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Gratwanderung Social Media

(sl) Optimisten sagen Danke. Corona habe ermöglicht, was in Deutschland in weiter Ferne schien. Digitale Medien ziehen in den Unterricht ein. Nicht als Allheilmittel, aber als wertvolles Instrument. Und manch Nachwuchslehrkraft seufzt: „Endlich“.

Es gilt nicht gerade als das bestgehütete Geheimnis: Ältere „Semester“ in der Garde der rund 800.000 Lehrkräften in Deutschland tun sich beim Einsatz Digitaler Medien im Unterricht deutlich schwerer als ihr jüngeres Kollegium. Insbesondere die aktuellen Nachwuchslehrkräfte sind mit ihnen so aufgewachsen wie die Generationen vor ihnen mit Büchern, Stiften und Tafel. Doch viele fragen sich: Wie weit darf die Digitalisierung gehen? Dürfen WhatsApp, Instagram, TikTok und Snapchat den Alltag unserer Schulklassen prägen? Welche Grenzen der Kommunikation sollten ausgelotet, welche eingehalten werden?

Distanz bewahren

Stephanie Bohn ist sich ihrer Sache sicher. Dass über das Schulportal an „ihrer“ Rhönschule im hessischen Gersfeld Arbeitsmaterialien hochgeladen werden und Schulrelevantes kommuniziert wird, empfindet die 30jährige Referendarin in der heutigen Zeit als „normal“. Dass sie sich aber durchaus auch auf die Arbeit an der Tafel freue, verschweigt die angehende Lehrerin mit den Fächern Mathematik und Religion nicht.

Doch wenn es ums Private geht, gibt es für sie keinen Spielraum. „Ich würde niemals mit Lernenden eine WhatsApp-Gruppe bilden“, sagt sie und liefert ihre Begründung direkt hinterher: „Eine gewisse Distanz zwischen Lehrenden und Lernenden sollte bestehen bleiben. Meine Privatsphäre ist tabu“, betont sie. Sie wolle nicht alles von ihren Klassen wissen und auch nicht, dass diese alles über sie erfahren.

Ein Gespür entwickeln

Die Cottbuser Schülerin Pauline (18) stimmt dem ausdrücklich zu: „Das geht uns auch so. Unsere Lehrkräfte müssen doch nicht alles mitbekommen, auch nicht, dass wir einmal etwas vergessen oder wie wir am Wochenende gefeiert haben.“ Sie weiß aber aus der eigenen Schule, dass Pädagog:innen durchaus solchen privaten Gruppen angehören. Sie glaubt: „Die möchten uns das Gefühl vermitteln, dicht an uns dran zu sein. Doch das funktioniert genau so wenig, wie wenn Ältere versuchen, das durch die Verwendung, unserer Sprache zu erreichen.“

Stephanie Bohn möchte sich dennoch nicht völlig verschließen. „Man muss ein Gespür dafür entwickeln, wem man was gegenüber preisgibt.“ Dass sie einen Freund hat, dürfen die Lernenden ruhig wissen, gerne auch, ob dieser ebenfalls Lehrer ist. „Schluss aber ist, wenn jemand nach meiner Adresse fragt. Ich möchte schließlich nicht, dass irgendwann die Lernenden bei mir vor der Tür stehen.“ Es sei eine Gratwanderung. Schließlich belegten Forschungen, wie förderlich eine gute Bindung für die Leistungsentwicklung und Motivation der Kinder und Jugendlichen sei.

Beispiel Finnland

Im Studienseminar seien sie darauf hingewiesen worden, sorgfältig abzuwägen, welche Daten sie preisgäben. Dies sei unter anderem in ausführlichen Gesprächen mit der Polizei geschehen. Darin wurden auch konkrete Fälle aufgezeigt, anhand derer man die Lernenden an einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten und Informationen im Netz heranführen könne. Im Studium selbst seien der Umgang mit Digitalen Medien und eben auch Social Media nicht zur Sprache gekommen. Anders sieht das beispielsweise im „Bildungsvorzeigeland“ Finnland aus. Digitales ist dort an der Uni Bestandteil des Lehrplans. Die jüngeren Nachwuchslehrkräfte geben älteren, noch nicht so technikversierten Lehrkräften auch schon einmal Nachhilfe. Am Jahresende werden sie für ihr Tutorenwerk mit einer Bonuszahlung belohnt.

In Deutschland darf darauf noch ein Weilchen gewartet werden. Doch immerhin gibt es Hoffnung auf Besserung. So kündigte vor zwei Jahren die damalige Präsidentin der Kultusministerkonferenz Stefanie Hubig die Schaffung praxisorientierter Kompetenzzentren für den digitalen Unterricht an.

Lernen mit Social Media

Manchmal kommen die wertvollen Impulse aber nicht unbedingt aus der Politik, sondern von Betroffenen. Benjamin Tim Hadrigan ist so jemand. Der junge, in Klosterneuburg bei Wien geborene Mann schrieb vor wenigen Jahren ein Buch, das durchaus für Furore sorgte. Sein Titel – Lernsieg: Erfolgreich lernen mit Snapchat, Instagram und WhatsApp. Darin macht er deutlich, wie er sich eine Abkehr vom Frontalunterricht vorstellt. Danach nehmen die Lehrkräfte ihre Unterrichtseinheiten als lebendige, ansprechende Videos auf. Diese könnten, so Hadrigan, überall und jederzeit angeschaut werden. Der Clou für ihn: Die Kinder und Jugend-lichen können sich, sogar daheim auf dem Sofa sitzend, via Social Media darüber austau-schen, sich gegenseitig beraten, diskutieren, Stellung beziehen.

Derart lebendiger „Unterricht“ führe dazu, dass Erkenntnisse und Wissen tatsächlich im Gedächtnis haften bleiben. Hadrigan im Interview mit der Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nds: „Aber die Einheiten dort dienen nur mehr dem Festigen des Stoffes und dem Beseitigen von Unklarheiten seitens der Lernenden. Gelernt wird natürlich über das Smartphone mit anderen Lernenden aus der Klasse oder alleine.“

Aufs Wesentliche konzentrieren

Und er sieht einen weiteren Vorteil im Einsatz von Social Media. Man müsse sich auf das Wesentliche konzentrieren. Man könne, so meint er, „ja keinen Roman auf Instagram hochladen.“ Lernen mit Social Media heiße eben auch zu lernen, Dinge zusammenzufassen. Das sei vergleichbar mit einer Karteikarte, auf die man sich etwas zum Lernen geschrieben habe. Nur eben, dass man das Posting in der Handy-App ständig abrufen könne. Je nach Lerntyp, lädt man dann auf Instagram Mindmaps und kurze Texte mit Lerninhalten, Sprachaufnahmen oder kurze Videos hoch.

Hadrigan hofft, dass sich junge Lehrkräfte nicht entmutigen lassen, ihren Weg, neue Methoden des Unterrichts zu beschreiten, abbringen lassen. Lucas (16), wie Pauline Schüler in Cottbus, wünscht sich das auch, denn dann „könnte es sein, dass man in einigen Jahren über den Unterricht des Jahres 2022 in Deutschland niemand mehr schmunzelt.“

Kompakt:
Die 376. Kultusministerkonferenz hat Ende 2021 die ergänzende Empfehlung „Lehren und Lernen in der digitalen Welt" beschlossen. Die Ergänzung vertieft einzelne Aspekte der Strategie, reflektiert die Erfahrungen aus der Phase der Pandemie und stellt die Bedeutung der Unterrichtsqualität und Schulentwicklung beim Einsatz neuer Technologien heraus. Mit der ergänzenden Empfehlung wird der Fokus auf die notwendigen digitalen Schulentwicklungsprozesse und auf die Qualifizierung der Lehrkräfte in didaktischer und technischer Hinsicht gelegt – mit dem Ziel, die Qualität des Unterrichts zu verbessern.