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Momente des Staunens schaffen

(sl) Die Frage stellen sich wohl alle Referendarinnen und Referendare: Wie gestalte ich meinen Unterricht spannend, interessant, vielleicht sogar spaßig? Der Gründer des Studienhauses in Sankt Blasien, Wolfgang Endres, gibt Antworten.

Woran können sich künftige Lehrkräfte orientieren, wenn sie ihren Unterricht mit dem Ziel konzipieren, ihn für Schülerinnen und Schüler attraktiv zu gestalten?

Der Rückblick auf die eigene Schulzeit kann sehr hilfreich sein. Es werden Erinnerungen an die persönliche Beziehung zu einzelnen Lehrkräften geweckt. Aus der Distanz können wir dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis klarer beurteilen. Vielleicht können wir sogar analysieren, mit welcher pädagogischen Ausrichtung diese Lehrperson die Klasse geführt hat. Aus diesen Erinnerungen konnten und können Referendarinnen und Referendare Impulse für das eigene Handeln ableiten, sei es, einem Vorbild nacheifern zu wollen oder ein abschreckendes Beispiel vor Augen zu haben.

Wie könnte das konkret aussehen?

Nun, man wird sich unter anderem daran erinnern, wie es eine Lehrkraft geschafft hat, selbst vermeintlich „chaotische“ Schüler am Unterricht zu beteiligen. Hat sie in deren problematischen Verhaltensweisen auch positive Merkmale entdeckt und gefördert? Diese Fähigkeit der pädagogischen Klassenführung haben Alex Molnar und Barbara Lindquist schon 1990 in einer handlungsanleitenden Beschreibung des Umdeutens als kooperative Perspektive bezeichnet. Diese befasst sich mit der Frage: Was ist guter Unterricht aus Schülersicht? Und wie sieht die Lehrkraft aus Sicht des Schülers aus?

Wünschen sich Schülerinnen und Schüler „spaßigen“ Unterricht?

Wenn Sie Spaß mit Humor gleichsetzen, sage ich: Humor stellt in der pädagogischen Klassenführung einen wichtigen Begleiter dar. Wenn es im Klassenzimmer keinen Raum für Humor und Heiterkeit gibt, fehlt es auch an Herzlichkeit. Durch Humor im Unterricht lassen sich sogar messbare Lernerfolge erzielen. Entsprechende Ergebnisse eines Forschungsprojektes aus Dänemark und empirische Erkenntnisse zum Pädagogischen Humor im Unterricht beschreibt Dieter Kassner in seinem Buch „Humor im Unterricht: Bedeutung – Einfluss – Wirkungen“. Mit Humor werden Fehler leichter eingestanden und die Kritikfähigkeit nimmt zu. Humorvoll geäußerte und die Person nicht verletzende Kritik wird eher akzeptiert. Miteinander zu lachen verbindet.

Humor allein wird kaum ausreichen…

Natürlich nicht. Guten Unterricht beurteilen Schülerinnen und Schüler vor allem am Führungsstil im Klassenzimmer. Wird hier kooperative Kommunikation gepflegt oder lassen die Lernenden ihre Lehrkraft „an die Wand“ reden. Schüler, die aufmerksam zuhören, bleiben nicht stumm. Daraus ergibt sich wechselseitiges Zuhören. Lehrkräfte reden so zu ihren Lernenden, dass diese zuhören und sie hören ihnen so zu, dass diese reden, sich in den Unterrichtsstoff einbezogen und sich motivierend zur Mitarbeit aufgefordert fühlen.

Erfolgreichen Unterricht zeichnet auch Individualität aus. Worauf sollten Referendarinnen und Referendare dabei jenseits von der viel zitierten Binnendifferenzierung achten?

Manches ist so simpel und wird doch so leicht vergessen. Wenn wir Schülerinnen und Schüler mit ihrem Namen ansprechen werden sie zu unverwechselbaren Individuen. Überall, wo wir für wichtig gehalten werden, werden wir mit unserem Namen angesprochen. Die Wirkung ist verblüffend. Dieses Kapital liegt in der Schule oft leichtfertig brach. Die Mühe, seine Schülerinnen und Schüler mit Namen kennenlernen zu wollen, ist eine hervorragende Investition für ein gutes Lernklima – und obendrein ein wirksames Gedächtnistraining.

Der Beziehungsarbeit sollten Referendarinnen und Referendare also früh breiten Raum widmen?

Die Erkenntnis aus der Hattie-Studie „Auf die Lehrer kommt es an“ gilt uneingeschränkt. Ebenso auf die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Wenn es im Klassenzimmer „knistert“, ist offenbar noch etwas mehr im Raum als ein Thema, das sachlich behandelt wird. Was sagt es jungen Menschen, wenn sie im Geschichtsunterricht erfahren, dass es vor mehr als 200 Jahren in der französischen Revolution Tausende von Toten gab? Berührt es sie, wenn sie die dramatische Aufzählung und die nüchternen Zahlen hören?

Die Antwort dürfte „nein“ lauten…

Richtig. Wenn es der Lehrkraft aber gelingt, geschichtliche Kriegsereignisse mit konkreten Einzelschicksalen zu verbinden, wird sie die Schülerinnen und Schüler „fesseln“. Der Schweizer Germanist und Schriftsteller Peter von Matt hat einmal gesagt: „Erst wenn wir uns in das einzelne Schicksal versenken, dämmert uns etwas von der Wirklichkeit des Ganzen.“ Das meint der ehem. Professor für Erziehungswissenschaft Horst Rumpf wohl mit seiner Bildungskritik, wenn das Beherrschen und Bescheidwissen wichtiger ist als das Staunen. Zum Gelingen der Beziehungen im Klassenzimmer gehören Momente des Staunens.

Wie zaubert die Lehrkraft „Knistern“ herbei?

Es lässt sich nicht auf Knopfdruck einschalten. Zur pädagogischen Klassenführung gehört auch die Fähigkeit, zu akzeptieren, dass man nicht immer alles im Griff haben kann. Diesen Gedanken habe ich vor einigen Jahren auf einem Plakat im Lehrerzimmer einer Schule an der Nordsee entdeckt: „Vor einer Klasse zu stehen, ist wie einer Welle gegenüber zu stehen, deren Bewegungen man nicht komplett unter Kontrolle hat.“ Das aber empfinden angehende Lehrkräfte mitunter als Schwäche.

Deuten Schülerinnen und Schüler das ebenso?

Als Schwäche werten sie, wenn die Lehrkraft nicht authentisch ist. Sie darf auch einmal etwas nicht im Griff haben, muss aber dazu stehen. Ansonsten wünschen sich Schülerinnen und Schüler „Häuptlinge“. Ein Lehrer, der im Klassenzimmer herumbrüllt, wird nicht als Häuptling anerkannt, sondern als Schwächling wahrgenommen. Wer in der Schule das Sagen hat, brüllt nicht. Er gibt aber klare Zeichen. Er eröffnet den Unterricht und beendet ihn. Lehrkräfte sind die „Spielleiterinnen und Spielleiter“. Auch diese klare Regel trägt zu einem Unterricht bei, den Schülerinnen und Schüler als gut einstufen.

Zur Person
Wolfgang Endres war Lehrer und Erzieher am Internationalen Jesuitenkolleg St. Blasien; seit 1989 ist er als Referent in der Lehrerfortbildung tätig. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema „Lehren & Lernen“. www.endres.de