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Zwischen Erwartung und Individualität

(sl) Sie leiten Unterricht und stehen dabei selbst unter Beobachtung. Nachwuchslehrkräfte wollen gut beurteilt werden und doch Individualität entwickeln. Nicht immer gelingt das.

 „In Paderborn treffen Sie auf motivierte Ausbilder, ein Team junger und engagierter Arbeitsgemeinschaftsleiter und eine serviceorientierte Verwaltung. Individualität schreiben wir groß. Die überschaubare Größe unseres Bezirks ermöglicht es uns, Ihre Interessen und Wünsche so weit wie möglich umzusetzen“. Zugegeben, die Zeilen sind keinem Leitfaden für die Ausbildung von Referendar:innen, sondern der Referendarabteilung am Landgericht Paderborn entnommen. Doch sie könnten eine wunderbare Vorlage für den Umgang mit jenen darstellen, die sich auf dem Weg in die Tätigkeit als Lehrkraft befinden.

Silke kann über solche Ziele heute nur noch schmunzeln. Es liegt viele, viele Jahre zurück, als die heute 45-Jährige aus Rheinland-Pfalz der festen Überzeugung war, ihre Individualität, ihre Bereitschaft, neue, andere Wege im Unterricht zu gehen, seien willkommen. Waren sie aber nicht. Nicht im Referendariat und ebenso wenig in ihrer anschließenden Rolle als festangestellte Lehrerin. Schon bei den routinemäßigen Unterrichtsbesuchen ihres Ausbilders fühlte sie sich zerrissen. Sie wusste, welchen Stil der „Herr dahinten“ bevorzugte.

„Ich war wohl reichlich naiv, zu glauben, ich könne ich selbst sein. Deshalb habe ich dort die Stelle trotz der unschönen Erfahrung im Referendariat angetreten“, erzählt sie uns. Ihre Hoffnung, spätestens als „gleichberechtigte“ Kollegin ihre Vorstellungen umsetzen zu können, zerplatzte wie eine Seifenblase. Silke rieb sich auf. Jahr um Jahr. Ausgebrannt gab sie nicht nur die Stelle, sondern den Beruf auf. Heute arbeitet sie in einem Blumenladen.

Der eigene Stil

Henning Grashoff und Jens Windorf wissen um den Zwiespalt im Referendariat. Beide haben es Anfang 2022 abgeschlossen und unterrichten nun an der Kooperativen Gesamtschule „Alexander von Humboldt“ im niedersächsischen Wittmund. „Man stellt sich viele Fragen. Etwa, was die Prüfungskommission sehen möchte? Was sie als guten Unterricht erachtet? Ob man ein sprachliches Vorbild darstellt?“, sagt der 33-jährige Lehrer Henning Grashoff. Anfangs, so weiß er noch ganz genau, verwirrten ihn manch „defizitäre Rückmeldungen“ nach den Unterrichtsbesuchen.

Später erst erkannte er, dass ihn sein Fachlehrer eher „motivieren“, vielleicht sogar ein we-nig aus der Reserve locken wollte. Im Nachhinein zeigt er sich dafür sogar ein Stück weit dankbar: „Ich hatte menschliche und zugängliche Ausbilder:innen. Ich kam gut mit ihnen ins Gespräch und habe dabei gespürt, dass sie durchaus progressiv denken“, bilanziert er. Seine Anspannung im nach seinen Worten „durchaus dauerhaften Überprüfungsstress“ ließ aufgrund der harmonischen menschlichen Ebene deutlich nach.

Heute würde er seinem jüngeren Ich raten, den eigenen Stil zu entwickeln und sich nicht zu viele Sorgen darüber zu machen, was von ihnen erwartet wird. Henning Grashoff: „Als ich gespürt habe, dass mir aus meiner Art keine Nachteile entstehen werden, habe ich alles ausprobiert“, erinnert er sich. Mal arbeiteten die Lernenden selbstständig, mal in Gruppen, mal mussten sie ihm „lauschen“. Beim Gedanken an Letzteres muss er fast schmunzeln. Denn sein Ausbilder „ermunterte“ ihn häufiger einmal, sich selbst ein wenig zurückzunehmen. „Ich bin halt sehr kommunikativ“, gesteht Henning.

Er räumt ein, bei seiner Unterrichtsplanung immer wieder abgewogen zu haben, was die Kommission oder die Ausbilder:in wohl bevorzuge. „Na klar, ich habe dann überlegt, ob mir die erhoffte Art liegt und ich sie erfüllen kann, ohne nicht mehr authentisch bleiben zu kön-nen.“ Heute sagt er: „Aufgesetztes Verhalten fällt auf – denjenigen, die mich bewerten, aber auch den Lernenden . Wenn ich als Nachwuchslehrkraft meine Entscheidungen gut begrün-den kann, ist das die halbe Miete.“

Reicht „Schema F“

Sein Kollege Jens Windorf (28) unterrichtet Geschichte und Religion. Er ist überzeugt, dass das Wissen um die eigene Prüfungssituation ihn stark beeinflusst hat. „Besonders kompliziert wird es, wenn du weißt, dass dich Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen beobachten“, weiß er. Dann sitzen Nachwuchslehrkräfte zwischen den Stühlen und können nur gebannt abwarten, wer sich am Ende bei seiner Beurteilung durchsetzt. Ihm ist bewusst, dass es mitunter reicht, „Schema F“ zu bieten. Was, so glaubt er, leicht dazu führen kann, dass man sich nicht aus seiner Komfortzone bewegt.

Spannend fand er zu erleben, dass ihm durchaus positiv angerechnet wurde, wenn er einen neuen didaktischen Weg wählte – selbst, wenn er nicht den erhofften Erfolg zeitigte. „So weiß ich wenigstens, was ich später wiederholen kann oder eben nicht“, betont Jens. Sein Tipp lautet aufgrund der eigenen Erfahrung: „Ich würde den Mittelweg wählen. Ein wenig ,vortanzen` und sich den Ausbilder:innen anzupassen, ist nicht verkehrt, aber verbiegen darfst Du Dich auf keinen Fall.“

Ein weiteres „No-Go“ benennt schließlich Henning Grashoff: Absprachen mit Lernenden vor wichtigen Stunden zu treffen. Er weiß, dass Kolleg:innen sicherheitshalber ihre Klasse vorab darüber informieren, welche Fragen gestellt werden, wer dran genommen wird und wer besser schweigt. „Abgesehen davon, dass es richtig Ärger gibt, wenn das rauskommt, ist so etwas auch nicht erforderlich, wenn man seine Lerngruppe kennt und ein gutes Verhältnis zu ihr aufgebaut hat“, meint er. Und fügt hinzu: „Es wird als positiv vermerkt, wenn es gelingt, auch Leistungsschwächere einzubinden.“