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Work-Life-Balance, oder: „ruhiges Selbst in wilden Zeiten“

(imi) Yoga in der großen Pause und Joggen nach dem Unterricht? Beides kann die Work-Life-Balance günstig beeinflussen, muss es aber nicht. Wie eine Referendarin oder ein Referendar die Balance zwischen Unterricht, Vorbereitung, Seminare und Freizeit herstellt, ist vor allem eine Sache der Persönlichkeit.

Work-Life-Balance – das Wort suggeriert die Annahme, bei der Arbeit handle es sich um einen Gegensatz zum Leben. Aber sehr viele Referendarinnen und Referendare haben sich für ihren Beruf entschieden, weil sie gerne mit jungen Menschen arbeiten möchten und ihnen die Vorstellung, sich mit Kolleginnen und Kollegen für einen guten Unterricht und für eine gute Schule zu engagieren, gefällt. Für den, der gerne unterrichtet, sind die Grenzen zwischen „Work“ und „Life“ fließend.

Das geht auch Alexandra B. aus Berlin so. Die Referendarin steht kurz vor ihrem Examen und wurde – aufgrund des Mangels an Lehrkräften – von Anfang an als Klassenlehrerin eingesetzt. Diese Verantwortung ließ sie früh erkennen, dass sie zu den Kindern ihrer Klasse einen guten Kontakt aufbauen konnte und ihr der Beruf der Lehrerin liegt.

Balance ist nie statisch

Das entscheidende Wort in „Work-Life-Balance“ ist wohl das Wort „Balance“. Wer einen Moment die Augen schließt und sich einen Menschen vorstellt, der versucht, die Balance zu halten, erfasst intuitiv, dass Balance etwas ist, worum man sich stets und immer wieder neu bemühen muss. Balance ist das Gegenteil von „statisch sein“. Für angehende Lehrerinnen und Lehrer ist es besonders wichtig, sich in regelmäßigen Abständen neu darüber klar zu werden, wie es um ihre persönliche Balance im Leben bestellt ist. Sie stehen immer mit ihrer ganzen Person vor einer anspruchsvollen Klientel – ihren Schülerinnen und Schülern. Der Kontakt zu ihnen und zu den Kolleginnen und Kollegen ist unmittelbar: Kein Verkaufstresen, kein Wartezimmer einer Behörde, keine Berufskleidung wie ein Arztkittel und keine Nummer, die man ziehen muss, regeln die professionelle Kommunikation und das tägliche Miteinander.

Auch Alexandra B. teilt diese Erfahrung: „Für viele ist das Referendariat wirklich eine harte Zeit. Ich erinnere mich, dass uns in der ersten Seminarsitzung sogar gesagt wurde, wir sollten uns darauf einstellen, dass Beziehungen scheitern und Freundschaften nicht aufrechterhalten werden können. Auch ich war in manchen Wochen gereizt und unausgeglichen. Dass ich an meine Belastungsgrenzen gekommen bin, merkte ich erst rückblickend. In dieser Zeit ging ich mit meinen Schülerinnen und Schülern auf Klassenfahrt und hatte gleichzeitig mit einem Lehreraustausch und einem Projekt in Botswana zu tun. Das war definitiv zu viel.“

Mit sich im Einklang durch Achtsamkeit

Wie gelingt es, sich immer wieder neu zu justieren und sich im Einklang zu fühlen mit dem, was Schule einem abverlangt? Die Antwort liegt für Dr. Nils Altner auf der Hand: „Achtsamkeit – und eine wache und mitfühlende Haltung sich selbst gegenüber.“ Der Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler am Stiftungslehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen spricht von Schulen als „Orte hoher Anstrengung“, in denen Selbstfürsorge und der kluge Umgang mit den eigenen Ressourcen helfen, im Gleichgewicht zu bleiben. Altner hat erlebt, dass Lehrkräfte, die sich in Achtsamkeit üben, im Schulalltag präsenter und entspannter werden. Seine Studien zeigten ihm zudem, dass in Achtsamkeit geübte Lehrkräfte selbstbewusster und freier kommunizieren und ihre Befindlichkeiten insgesamt weniger abhängig von anderen machen. In seinem Buch „Wege zu mehr Achtsamkeit und Mitgefühl in der Schule“ hat er Übungen gesammelt und empfiehlt: „Wenn du viel in Aktion bist und wenig Zeit mit dir verbringst, dann lerne dich selbst besser kennen. (…) Verabrede dich mit dir selbst. (…)“.

Sich zu verabreden – das bringt auch in den Alltag von Alexandra B. Struktur und Entspannung gleichermaßen. Die Berlinerin hat mit ihrem Freund vereinbart, dass sie pünktlich um 19:30 Uhr den Schreibtisch verlässt. Rennradfahren, Laufen oder Tanzen helfen ihr dann, sich auf sich selbst zu besinnen, den eigenen Akku aufzuladen und Schule und Schreibtisch links liegen zu lassen. Das galt zumindest in den Monaten vor der Corona-Krise. Seitdem hat sich ihr Feierabend auf 18:00 vorgeschoben und das Tanzen fällt aus.

Keine Mails von Freitag, 16 Uhr, bis Montag, 7.30 Uhr

Die Professorin für Empirische Lehr-Lern-Forschung an der Universität Trier Michaela Brohm-Badry spricht in ihrem Bestseller „Das gute Glück – wie wir es finden und behalten können“ sehr treffend von dem „ruhigen Selbst in wilden Zeiten“. Sie diagnostiziert, „dass der permanente Druck der ruhigen Entwicklung, der Reifung des Menschen entgegensteht, was mit Brüchen in der Persönlichkeitsentwicklung bezahlt wird (…)“. Da stellt sich die Frage: Wie können Schulen den achtsamen Umgang der Referendarinnen und Referendare mit den eigenen Ressourcen unterstützen und zu einem stimmigen Leben, zur Work-Life-Balance, ermuntern?

Dazu zwei Beispiele: Die Marie-Kahle-Gesamtschule in Bonn suchte nach einem neuen Rhythmus aus Arbeit und Pause mit Möglichkeiten zum Innehalten und arbeitete in den vergangenen Jahren ein konsequentes Konzept für eine gesunde Schule aus. Zwei wichtige Details daraus: Freitags gibt es keine Dienstbesprechungen, weil die Themen nicht am Wochenende weiter gären und möglicherweise belasten sollen. Die Mailvereinbarung der Schule lautet: Alle Lehrkräfte sind angehalten, von Freitag, 16 Uhr, bis Montag, 7.30 Uhr, keine Mails zu versenden.

„Eingeschworene Gemeinschaft“

In der Gesamtschule Barmen (Wuppertal) wurde im Lehrerzimmer ein eigener Tisch für Referendarinnen und Referendare reserviert. Die Schulleitung geht davon aus, dass sich die angehenden Lehrkräfte leichter austauschen können und entlastet fühlen, wenn sie sich als eigene Gemeinschaft in der großen Gemeinschaft Gesamtschule fühlen. „Das ist definitiv ein guter Ansatz“, findet Alexandra B. „An meiner Schule bekomme ich keine Entlastungsangebote, aber unter uns Referendarinnen und Referendare unterstützen wir uns sehr. Da ist eine eingeschworene Gemeinschaft entstanden, die einen auch durch die Examenszeit trägt“.

Hat sie selbst einen Tipp für angehende Lehrkräfte, bezogen auf die persönliche Work-Life-Balance? „Für mich ist Sport ganz wichtig. Und ich habe immer sehr kontinuierlich gearbeitet, auch in den Ferien, und versucht, keinen Aufgabenberg vor mir herzuschieben. Aus eigener Erfahrung kann ich noch sagen: Mit zusätzlichen Aufgaben, auch wenn sie richtig interessant sind, sollte man vorsichtig sein“.

Kompakt:
Im Referendariat die Work-Life-Balance zu halten, ist gar nicht so einfach. Im Idealfall unterstützt die Schule ihre Referendarinnen und Referendare dabei, die eigenen Belastungsgrenzen rechtzeitig zu erkennen. Wo die angehenden Lehrkräfte auf sich allein gestellt sind, kommt es darauf an, achtsam sich selbst gegenüber zu bleiben. Bewegung, Verabredungen mit sich selbst und Achtsamkeitstraining sind bewährte Methoden, in dem ausgefüllten Berufsleben eine gesunde Balance zu bewahren.