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Wenn der Timer erbarmungslos klingelt…

(sl) Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, erfordert alleine schon eine gute Planung. Wenn dann wie bei Referendar:innen auch noch die Ausbildung oder gar das Staatsexamen ansteht, bekommt Zeitmanagement einen besonders hohen Stellenwert.

Frank S. befindet sich auf der Zielgeraden seiner „Ausbildung“. In Kürze steht sein Staatsexamen an. Der angehende Lehrer aus Sachsen-Anhalt, ist gestresst… sehr gestresst. Sein Terminkalender quillt über mit Verpflichtungen und der Druck wächst mit jedem Tag, an dem die abschließende und entscheidende Prüfung naht.

An „seiner“ Schule stößt er auf wenig Verständnis. Im Gegenteil immer neue, ja zusätzliche Aufgaben werden ihm aufgedrückt. Jüngst die Bitte, sich um den Kontakt zu den Medien zu kümmern. Seinen Einwand, er sei ohnehin schon bis „obenhin“ voll, wischte das Kollegium vom Tisch: „Das mussten wir auch alle schaffen. Du machst das schon.“ Frank räumt ein: „Nein zu sagen, ist nicht meine Stärke.“

Prioritäten setzen

Vielleicht hätte er sich einmal ausführlich mit Lena-Marie Bendfeldt austauschen sollen. Die 29-Jährige aus dem Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein) steht vor derselben Herausforderung. Anfang November findet ihre Staatsexamensprüfung statt. Sie weiß aus eigener Erfahrung: „In der Zeit als Referendar:in und besonders kurz vor dem Abschluss musst Du klare Prioritä-ten setzen und manche Dinge einfach streichen.“ Sie betont das hervorragende Verhältnis und die „unglaubliche“ Unterstützung, die sie an der Lilli Martius Grund- und Gemeinschaftsschule in Kiel, besonders auch durch ihre Betreuung und Studienleitung, erfährt.

Bezeichnend vielleicht die Reaktion des Schulleiters Jan Eric Becker auf unsere Suche nach einer Gesprächspartnerin, die uns an ihren Erfahrungen mit Umgang mit Zeit teilhaben lassen könne. „Ich bin nicht sicher, ob sie das kurz vor der Prüfung auch noch schafft…“ Lena-Marie ist für diese Haltung dankbar. Aus Gesprächen mit anderen Referendar:innen weiß sie aber auch, dass das von Frank beschriebene, problematische Verhältnis zu seinem Kollegium „eher“ die Ausnahme ist.

Exakte Zeitplanung

Lena-Marie Bendfeldt hat es geschafft und sich die Zeit für das „Interview“ genommen. 30 Minuten hat sie für das Gespräch eingeplant. Es wurden 38. „Es passiert schon einmal, dass ich bei meiner Kalkulation ein wenig daneben liege“, erzählt sie schmunzelnd. Die erstellt sie für jeden Tag. Sie überlegt, wie lange sie für die Vor- und Nachbereitung einer Unterrichtsstunde, wieviel für ein Elterngespräch oder die Aufstellung eines Unterrichtsentwurfs benötigt und plant die langen Fahrzeiten ein. „Meine Freunde glauben, dass ich mich dabei manchmal überfordere, sprich von vorneherein zu wenig Zeit einkalkuliere“, gesteht sie.

Sie ist überzeugt, dass sich die Fehleinschätzungen mit steigender Erfahrung reduzieren lassen. Ein gutes Gefühl. Denn sie räumt ein, dass es „frustrierend“ sei, wenn der Timer auf dem Handy erbarmungslos das Ende der vorgesehenen Einheit signalisiert. „Wenn dann etwas Wichtiges noch nicht zu Ende geführt ist, etwa die Vorbereitung einer Stunde, muss ich über-ziehen und notfalls eine nicht so eilige Aufgabel auf den nächsten Tag verschieben“, sagt sie.

Abschied vom Perfektionismus

Wenn sie anderen in ihrer Situation Tipps geben soll, würde sie neben dem Setzen von Prioritäten folgendes nennen: den Verzicht auf Perfektionismus („Man kann jede Stunde noch op-timaler vorbereiten – man kann alles irgendwie noch besser machen, aber…“), Klarheit im Umgang mit dem Kollegium und den Eltern, die Bereitschaft, sich bei erfahrenen Lehrkräften selbst Hinweise zu erbitten, für Verständnis für die engen Zeitfenster beim engsten Kreiszu werben (Lena-Marie: „ganz wichtig“) und schließlich, etwas für die eigene Fitness zu tun.

Sie gesteht, dass ihr die Umsetzung anfangs auch nicht leichtfiel. „Da arteten die Gespräche mit Eltern zeitlich schon einmal aus, dauerten eine halbe Stunde und länger“, erinnert sie sich. Heute bereitet sie sich gezielt darauf vor und erlaubt sich zu Beginn des Austauschs beispielsweise den Hinweis: „Wir haben heute zehn Minuten Zeit.“ Das sei nicht unhöflich, sondern einfach nur klar. Und habe zur Folge, dass man sich auf das Wesentliche konzentriere. Verständnis zeigten die meisten dafür, zumal es nicht selbstverständlich sei, dass Referendar:innen wie sie auch mit der Leitung einer Klasse betraut würden.

Auszeiten nehmen

An den Wochentagen kommt sie „runter“, in dem sie, wenn möglich und sie es schafft „mich aufzuraffen“, abends läuft und während der Arbeit am Schreibtisch daran denkt, sich im Interesse ihres Rückens zu dehnen. Ihre wirkliche Auszeit von der Grundschule nimmt sich die angehende Deutsch- und Kunstlehrerin am Wochenende. Die Vorbereitung für die folgende Woche erledigt Lena-Marie freitags nach dem Unterricht in der Schule. Samstag und Sonntag gehören dem Miteinander mit anderen. Ab Montag früh stehen dann wieder die Lernenden im Fokus. Sie hat Lena-Marie ins Herz geschlossen und möchte dazu beitragen, ihnen den Weg zu einer möglichst erfolgreichen Bildungsbiografie zu ebnen.

Kompakt:
Wie viel Zeit bleibt den Menschen in Deutschland neben Arbeit, Schule oder Haushalt für Freundschaften und Familie? Wie viel Zeit wenden Personen für „Care-Arbeit“, also unbezahlte Arbeit wie Kinderbetreuung, Hausarbeit, Ehrenamt oder Pflege von Angehörigen auf? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert die Zeitverwendungserhebung, kurz ZVE. Unter dem Motto „Wo bleibt die Zeit?“ führt das Statistische Bundesamt (Destatis) gemeinsam mit den Statistischen Ämtern der Länder noch bis Ende 2022 die ZVE durch. Über 6 000 Haushalte haben bereits teilgenommen.