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Klar, verbindlich, transparent und lösungsorientiert

(sl) Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Sagt man. Doch Deutschlands Referendarinnen und Referendare wissen es besser. Sie übernehmen in Klassen die volle Verantwortung – auch wenn es um den Austausch mit den Eltern geht. Aus Lehrjahren werden Herren- und natürlich Frauenjahre.

Wie bringe ich Kindern bei, was eins und eins ist? Wie führe ich Jugendliche an niveauvolle Literatur heran? Wie begeistere ich sie für physikalische Phänomene? In ihrer Ausbildung lernen angehende Lehrkräfte viel darüber, wie sie den in den Curricula der Bundesländer vorgegebenen Stoff vermitteln. Doch so manches, das ihren späteren Alltag prägen wird, kommt nicht oder einfach zu wenig zur Sprache. Die Arbeit und der Umgang mit den Eltern gehören dazu.

Gülsah Akdeniz (25) begann ihr Referendariat vor gut einem Jahr. An der Kooperativen Gesamtschule im niedersächsischen Schwarmstedt unterrichtet sie eigenständig Deutsch und Geschichte in der zehnten und elften Jahrgangsstufen. In anderen Klassen hospitiert sie bei erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. Elternarbeit ist für sie praktisch vom ersten Tag an Normalität. Sie organisiert Elternabende und führt sie durch, steht in Kontakt zu Müttern und Vätern im persönlichen Gespräch, am Elternsprechtag, am Telefon oder per mail. Im Studium an der Universität Bremen hat sie darüber so gut wie nichts erfahren. Ihre Erkenntnis: „Das Thema wurde mit abstrakten Infos abgehandelt. Rollenspiele beispielsweise hätten mir viel gebracht.“ Gerne hätte sie etwas darüber gehört, wie man mit „speziellen“ Fällen umgehen kann.

Der Wert der Dokumentation

Einen solchen erlebte sie früh im Referendariat. Ihr Fachlehrer bat sie um die Einschätzung der Leistung eines Mädchens aus der sechsten Jahrgangsstufe. Da sich die Schülerin in ihren Augen im Mündlichen nicht besonders engagierte, plädierte Gülsah für ein „ausreichend“. In diesem Moment ahnte sie die Reaktion der Mutter noch nicht. Diese rief erbost an, forderte mit durchaus aggressivem Unterton eine Rechtfertigung der Note. Ihre Tochter sehe das ganz anders, schätze sich selbst deutlich besser ein. Dass der Fachlehrer vom Votum der jungen Referendarin nur um eine Note (befriedigend) abwich, beruhigte sie zunächst wenig. Erst als Gülsah anhand detaillierter Protokolle „nachwies“, dass ihre Beurteilung nachvollziehbar war, kehrte so etwas wie Ruhe ein. Ein Jahr später glaubt sie: „Ich habe grundsätzlich nicht das Gefühl, dass mich Eltern aufgrund meines Alters nicht ernst nehmen. In diesem Fall aber schon, die Mutter zweifelte meine Kompetenz an.“

Eine wichtige Erfahrung, meint sie inzwischen: „Ich weiß jetzt noch mehr, wie wichtig es ist, alles zu dokumentieren.“ Nicht zuletzt durch selbst Erlebtes: „Beim ersten Elternsprechtag hielt mich eine Mutter für eine Schülerin“. Durch viele Gespräche mit dem erfahrenen Kollegium, aber auch durch das Fachseminar Pädagogik, in dem Elternarbeit (endlich) thematisiert wird, hat sie für sich selbst eigene „Regeln“ zum Umgang mit Eltern definiert: „Ich bin klar und verbindlich, transparent und lösungsorientiert an der Entwicklung des Kindes interessiert.“

Innere Autorität und Selbstwert

Insbesondere was die Klarheit angeht, stimmt ihr die Diplompädagogin und Elternberaterin Klaudia Klaffke zu. Nur zu gut ist ihr ein Satz des berühmten, 2019 verstorbenen dänischen Familientherapeuten, Jesper Juul im Gedächtnis haften geblieben: „Berater müssen klar, Stewardessen dürfen nett sein.“ So formulierte er es in einer seiner Ausbildungen, die Klaudia Klaffke absolviert hat. Lehrkräfte sind nach Überzeugung der Gründerin und Leiterin einer freien Montessori-Schule (2004 bis 2012) nichts anderes als Berater, unter anderem der Eltern wenn es um den gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrag geht.

Manchmal fragt sie sich, wie künftige Lehrerinnen und Lehrer sicher auftreten sollen, wenn sie während ihrer Ausbildung „in ihrem Selbstwert“ nicht bestärkt werden. „Sie werden doch wie zu ihrer Schulzeit benotet und bewertet. Das erschwert die Entwicklung der inneren Autorität“, ist sie aus ihrer Tätigkeit als Fortbilderin von Lehrkräften zu den Themen Beziehungskompetenz und Kommunikation überzeugt. Eine häufige Folge: Eltern spüren die Unsicherheit. Das kann dann Zweifel an der Kompetenz auslösen.“ Eine durchaus explosive Mischung. „Denn auch viele Eltern sind unsicher“, berichtet Klaudia Klaffke aus Erfahrung.

Stimm- und Empathietraining

Was aber können jene Referendarinnen und Referendare tun, die diese Souveränität nicht von zuhause mitbringen? Zunächst einmal empfiehlt die Beraterin, sich ein Bild davon zu machen, wie es die „alten Hasen“ machen. Mit ihnen solle man den Austausch suchen und sie um ein kollegiales Feedback bitten. „Wie wirke ich?“, darf dabei getrost als spannende Frage gestellt werden. „Junge Lehrkräfte versuchen freundlich zu sein. Dann wirkt die Stimme schnell piepsig und dadurch alleine schon weniger überzeugend“, sagt Klaudia Klaffke und rät zu Stimmbildung.

Für ebenso wertvoll und wichtig hält sie ein spezielles Empathietraining. Denn was die Wissenschaft über die Bedeutung der Relation zwischen Lehrenden und Lernenden für den Lernerfolg belegt, gilt auch für eine gelingende Lehrkraft-Eltern-Beziehung. Gespannt wartet sie auf die Ergebnisse eines Berliner Schulversuchs. Dort wird, wissend, dass Eltern nie unvoreingenommen auf Lehrkräfte zugehen, an drei Schulen mit dem gesamten Personal Empathietraining durchgeführt, an drei Vergleichsschulen hingegen nicht.

Arbeit mit Eltern will gelernt sein

Nach Tipps zum Umgang mit Eltern gefragt, bündelt Klaudia Klaffke in ihrer Antwort ihr Wissen als Beraterin mit der Erfahrung als dreifache Mutter. „Sprechen Sie mit den Erziehungsberechtigten bereits vor einem Konflikt“, empfiehlt sie und fügt hinzu: „Seien Sie klar.“ Will heißen: Die Aussage „Ihr Sohn ist verhaltensoriginell“ kann schnell als verstecktes Kompliment aufgenommen werden, obwohl die Lehrkraft eigentlich sagen möchte: „Für mich ist schwierig, dass ihr Sohn immer wieder durch sein Verhalten meinen Unterricht stört.“ Und noch einen Hinweis gibt sie Referendarinnen und Referendaren mit auf den Weg: „Werden Sie Ihrer Verantwortung als Gastgeber gerecht. Sorgen Sie für eine ungestörte Gesprächsatmosphäre und erläutern Sie das Ziel der Unterredung. Geben Sie einen Zeitrahmen vor, fragen aber auch nach den Wünschen Ihres Gesprächspartners und verabreden sich gegebenenfalls nochmals für einen späteren Zeitpunkt.“

Gülsah Akdeniz weiß um die Richtigkeit der Empfehlungen. Sie ergänzt: „Es hilft, sich vor dem Elterngespräch selbst zu versichern, gut vorbereitet und ausgebildet zu sein und einen roten Faden festgelegt zu haben.“ Doch sie weiß auch: Elternarbeit will gelernt sein und Nervosität darf das Vorfeld der „Premiere“ begleiten.