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„Tschüss Hotel Mama“ – wie Schulen Kinder und Jugendliche auf später vorbereiten

(sl) Eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz nähert sich seinem zehnten Geburtstag. Es war der 12. September 2013 als das Gremium beschloss, Verbraucherbildung als schulische Aufgabe zu stärken.

„Verbindlich“, so lautete die Formulierung solle die Verbraucherbildung an allgemeinbildenden Schulen eingeführt werden. Davon sind Deutschlands Schulen allerdings noch einiges entfernt. Was und wie es umgesetzt wird, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, von Schulform zu Schulform, von Schule zu Schule. In insgesamt acht Bundesländern finden sich Vorgaben in Curricula, Leitperspektiven, Richtlinien oder Rahmenvorgaben. Darüber hinaus bieten viele Bundesländer Unterstützungsmaßnahmen wie Materialsammlungen oder Unterrichtseinheiten.

Vielfach, das lässt sich auch festhalten, ist die Initiative und die eigene Nähe zum Thema der einzelnen Lehrkraft entscheidend. Das bestätigt auch Julia Marg. Sie ist Geschäftsführerin der „Deutsche Stiftung Verbraucherschutz“. Sie weiß: „Sowohl die Schulformen als auch die Themen sind so vielfältig wie auch die Schüler- und Lehrerschaft es ist. Von der Grundschule bis zum Berufskolleg, von Ernährung und nachhaltiger Konsum, über Computerführerschein und den Umgang mit Finanzen ist alles dabei.“ Ihre Stiftung unterstützt das Projekt Verbraucherschule des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv). Das Projekt begleitet Schulen als einziges bundesweit beim entsprechenden Kompetenzaufbau.

Schulfach Verbraucherbildung als Ziel

Mehr als 300 Schulen haben sich dem Netzwerk angeschlossen. 35.000 Lernende wurden bislang erreicht. So manche von ihnen besuchen die Gemeinschaftsschule in Nortorf. Ihr Projekt „Tschüss Hotel Mama“, in dem Verkaufsgespräche im Elektromarkt geübt, Essen zubereiten gelernt und Versicherungsangebote unter die Lupe genommen werden, ist im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnet.

Julia Marg spürt das Interesse junger Menschen an diesen zentralen Themen und die Bereitschaft einer stetig steigenden Zahl von Schulen, dafür Raum zu schaffen. Und deshalb unterstreicht sie die Forderung des Verbraucherzentrale Bundesverbands nach einer langfristigen Verankerung von Verbraucherbildung im Schulalltag. „Ansonsten spielt die Thematik wie bislang auch eine völlig untergeordnete, mitunter nicht existierende Rolle in der Ausbildung der Lehrkräfte“, fürchtet sie. Wenn es denn dazu käme, dürften Schulen gerne die Projekte anderer Verbraucherschulen nachahmen: „Kopieren ist erwünscht.“

Ohne Zeigefinger

Wir „gönnen“ einer Lehrkraft einer weiterführenden Schule in Rheinland-Pfalz einen Blick auf das Hotel Mama und einige andere von der Verbraucherzentrale prämierten Schulen. „Damit rennen sie bei mir offene Türen ein. Doch bei uns herrscht im Kollegium die Überzeugung, dass es ausreicht, die Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit pflichtgemäß abzuarbeiten. Ich aber finde, dass Schule die jungen Menschen auch aufs Leben vorbereiten sollte“, sagt die junge Referendarin, die namentlich nicht genannt werden möchte.

Eine Kollegin von ihr, die im September ihr Referendariat beendet, arbeitet an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Christina Büttgen glaubt nicht, dass es eine Frage des Alters der Lehrkräfte ist, ob man sich des Themas annimmt. „Es ist nicht entscheidend, ob ich Referendar:in oder erfahrene Lehrer:in bin. Wichtig ist der Bezug zum Thema“, gibt die 31Jährige zu Protokoll. Sie bedauert, dass manche Kolleg:innen das Ganze nicht immer ernst nehmen. „Das kann jeder“, sei immer wieder einmal zu hören.

Sie wünscht sich, dass an allen Schulformen, denn „Auch Gymnasiasten können auf Werbung hereinfallen.“, das Thema durchgehend von Klasse 5 bis zehn im Lehrplan eines Unterrichtsfaches verankert ist: „Und zwar mit möglichst vielen Stunden, damit man die umfassenden Themen adäquat ansprechen kann.“ Es fächerübergreifend anzugehen, hält sie in diesem Fall für weniger sinnvoll. Dann drohe die Gefahr, dass immer nur einzelne Bröckchen betrachtet würden.

Anderen Referendar:innen empfiehlt sie, sich selbst auf die Suche nach geeignetem Unterrichtsmaterial zu begeben. Das zur Verfügung stehende sei manchmal zu plakativ. Wenn Lernende etwa gefragt würden, ob sie wüssten, dass sie durch Werbung beeinflusst würden, antworteten doch alle automatisch: „Ja.“ Und darüber, ob als Übungsmaterial der gute alte Überweisungsschein der Banken noch geeignet sei, lasse sich treffend streiten. Verbraucherbildung eigne sich hervorragend für kontroverse, in die Tiefe gehende Diskussionen. Das sei ein Mehrwert neben der Fachlichkeit. Und, auch das gibt sie angehenden Lehrkräften mit auf den Weg: „Vergesst den moralischen Zeigefinger. Das ruft Verdrossenheit hervor.“

Einzigartiges Umwelterziehungsprojekt

Das Verbraucherbildung und Nachhaltigkeit nicht nur etwas für Schüler:innen an weiterführenden Schulen ist, beweist eindrucksvoll ein Projekt der Bürgerstiftung Bonn. 2010 führte sie den „BONNi & BO-Klimaführerschein", ein bundesweit einzigartiges Umwelterziehungsprojekt für Grundschüler:innen ein. Jedes Jahr sind alle Bonner Grundschulen und offenen Ganztagsschulen dazu eingeladen, im Frühjahr mit ihren dritten Klassen den Klimaführerschein zu absolvieren.

Im vergangenen Schuljahr nahmen rund 2.000 Kinder aus 88 Klassen von 36 Grundschulen am BONNi & BO-Klimaführerschein teil. Rund 15.000 sind es bislang insgesamt. Das hat neugierig gemacht. „Wir freuen uns, dass unser erfolgreiches Projekt inzwischen auch im niedersächsischen Achim durchgeführt wird“, so Jürgen Reske, Geschäftsführer der Bürgerstiftung Bonn. „Das Projekt kann kosten- und ressourcensparend auch in anderen Städten und Kommunen umgesetzt werden und ist damit im besten Sinne nachhaltig. Nach unseren Erfahrungen achten besonders viele jüngere Lehrkräfte auch auf diese Kriterien.“