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Kooperation will früh gelernt sein

(sl). Denken und Handeln in multiprofessionellen Teams lautet das Gebot der Stunde an deutschen Schulen. Doch Referendar:innen werden kaum darauf vorbereitet.

Die Worte kamen aus berufenem Mund. „Schule hat sich enorm verändert. Früher konnten sie sich auf die Unterstützung der Familie verlassen. Heute müssen Sie wesentliche Teile der Dinge übernehmen, die früher Familien geleistet haben“, betonte der Soziologe Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani (TU Dortmund). Er machte beim Ganztagsschulkongress „Ganztag multiprofessionell gestalten“ kürzlich in Berlin deutlich, dass diese Herausforderung nur durch eine gemeinsame Anstrengung von multiprofessionellen Teams zu meistern ist. Dazu zählten neben den Lehrkräften, unter anderem pädagogische Fachkräfte, Personen aus der Zivilgesellschaft, Vereine und Mitarbeitende der Kinder- und Jugendhilfe. Das große „Aber“ folgte: „Die dazu erforderliche Kooperation wird nicht besonders gut eingeübt, schon gar nicht systematisch.“

Kennenlernen vor der Praxis

Den Referendar:innen unter den knapp 600 Interessierten dieses gemeinsam vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend organisierten Kongresses sprach er damit aus der Seele. „Ich wusste natürlich, dass sich Schulen in diese Richtung gewandelt haben, doch im Studium bin ich darauf eigentlich gar nicht vorbereitet worden“, versicherte eine inzwischen im Alltag einer Ganztagsgrundschule angekommene Lehrerin. Unterschiedliche Arbeitszeiten und Arbeitgeber, differierende Gehälter, eine andere Sicht auf Kinder und uneinheitliche Vorstellungen von Bildungs- und Erziehungszielen stünden der so hoch geschätzten gemeinsamen Arbeit auf Augenhöhe häufig entgegen.

„In den ersten Jahren scheiterte eine gute Kooperation bereits an der Festlegung von Zielen“, erinnerte sich etwa die Leiterin der „Hort Feldmäuse“ Potsdam, Berinice Gehrmann. Die Ursache sieht nicht nur sie in der unzureichenden Vorbereitung der Akteure in Studium und Ausbildung. Unterstützung erhält sie etwa von Prof. Dr. Marianne Schüpbach (Freie Universität Berlin). Sie hat 2023 den „1. Berliner Pädagog:innen-Tag“ organisiert, dem im Juni 2024 der zweite folgen wird. An ihm nahmen künftige Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher teil. Ein Ziel lautete, mehr Verständnis für andere Professionen zu entwickeln. Die Bildungsforscherin: „Das ist ein erster Schritt, solange es keinen gemeinsamen Bildungsgang gibt.“ Denn aus ihrer Sicht sollten die Professionen nicht erst in der Praxis aufeinandertreffen.

Haltung als Stolperstein

Die Einsicht, dass die aus der Schweiz stammende Wissenschaftlerin mit dieser Aussage den Nagel auf den Kopf trifft, teilen inzwischen viele. Doch nur an einigen Orten wird das Miteinander in der Ausbildung vorangetrieben. So etwa in Karlsruhe. Die Pädagogische Hochschule möchte mit der 2023 erstmals angebotenen Zusatzqualifikation „Ganztagsbildung“ besser auf die Arbeit in multiprofessionellen Teams vorbereiten.

Verantwortlich dafür zeichnet sich Dr. Annette Scheible. Sie weiß: „Es entwickelt sich ein Arbeitsfeld mit unglaublich vielen faszinierenden Möglichkeiten, sich an der Bildung und Erziehung von jungen Menschen zu beteiligen.“ Mitunter stelle aber auch die Haltung der Schule schon einen Stolperstein dar, wenn im „sonstigen pädagogischen Personal“ lediglich ein Faktor der Entlastung für die eigene Arbeit gesehen und gesucht werde. Scheible: „Wir möchten mit unserem Ausbildungsangebot auch das Verständnis des Mehrwertes einer guten, harmonischen Zusammenarbeit auf Augenhöhe fördern und der pädagogischen Betreuung den Stellenwert zukommen lassen, den sie verdient. Dabei sind wir nicht blauäugig. Wir wissen um die inneren Hürden und Haltungen, die beispielsweise allein die unterschiedliche Bezahlung aufbaut.“

Veraltete Vorstellungen

Die Erkenntnis, dass sich das frühe Kennenlernen der Professionen positiv auf die spätere Zusammenarbeit auswirkt, überrascht sie nicht. Es sei aber bei der ersten vorsichtigen „Evaluation“ schon klar zutage getreten, dass beispielsweise die Studierenden der Kindheitspädagogik eine veraltete Vorstellung vom Lehramt hatten. Und umgekehrt ebenso. Sie zitiert eine Teilnehmende: „Die können ja tatsächlich mehr als basteln oder professionell Mandalas ausmalen.“

Optimistisch stimmt sie, dass sie bereits Anfragen erhalten hat, solch ein Angebot auch für potenzielle Quereinsteigerinnen und -einsteiger aufzulegen. „Auch andere Pädagogische Hochschulen haben bereits Interesse an den Inhalten des Zertifikats und zur Kooperation mit uns bekundet. Das werden wir in Ruhe prüfen, zeigt uns aber, dass der Bedarf vorhanden ist“, berichtet Annette Scheible.

Teamplayer ausbilden

In Bremen gibt es bereits seit 2012 eine Fortbildungsreihe der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ zur Arbeit in multiprofessionellen Teams. Entstanden ist sie in Kooperation mit der Universität Bremen und allen Ausbildungseinrichtungen für Studierende und Auszubildende der sozialen Arbeit. In drei Modulen können jährlich 70 Teilnehmende – auch durch Hospitationen im Ganztag – Einblicke in die Arbeit der anderen gewinnen. „Und das vor dem Berufseinstieg“, hob Angelika Wunsch, die Leiterin der Serviceagentur hervor. Das gegenseitige Verständnis und damit die Akzeptanz stiegen. Das führe auch zu einer besseren Kommunikationskultur. „Wenn wir Teamplayer wollen, müssen wir auch Teamplayer ausbilden“, betonte Wunsch.

Ein wenig „neidisch“ mag da die Leiterin der Gotenschule in Bonn, Judith Reichert, nach Bremen schielen. Weder sie noch ihr Team haben einen solchen gemeinsamen Erkenntnisgewinn in der Berufsvorbereitung genossen. Sie ist vom Wert einer guten Kommunikation und einem Verständnis für andere Professionen überzeugt: „Jeder bringt ein anderes Bild und Sichtweise ein, damit wir unserem Bildungs- und Erziehungsauftrag gerecht werden können.“ Am Ende gehe es immer um das Kind.

Kompakt:
Im Herbst 2023 hat die Kultusministerkonferenz Qualitätsempfehlungen zum Ganztag veröffentlicht. Darin heißt es u.a.: Für gelingende ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote ist die Kooperation unterschiedlicher Professionen in festen Kooperationsstrukturen erforderlich. An der Gestaltung des ganztägigen Lernens sind viele schulische und außerschulische Akteurinnen und Akteure beteiligt. Die Steuerung dieses komplexen Ganztagsangebots ist auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Die professionsübergreifende Zusammenarbeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Bildungsverständnisses ist ein Qualitätsmerkmal guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote. Lehrkräfte, nicht unterrichtendes pädagogisch tätiges Personal, Schulleitung und Kooperationspartner bringen ihre ganz eigenen Kompetenzen und Perspektiven auf die Bedürfnisse der Kinder mit. Die Aufgabe der (schulischen) Steuerung ist es, die Zusammenarbeit der pädagogischen und nicht pädagogischen Akteure im Interesse der bestmöglichen Entwicklung jedes Kindes zu fördern und effektiv zu nutzen. Die Kommunikation in festen Kooperationsstrukturen zwischen den multiprofessionellen Akteuren ist dabei ebenso bedeutsam wie die Mitwirkung in Entscheidungsgremien.