.

Die Klassenfahrt gehört ausdrücklich nicht dazu. Sagt Alexandra. Und fügt hinzu: „Niemand zwingt mich also, eine solche auf die Beine zu stellen.“ Doch auch hier folgt das Aber: „Soll meine Klasse tatsächlich die einzige sein, die nicht auf Tour geht? Sollen meine Schülerinnen und Schüler darunter leiden, dass ich mich als junge Referendarin an die Sache nicht herantraue?“ Sie hat die Fragen für sich mit nein beantwortet.

Auf der Suche nach Antworten

Jetzt also gilt es, sich in die Organisation zu stürzen. Weder im Studium noch im Referendariat wurde das Thema jemals angeschnitten. Was kein Berliner Alleinstellungsmerkmal darstellt. „Jeder Lehrer macht das mit Gutdünken und nach bestem Wissen und Gewissen“, legt sich ein Klassenlehrer aus Niedersachsen fest. Er rät seiner Berliner Kollegin, sich bei erfahrenen „Hasen“ zu erkundigen, worauf sie achten.

Alexandra Bär weiß, welche Fragen sie stellen muss. Beispielsweise, wenn es um Rechtsfragen geht: „Was tue ich, wenn ein Jugendlicher doch zum Alkohol greift? Vom Gardasee kann ich ihn ja nicht so einfach alleine nach Hause schicken.“ Sie will jetzt einmal ins Schulgesetz schauen. Ein Blick ins Internet bietet auch Hilfe. Hier finden sich Auflistungen über die „Rahmenbedingungen für Klassenfahrten in allen Bundesländern.“ Tipps zu Versicherungsfragen, Finanzierung, Abrechnungen, Reisezielen und vielem mehr sind dort nachzulesen.

Etwa, dass die Schulbestimmungen vieler Bundesländer, so auch die von NRW, den Konsum von Alkohol und Zigaretten generell verbieten und die Grenzen somit noch strenger als das Jugendschutzgesetz auslegen. Während sich das Zigarettenverbot in der Formulierung auf den Begriff „Öffentlichkeit“ beschränkt, ist Alkohol absolut tabu, solange nicht auf der Schulkonferenz zur Klassenfahrt eine Ausnahmegenehmigung, die den Konsum von Alkohol unter Einhaltung des Jugendschutzes erlaubt, beschlossen wurde. Dass eine Schülerin oder Schüler auf Kosten der Familie nach Hause geschickt werden kann, beruhigt nur ansatzweise: „Was ist dann mit der Aufsichtspflicht?“

Wünsche und Budget zusammenführen

Alexandra Bär hätte sich gefreut, wenn die Wahl ihrer Klasse auf den Segeltörn auf dem Ijsselmeer oder die Kanuwanderfahrt gefallen wäre: „Dann hätte das Programm klar festgestanden.“ Nun muss sie eines zusammenstellen. Für jeden Tag. In der Hoffnung, dass es ihren Schülerinnen und Schülern zusagt. Für sie ist es selbstverständlich, ihre Klasse in die Planungen einzubeziehen. Sie fragt sich dennoch: „Erfülle ich die Erwartungen? Geht mir bei der Organisation etwas durch?“ und räumt ein, dass ihr die Tour Respekt abverlangt. Die Herausforderung stellt besonders das Budget dar. Alexandra Bär: „Es wird darum gehen, die Schülerwünsche so unter einen Hut zu zaubern, dass am Ende kein Langeweile aufkommt, aber die Eltern auch keinen Kredit aufnehmen müssen. Außerdem soll der Ausflug ja auch ein bisschen kulturell sinnstiftend sein. Abhängen kann man auch am Wannsee.“

Auch der direkte Kontakt zu den Jugendlichen beschäftigt die junge Referendarin: Wie viel Nähe erlaube ich? Sie weiß, auch aus Gesprächen mit Kolleginnen, dass sie Körperkontakt besser vermeidet. Und sei es nur die tröstende Hand auf dem Arm. „Ich bemühe mich, nicht nur als Frau, sondern als Lehrerin wahrgenommen zu werden.“ Für die anstehende Klassenfahrt hat sie sich vorgenommen: Wahl eines von den Jugendlichen entfernten Schlafplatzes, Verzicht auf zu lockere Kleidung, Bikini tabu. Für die Tage der Tour wird sie Sommerkleidung aus dem Koffer verbannen, egal, wie heiß es wird.

Auf Kommunikation setzen

Ganz andere Sorgen plagten lange ihren Kollegen Tim W. Er ist Referendar an einem Gymnasium einer Kleinstadt in Thüringen. In Kürze geht es auf eine mehrtägige sportlich anspruchsvolle Tour. Tim W. „darf“ als Begleiter mit. Mit der Organisation hat er nichts zu tun. Sie liegt in den Händen eines erfahrenen Kollegen. Ob das riesige pädagogische Potenzial genutzt wird, das seines Erachtens im intensiven Miteinander und dem Er- und Durchleben der körperlichen Herausforderung genutzt wird, ob beispielsweise Themen wie Nachhaltigkeit oder der Umgang mit der eigenen Leistungsfähigkeit zur Sprache kommen – er wusste es bis vor Kurzem nicht. Ob die Tour zur Wissensvermittlung genutzt oder als schöne Abwechslung zum Unterricht betrachtet wird – er wusste es nicht. Auch in Rechtsfragen fühlt er sich unsicher. „Im Schulalltag ist unsere Schulleitung 50 Meter entfernt. Ich kann sie fragen. Und das Schulgebäude ist ein geschützter Raum. Die Natur ist es nicht“, grübelte er. Er beruhigte sich mit der Hoffnung, „dass am Ende alles gut gehen möge.“

Inzwischen suchte und fand er den Austausch mit dem Kollegen. Was er hörte beruhigte ihn. Doch weil er von anderen Referendarinnen und Referendaren weiß, dass sein Erlebnis zwar nicht generalisiert werden kann, aber auch keine Ausnahme darstellt, wünscht er sich künftig und an allen Schulen eine intensive frühzeitige Kommunikation zwischen allen Beteiligten – egal, in welcher Funktion sie eingebunden sind und welchen Status als Lehrkraft sie haben. Der bereits erwähnte Referendar aus Niedersachsen macht seinen Kollegen schmunzelnd Mut: „Traut Euch, nachzufragen, wenn Ihr etwas noch nicht wisst. Die Mehrzahl der Lehrkräfte beißt nicht.“