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Disziplin ist kein Selbstläufer

(sl) Im Fachjargon heißt es Classroom-Management. Den schönen Begriff mit Leben zu füllen erfordert von Referendarinnen und Referendaren besonders eins: Reflexion und Beratung.

„Wenn alles schläft und einer spricht: Dieses nennt man Unterricht.“ Sagt der Volksmund. An manchen Tagen seiner Startphase als Referendar hatte sich Stephan fast gewünscht, seine Schülerinnen und Schüler hätten tatsächlich geschlafen. Dann hätte er weniger Stress gehabt. Doch sie waren hellwach. Und außer Rand und Band. Sie unterhielten sich, lauschten dem Referendar nicht. Zeigten, dass ihnen der Inhalt der Stunde ziemlich schnuppe war.

Stephan probierte viel, hatte die Schülerinnen und Schüler freundlich ermahnt. Mal tobte er. Mal sprach er leise. Mal laut. Er war besonders freundlich. Ließ seinen Charme spielen. Versuchte, die Jugendlichen durch Vertrautheit zu motivieren: „Ich kann Euch ja verstehen, ist ja noch nicht so lange her, dass ich auf der Schulbank saß.“ Der Versuch scheiterte. Schließlich fasste er sich ein Herz und sprach seinen Ausbildungsbeauftragten an. Dieser schaute zunächst verdutzt. Er erinnerte Stephan: „Hej, dazu hast Du doch während Deiner ersten Wochen im Studienseminar sicher etwas gehört und gelernt. Hast Du das alles schon wieder vergessen?“

„Theorie wird erst durch Handeln lebendig“

Natürlich hatte der angehende Lehrer die Stunden nicht vergessen. Allein, er hatte das Erfahrene in der konkreten Situation nicht abrufen können. „Ich war wohl zu sehr blockiert, ratlos, mutlos“, erkannte er.

Denn er wie eigentlich alle Referendarinnen und Referendare beschäftigen sich im Studienseminar schon in früher Phase mit dem Classroom-Management. Berichtet Susanne Büttner. Die Fachleiterin für das Fach Deutsch und Kernseminarleiterin am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Bonn bringt es auf den Punkt: „Doch die Theorie wird erst durch Handeln lebendig.“ Soll heißen, der Umgang mit Disziplinschwierigkeiten will im Klassenraum trainiert werden.

Susanne Büttner schildert, wie Unruhe und Unkonzentriertheit erst gar nicht aufkommen können. „Die Schülerinnen und Schüler sollten ihr Arbeiten als sinnvoll erleben, etwa durch den Bezug auf ihre Lebenswelt", erläutert sie. Und räumt zugleich schmunzelnd ein: „Beim Grammatiklernen ist das nicht ganz einfach.“ Herausfordernde Aufgaben und abwechslungsreiche, insbesondere kooperative Arbeitsformen tragen dazu bei, die Lernenden zu aktivieren. Besondere Bedeutung misst die erfahrene Pädagogin, die seit mehr als einem Jahrzehnt in der schulpraktischen Lehrerausbildung tätig ist, der Beziehungsebene bei. Authentizität, Wertschätzung und Verlässlichkeit sind ebenso wie klare Regeln und Rituale eine wichtige Voraussetzungen für störungsfreies Lernen und Arbeiten.

Auf die Lehrkraft kommt es an

Susanne Büttner erinnert an den neuseeländischen Bildungsforscher John Hattie. Der Professor an der University of Melbourne hatte 2008 das Buch Visible Learning (sinngemäß übersetzt: sichtbare Lernprozesse) herausgebracht. Hattie will darin die Fragen beantworten, was guter Unterricht ist und was zu Lernerfolgen führt. Dazu wertete er 800 Metaanalysen aus, also Untersuchungen, die verschiedene Studien zu einem Thema zusammenfassen. Sei es zu, Sitzenbleiben, individueller Förderung oder Elternarbeit. Sein Ergebnis: Auf die Lehrkraft, ihr Auftreten und ihre Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern kommt es an. Hattie ist überzeugt, dass ein guter Lehrer keine Zeit mit unwichtigen Dingen verschwenden darf und schnell erkennen muss, wann er auf eine Störung mit Strenge und wann mit Humor reagiert. Und, noch bedeutsamer sei, dass Schülerinnen und Schüler verstehen, was der Lehrer von ihnen will.

Eingewöhnungszeit erforderlich

„Das Auftreten der Lehrerin und des Lehrers spielt eine riesige Rolle“, weiß auch Ute Vandreier. Die Leiterin der Regionalen Schule mit Grundschule in Bad Kleinen sagt: „Wenn eine Lehrkraft und natürlich auch ein Referendar selbst saloppe Töne anschlägt oder sich nicht entschuldigen kann, darf er sich nicht wundern, wenn Schülerinnen und Schüler sich ebenso verhalten. Wir sollten Vorbilder sein.“ Susanne Büttner kennt die Schwierigkeit, die Referendarinnen und Referendare mitunter haben, ihre Rolle als Lehrer auszufüllen. „Sie benötigen eine gewisse Eingewöhnungszeit, um angemessen auf Disziplinlosigkeiten reagieren zu können. Sie möchten mit den Schülerinnen und Schülern gut klarkommen, verwechseln Konsequenz mit unangemessener Härte“, erläutert sie.

Einen Tipp hält sie für den Fall parat, dass eine Lehrkraft tatsächlich zu einer „Interventionsmaßnahme“ greifen muss: „Sie muss zeitnah erfolgen und einen Bezug zum ,Vergehen` haben.“ Im Klartext: Jemandem als „Strafe“ aufzuerlegen, den Mülleimer zu leeren, weil er dreimal die Hausaufgaben nicht erledigt hat, bringt nichts. Büttner: „Hausaufgaben dienen dazu, zu üben. Werden sie nicht gemacht, kann ich der Schülerin oder dem Schüler eine Sonderaufgabe, sprich Kompensationsaufgabe, stellen.“

Professionelles Feedback

Immer mehr Referendarinnen und Referendare nutzen in Bonn die verpflichtende personenbezogene Beratung mit Coachingelementen, um das Thema „Umgang mit Disziplinschwierigkeiten“ anzusprechen. Büttner: „Hier bieten sich viele Gelegenheiten zum professionellen Feedback, insbesondere ist es uns aber wichtig, Selbstreflexion anzuregen und zu begleiten.“ Die künftigen Lehrerinnen und Lehrer werden ermuntert, ihre Ausbildungsbeauftragten oder einfach Kollegen um eine Unterrichtsbeobachtung zu bitten. So können sie Hinweise zur eigenen Körperhaltung, zu sogenannten Störungsnestern oder auch der Sitzordnung aufgreifen.

Stephan hat den Rat in die Tat umgesetzt. Er erhielt ein paar für ihn auf den ersten Blick überraschende Tipps. Er folgte ihnen. Und wünscht sich nie wieder schlafende Schülerinnen und Schüler.