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Umgang mit Unterrichtsstörungen: damit der Geduldsfaden nicht reißt

(imi) Bei den Jugendlichen der 10.5 flossen Tränen, als der Lockdown im Frühjahr verhinderte, dass sie sich im Klassenverband voneinander verabschieden konnten. Seit der Unterstufe galt die Klasse als eine mit besonders gutem Klima. Referendarinnen und Referendare rissen sich darum, dort ihren Prüfungsunterricht absolvieren zu dürfen. Was das mit dem Thema Unterrichtsstörungen zu tun hat? Mehr als man denkt, wie der Autor Thomas Klaffke ausführt.

Der einstige Schulleiter und erfahrene Fortbildner hat ein Buch über das Thema „Unterrichtsstörungen“ veröffentlicht. Er hält fest: „Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen ist das Klassenklima mitentscheidend dafür, ob sie sich in der Schule wohlfühlen und eine gute Lernumgebung vorfinden. Im Klassenraum entscheidet sich, ob die (…) Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit erfüllt werden und nur in der Klassengemeinschaft oder Großgruppe kann Zugehörigkeit entstehen. Zusätzlich gilt: „In einer von Ausgrenzung, Konflikten und Herabsetzung geprägten Atmosphäre liegt eine der Ursachen für Unterrichtsstörungen. Daher ist das Bemühen um ein konstruktives Klassenklima ein wesentlicher Ansatz für Prävention.“ (Klaffke 2020, S. 88)

Im Mittelpunkt: das gute Miteinander

Rückblickend betrachtet hat das Tutorenteam, der bei Referendarinnen und Referendaren so beliebten Klasse also vieles richtig gemacht. Sie stellten insbesondere in der Unterstufe das gute Miteinander in den Mittelpunkt des Lehrens und Lernens. Zunächst hatten sich manche Eltern noch über die frühe Klassenfahrt irritiert gezeigt, denn schon kurz nach dem Wechsel von der Grundschule in die Bonner Gesamtschule ging es vier Tage in die Jugendherberge. Auch der dreimal wöchentliche „gemeinsame Anfang“ vor dem offiziellen Unterricht war den meisten Eltern fremd. Doch die Irritation wandelte sich bald in hohe Zustimmung, zumal der Erfolg schnell sichtbar wurde. „Er zeigte sich in der Leistungsbereitschaft und der Unterrichtsdisziplin. Ebenso darin, dass sich von der 5. bis zur 10. Klasse kein Kind beklagt hatte, ausgegrenzt zu sein“, berichtet eine Elternvertreterin.

Negatives Verhalten stoppen

Einer störungspräventiven Klassenführung, in der es vor allem um die Beziehung in Unterricht und Klassenraum geht, kommt folglich hohe Bedeutung zu. Klaffke erläutert: „Schülerinnen und Schüler, die in das Geschehen im Klassenzimmer einbezogen sind und die Mitverantwortung übernehmen, haben weniger Anlass zu stören (…). Belehrungen dagegen, wie sich Schülerinnen und Schüler zu verhalten hätten, prallten an Kindern ab. „Hier ist Erfahrungslernen sinnvoller, das zum Beispiel darin bestehen kann, ein bestimmtes negatives Verhalten zu stoppen, zu einer Reflexion darüber einzuladen und den Versuch zu unternehmen, Empathie für andere zu wecken.“

„Negatives Verhalten stoppen“ – ein wichtiges Thema, nicht nur für angehende Lehrerinnen und Lehrer sondern immer wieder auch für erfahrene Lehrkräfte. „Ausgelernt“ hätten Lehrkräfte zudem nie, sich persönlich weiterzubilden sei vielmehr ein Zeichen von Professionalität, motiviert Klaffke für lebenslanges Lernen von Lehrkräften. Gerade über Beziehungskompetenz, Körpersprache oder den Einsatz von Stimme und nonverbalen Signalen hätten nicht nur die jungen Menschen im Referendariat viel zu lernen. Im Download-Material zu seinem Buch hält der Autor deshalb u. a. eine Datei mit Stimmübungen parat.

Beispiel: Geduldsfaden als Intervention

Eine anschauliche und unaufgeregte Form der Intervention bei Störungen ist die Kommunikation mithilfe des Geduldfadens. Zum Vorgehen ein kurzer Ausschnitt aus dem Buch:

„Man nimmt einen Tafelflügel, eine Flipchart o. Ä. und definiert Anfangs- und Endpunkt sowie eventuell Schleifen des Fadens. Bei jeder Störung wird der Faden weiter gezogen. Wenn er den definierten Endpunkt erreicht, dann reißt er, und die Klasse erhält in der nächsten Stunde eine neue Chance. Reißt der Faden nicht [und klappt das auch in den nächsten Stunden, d. Red.], gibt es eine Anerkennung. Das kann eine kurze Spielzeit am Unterrichtsende sein, eine Vorlesezeit am Beginn der nächsten Woche oder einmal Hausaufgabenfrei am Wochenende (...) So ein Vorgehen kann man sich ‚leisten‘, denn ohne oder mit wenigen Störungen kommt man im Unterricht ja auch weiter. In sehr herausfordernden Klassen sollte man die Anerkennung direkt am Stundenende einsetzen.“

Was würde dir helfen?

An diesem Beispiel lässt sich gut ablesen, dass Klaffke auf das Verstärken positiven Verhaltens setzt. Strafen oder als Herabsetzung empfundenes Verhalten von Lehrkräften haben in Schule und Unterricht dagegen nichts zu suchen, auch Schülerinnen und Schüler bloß zu stellen oder lächerlich zu machen, ist für ihn inakzeptabel. Als niederschwellige Maßnahme, um negatives Verhalten zu stoppen, empfiehlt Klaffke stattdessen, einen Störenden zur Mitarbeit einzuladen oder ihm ein Gespräch außerhalb des Klassenraums anzubieten. Die Lehrkraft könnte dann z. B. fragen: „Gibt es irgendetwas, das dir helfen würde, im Unterricht ohne Störung mitzuarbeiten?“

Inge Michels

Kompakt:
Das neue Buch von Thomas Klaffke heißt „Unterrichtsstörungen – Prävention und Intervention“ (2020, Klett-Kallmeyer). Es führt umfassend aus, wie Kinder und Jugendliche dazu bewogen werden können, im Unterricht mitzuarbeiten. Durch die knapp 130 Seiten zieht sich die grundlegend freundliche und den Lernenden zugewandte Haltung des Autors. (Angehende) Lehrkräfte bekommen ein breites Handlungsrepertoire aufgefächert, insbesondere für niederschwellige Maßnahmen. Das Download-Material hält Unterlagen zum Einsatz im Unterricht bereit.